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  #1  
Alt 25.08.2007, 17:21
meinedrei meinedrei ist offline
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Registriert seit: 13.08.2007
Beiträge: 16
Standard Hatte Angst ihn zu besuchen - haben uns gesehen

Hallo Ihr Lieben! Ich hatte vorher über meine Ängste und Bedenken (und die Wut!) geschrieben, ob ich meinen Vater nach nun 18 Jahren besuchen soll oder nicht... (Hat Mund-Kiefer- und Gesichtskrebs und ich austherapiert, nur noch Schmerztherapie).

Ich bin einer Entscheidung zum Glück entronnen, da ich am vergangenen Tag mit ihm auf Grund einer Feier zusammengetroffen bin.

Kurz vorab: wir hatten eine Hochzeit (sein Sohn; mein (Stief-)Bruder), bei der er unbedingt teilnehmen wollte, er bestand darauf, obwohl die Ärzte abgeraten haben und sich niemand auch nur im geringsten vorstellen konnte, dass er überhaupt ausserhalb des Krankhenausbettes mehr als 5-10 Minuten bei Kräften und wach bleiben kann.

Ihr alle, die Ihr hier schreibt, kennt das bestimmt in der einen oder anderen Form, ich durfte es gestern erfahren: Liebe und der Wille geben einem Menschen solche Kraft wie es kein Medikament der Welt tun kann.

Als ich vor dem Standesamt wartete und hörte, dass er kommt, dachte ich nur "die spinnen. Einen todkranken Mann hierher zu schleppen, das schafft er nie, das kostet ihn das letzte Quentchen Kraft, das er noch hat..."

Ich kann es euch nur "im nachhein" erzählen: Schwestern, Ärzte und seine Frau haben ihm geholfen, dass er die Fahrt (immerhin 25 km) antreten konnte. Er hatte einen Anzug an, die offenen Stellen waren verbunden.
Als das Auto stoppte, stieg er selbst aus dem Auto in den Rollstuhl. Seine Frau und mein Bruder schoben ihn her, meine Schwester ging ihm entgegen, sie begrüßten ihn.

Ich stand da wie gelähmt. Ich war irgendwie gar nicht mehr aufgeregt, ich sah ihm nur entgegen. Dann ging ich auf ihn zu, streckte die Hand aus. Er nahm meine Hand, zog mich zu sich herunter und ich umarmte ihn, streichelte ihn, er hielt mich fest und drückte mich - und ich war so glücklich, dass ich ihn sehen konnte.

Er hatte mit dem Mann, den ich kannte, nichts mehr zu tun, vor einem Jahr noch hätte ich nicht gedacht, dass sich ein Mensch durch die Krankheit so verändern kann.
Rein optisch war es ein anderer Mensch, ein bedauernswerter, todkranker, alter Mensch mit fremden (durch die Krankheit entstellten) Gesichtszügen. Gebeugt, grau, zugeschwollen, verbunden, helle wässrige Augen - ich will einfach nur beschreiben, wie das Äußere war -
für mich war es einfach so, dass ich meinen Vater in die Arme schließen konnte. Und es war gut.
Ich stand lange bei ihm, hielt seine Hand. Er hat mit uns allen gescherzt, er hat gelacht, hat mit meinem Bruder "angestoßen", indem er Sekt durch den Zugang "trank".
Er war irgendwie der Mittelpunkt, der Star, alle waren stolz und verwundert, wie er es schaffen konnte, so viel Kraft zu mobilisieren.

Ich kann nur sagen - er hat vielleicht ein wichtiges Kraftpolster verspielt, aber er war wie er sich vorgenommen hatte auf der Hochzeit seines (einzigen) Sohnes und ich dachte dann nur, dass es sicherlich seine letzte Feier war - im Bett liegen kann (und muss) er aber wieder, das war also wichtiger... und er hat es geschafft.

Leider ist nicht alles rosig, denn er ist ziemlich aggressiv und ruppig und gerade zu seiner Frau, die so viel erträgt und leistet, manchmal richtiggehend böse.
Man hat richtig gemerkt, dass er diese 1,5 Stunden (!!!!!!!!!!!) die er da war, ständig handelte nach "euch zeig ichs! ich habs geschafft! ich bin da!!"

Es war ein absolutes Wechselbad, aber in dem Moment, als ich bei ihm stand, waren alle Ängste und Zweifel, die ich je hatte, weg.
Es waren keine Worte nötig, wir haben uns einfach gehalten und ich habe gelernt, dass die Verletzungen, die man sich im Laufe der Jahre beigebracht hat, einfach zu einem Nichts zusammenschrumpfen können. Das hat alles nicht mehr gezählt und mir war alles egal.
Ich bin so froh, dass er kam, denn da ich mich (im Kopf) so verrückt gemacht habe, hätte ich womöglich nicht auf meinen Bauch gehört und hätte ihn nicht mehr gesehen, nicht mehr diesen wundervollen Moment erlebt.

Ich habe gesehen, wie glücklich er war mich zu sehen und wie er mich zu sich her zog (mir welcher Kraft!!!)... wir haben uns so lange an den Händen gehalten... Vergessen war mein Groll, dass ich mich ausgeschlossen fühlte - und wenn es so war.. na und!?!? Das war jetzt was zwischen uns beiden und es war gut.

Ich kann es immer noch nicht fassen, wie viel Kraft er aufbringen konnte. Immer wieder sackte er zusammen, hing vornüber gebeugt im Rolllstuhl und riss sich ein ums andere Mal hoch, schaute alle an, mischte richtiggehend mit in der Gesellschaft, es war so ein Kraftakt, den niemand fassen konnte.

Als sie dann wieder fuhren, waren wir alle wie verwandelt.

Wir wollten vorher die Hochzeit "durchziehen", dass er das Gefühl hatte, dass auch sein Sohn "aufgehoben" sei, aber durch seine Anwesenheit wurde es eine richtige Feier, eine richtige Hochzeit, ein Fest, eine Feier.
Mein bruder war so glücklich, dass sein Vater dabei war, es liest sich alles wie ein Groschenroman merke ich grad, aber solch ein Erlebnis kann man schlecht beschreiben.

Ich bin so traurig, warum nur. All die Liebe war doch schon in uns allen drin, warum muss erst eine Krankheit manche so schönen Situationen herauf beschwören?

Ich bin viel trauriger als vorher, ich bin aber trotzdem froh, dass ich ihn sehen konnte, trotz des schlimmes Anblicks.

Sorry dass es so durcheinander ist und danke fürs zuhören... muss das alles erst mal verdauen!!

Liebe Grüße und ganz besonders an dich, liebe Annett, musste oft an dich denken. du hast mir einiges zu denken gegeben und es hat mir sehr geholfen... obwohl du und dein sohn, obwohl ihr so viel mitmachen müsst kannst du anderen noch immer so viel kraft geben, danke, dass ich euch hier gefunden habe, ich fühle mich nicht mehr so alleine und es wird sichauch einiges in meinem leben ändern....
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  #2  
Alt 25.08.2007, 18:39
Sunshine77 Sunshine77 ist offline
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Beiträge: 35
Standard AW: Hatte Angst ihn zu besuchen - haben uns gesehen

Ich mußte öfter an dich denken die letzten Tage als ich hier reingeschaut habe... ob du hingegangen bist und wenn ja, wie es wohl gelaufen ist. Ich freue mich auch sehr für dich, dass dir diese Entscheidung vom Schicksal? abgenommen wurde und es positiv für dich und auch deinen Vater ausgegangen ist.

LG,
Sunshine
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  #3  
Alt 25.08.2007, 21:29
meinedrei meinedrei ist offline
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Beiträge: 16
Standard AW: Hatte Angst ihn zu besuchen - haben uns gesehen

Ich denke, dass ihn diese Aktion sehr viel Kraft gekostet hat... und dann gabs ja auch gleich noch eins oben drauf... diese böse, fast tennisballgroße Schwellung unterm Auge ist leider keine Ansammlung von Lymphflüssigkeit, sondern auch Krebs, der sich wohl nun auch direkt verteilt, habe es nicht recht verstanden, aber jedenfalls eine sehr schlechte Nachricht.

Mein vater hat immer noch Hoffnung, dass sein Allgemeinzustand besser wird und er vielleicht eine andere Chemo bekommen kann, die dann anschlägt, aber die Ärzte sagen nein, das wird nichts bringen. Wenn er will, kann er die Chemo haben, aber sie sagen, dass sie es von sich aus nicht machen.

Er ist aber stur und teilweise richtig sauer und böse und will diese Diagnose nicht akzeptieren. Ich habe die Befürchtung, dass er nie und nimmer loslassen will und es daher um so schwerer für alle, auch die Angehörigen wird.

Als die Familie mit einer Patientenverfügung und dem ganzen Schriftkram kamen, da wurde er richtig sauer und wollte nichts davon wissen und war auch echt böse... als ob sie ihn verraten hätten.
Aber ich denke, dass das dieser Fall ist, in dem die Hoffnung erst mit dem Menschen stirbt. Jeder von uns betet um ein Wunder, denn viel mehr wird nicht helfen, auch die Familie kann es schwer akzeptieren, auch wenn die Vernunft sagt, dass ihm nichts mehr helfen kann.

Wie soll man damit umgehen? ich glaube fast, dass ich an seiner Stelle auch nicht anders wäre. Er hadert so, dass er gehen muss, er will nicht und lässt den Gedanken nicht zu und ende. Ignoriert es.
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  #4  
Alt 25.08.2007, 23:43
martinaIna martinaIna ist offline
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Standard AW: Hatte Angst ihn zu besuchen - haben uns gesehen

Hallo meinedrei,

schön, das Schicksal (?) hat Dir also die Entscheidung abgenommen und es war gut.

Wenn er nicht loslassen will und kann, dann wird es schwerer - gerade auch für die Angehörigen.

Wie umgehen damit?
Du kannst es nur akzeptieren und ihm beistehen.

Wir wünschen uns immer, dass jemand mit sich und dem Leben versöhnt ins Sterben einwilligen kann. Nicht immer geht das. Dann ist es das Beste, bei ihm zu bleiben, mit ihm zu wachen. Ihn und seinen Kampf auszuhalten. Auch seine Ungerechtigkeit, seine Wut, seine verzweiflung. (Mir fällt gerade die Szene aus Jesus Christ-Superstar ein. Aber das wirst Du nicht kennen. Na ja, im Original, der Bibel, ist ja auch erzählt, wie Jesus die Jünger bittet, mit ihm zu wachen, da zu sein, während er im Garten Gethsemane den Kelch annimmt. Sie schlafen aber alle ein.)

Und wo ist da inzwischen dein Platz?

Ich drück dich
martina
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  #5  
Alt 26.08.2007, 12:57
Elli Elli ist offline
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Registriert seit: 21.06.2005
Ort: Düren
Beiträge: 1.329
Standard AW: Hatte Angst ihn zu besuchen - haben uns gesehen

Liebe meinedrei,

oft habe ich dann Dich gedacht,und hier reingeschaut ,ob es irgendetwas neues gibt von Dir-von Euch.
Und nun lese ich heute Deinen Eintrag.Mir kamen die Tränen.
Nun hat das Schicksal Dir die Entscheidung abgenommen und es ist gut so.
Es stimmt eine Krankheit kann einen Menschen verändern,so oder so. Ich den Beu Euch war es eine positive Veränderung und Ihr habe Euch nochmal gesehen. Ich denke es wird auch nict das letztemal gewesen sein.

Liebe meinedrei,ich wünsche Euch für die verbleibende Zeit von ganzem Herzen alles,alles Gute und das Ihr noch viele gemeinsame Momente miteinader verbringen werdet.

Liebe Grüsse
Elli
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