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  #1  
Alt 20.07.2008, 01:12
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Beiträge: 884
Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Zitat:
Zitat von teich1 Beitrag anzeigen
...Nun hat sie mir die Röntgenbilder gegeben, damit ich diese im Büro in den Reisswolf schmeisse, aber das bringe ich auch nicht fertig. Ich habe sie nun mit seiner Todesanzeige und der Danksagung in eine Schublade gelegt...
Hallo, Petra.
Ich habe neben mir Papas Ordner mit seinen Krankenakten liegen.
Ich wollte sie einfach nochmal lesen, um sie vielleicht jetzt besser verstehen zu können. Diese verdammten Fachausdrücke! Ich verstehe da nicht alles und wünschte, ich hätte doch Medizin studiert.
Aber ich habe mir auch schon gedacht: Die Akten liest du jetzt, dann kommen die Ordner weg.
Aber ich bring es nicht übers Herz, diese Papiere mit den schlimmsten Dingen für meinen Papa wegzuwerfen. Da sind seine handschriftlichen Einträge drin, auch wenns oft nur Häkchen oder so waren... niemals werde ich diese Papiere vernichten! Ich werde sie irgendwann nochmal sortieren und für immer bei mir behalten...

Zitat:
Zitat von teich1 Beitrag anzeigen
...Das schlimme für uns war, dass er immer wieder versuchte aufzustehen...Er meinte wirklich, er könnte es. Und dann jedesmal dieser Zusammenbruch... werde ich mir selber Sterbehilfe leisten, solange ich kann... dass man dann selber sagen darf: "Wenn es so kommt, dann gibt mir etwas." Dieses ist weder für mich noch für meine Angehörigen ein lebenswertes Leben, sondern ein Dahinsiechen im langsam sterbenen Körper und das bei vollem Bewußtsein.... Kein Mensch, der soetwas nicht miterlebt hat, darf so einen Wunsch eines anderen Menschen verweigern......
Du hast soooo Recht!!! Es tut sooo verdammt weh, wenn man zusehen muss, wie ein lieber Mensch so leidet!!! Verdammt!!! Er probiert und probiert, weil er die Hoffnung noch hat - und zack, wieder eine drauf! Er muss sich eingestehen, dass er zu schwach für alles ist, nichts mehr alleine schaffen kann... Wie bitte, kamen unsere Väter damit klar? Ich weiß es nicht, Papa hat nieeee was gesagt. Er hat uns immer noch getröstet, wenn wir innerlich zusammengebrochen sind und geweint haben.
Unglaublich! Diese Stärke, diese innere Kraft, die er hatte!
Und was du über Sterbehilfe sagst, finde ich a) richtig und b) "wow", dass du so offen darüber hier sprichst.

a) Mit Mama hatte ich neulich ein Gespräch darüber, dass ich vielleicht jeden Weg fahren würde, um ein Land in EU zu erreichen, wo man mir meinen Wunsch erfüllen könnte. Niemand auf der Welt hat verdient, so leiden zu müssen und du hast wieder Recht damit, dass niemand, der es nicht selbst erlebt hat, diesem Wunsch widersprechen sollte.

b) Ich weiß nicht, ob es klug ist, hier davon zu schreiben, aber ich hoffe, man darf es ohne Anklage.
Wenn ich so schwerwiegend krank werden würde, würde ich schon gern alleine darüber entscheiden - immer vorausgesetzt, ich kann es.
Ich denke, jeder schwer Kranke wünscht sich die alleinige Entscheidung, aber gibt man dann nicht auch noch den letzten Funken Hoffnung auf? Die vielleicht letzten gemeinsamen Momenten mit einem lieben Menschen? Die wunderbaren, intensiven Worte, die man aufnehmen kann? Der letzte Atemzug ist nicht berechenbar und ich weiß nicht, wie er wäre, wenn ers wäre...

Es erschreckt mich nicht, dass du schreibst, du wärest selbst in der Lage gewesen, deinen Papa zu befreien. Ich würde niemals jemanden, der so sehr liebt, dass er dies deshalb tun würde, verurteilen.
Ich habe meinem Papa auch die Erlösung gewünscht, sehr sogar.
Ich habe jede einzelne Sekunde genossen, die ich um ihn war, die ich ihn berühren konnte, ihm was sagen konnte. Ich würde es heute noch gerne tun... Ich würde ihm rund um die Uhr sagen, wie lieb ich ihn habe, wie stolz ich auf ihn bin, dass er der liebste Papa ist und und und...
Ich hätte nicht die Courage/die Kraft/den Mut - was auch immer -, zu bestimmen, wann ich für mich genug Zeit mit ihm verbracht hätte.

Ich erzähle meiner Mama auch immer von den Menschen, mit denen ich hier schreibe. Die Schicksale sind so unterschiedlich und doch wieder so ähnlich. Die Gefühle gleichen sich, man kann hier darüber sprechen - woanders fällt es einem schwerer. Es ist "einfacher", weil hier Menschen sind, die wissen, wovon man spricht...
Ich möchte auch, dass meine Mama weiß, dass noch Tausende von Frauen/Männern ihre Partner verloren haben und die gleiche Unterstützung bekommen wie sie von ihren Kindern. Ich will, dass meine Mama weiß, dass ich offen mit meiner Trauer umgehe, in dem ich hier darüber schreiben kann. Dass mir das hilft, ist der angenehmste Teil davon.

Petra, ich drücke meine und du auch immer deine Mama.
Wir sind schon tolle Frauen - nicht nur wir, sondern auch unsere Mamas. Wir schaffen das Leben mit der neuen Perspektive, einen wundervollen Schutzengel zu haben, der immer und überall über uns wacht.
Und tolle Frauen und Männer finden sich noch überall hier, alle, die kämpfen und unterstützen und für ihre Lieben da sind.

Viele Drücker für dich!!! Und hier der extra-Bonus fürs lange Lesen *sorry* .
__________________
Alles Liebe.
**********************
Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
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  #2  
Alt 20.07.2008, 02:04
Benutzerbild von Thistle
Thistle Thistle ist offline
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Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Liebe Petra und liebe Daggi,

Ich hab eben Eure Beiträge gelesen. Und obwohl ich momentan nicht in der Lage bin, mich da ausführlicher drüber zu äußern (mein Mann, 62, hat 9/07 die Diagnose GMB bekommen und wir haben zur Zeit noch wirklich gute Momente miteinander), möchte ich Euch wissen lassen, dass ich größte Hochachtung für Euch habe und mir jede Verurteilung fern liegt.
Alles Liebe
Renate
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  #3  
Alt 20.07.2008, 11:48
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Beiträge: 884
Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Liebe Renate.
Das ist wirklich sehr, sehr lieb von dir und ich möchte Danke sagen.
Ich gestehe, dass ich sehr gemischte Gefühle diesbezüglich habe.
Ich habe mich noch nicht richtig mit diesem Thema auseinander gesetzt, da ich zu Papas Pflegezeit nicht in der Lage gewesen bin - zeitlich wie auch psychisch - und auch jetzt noch nicht bereit bin, mich so intensiv damit zu beschäftigen, dass ich mir eine gefestigte Meinung bilden kann, zu der ich auch stehe.
Es ist ein schwammiges Thema, bei dem man kontroversen Meinungen begegnet. Wie bei allem gibt es Fürsprecher und Gegner.
Petras Einstellung kann ich momentan eher verstehen als existierende Gegenargumente... vielleicht auch nur, weil ich (wie so viele) erleben musste, wie schlimm es einem lieben Menschen gehen kann.

Es gehört so unglaublich viel Mut, Kraft und Hoffnung, Liebe und Vertrauen dazu, eine schwere Krankheit tragen zu können, wie sie z. B. mein Papa trug. Und ebenso viel Mut, Kraft, Hoffnung und Liebe braucht ein Angehöriger, der seinen lieben Menschen in dieser Zeit "tragen" will.

Unser ganzes Leben lang müssen wir für das einstehen, was wir selbst entscheiden - so sind die meisten von uns erzogen worden. Und am Ende unseres Lebens - wenn keine Kraft, keine Aussicht auf Besserung mehr vorhanden ist, wenn so viel Liebe um einen herum ist - soll eine andere Kraft die letzte Entscheidung treffen? Damit muss man sich wohl intensiv auseinander setzen.

Ich wünsche dir und deinem Mann alles erdenklich Liebe, ganz viel von der wunderbaren Zeit, die ihr momentan zusammen habt und dass ihr beide euren Mut und die Hoffnung niemals aufgebt.
Es gehört auch eine immense Stärke dazu, dass zu schreiben, was du geschrieben hast, liebe Renate.

Habt einen wunderschönen Tag zusammen.
__________________
Alles Liebe.
**********************
Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007

Geändert von Annika0211 (21.07.2008 um 07:20 Uhr)
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  #4  
Alt 20.07.2008, 18:28
teich1 teich1 ist offline
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Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Liebe Renate, liebe Daggi,

auch ich möchte mir bedanken, für den Zuspruch und die lieben Worte. Ich stehe zu meinen Gedanken -und wie gesagt, hätte es auch gekonnt-, so wie mein tierlieber Papa einmal -als unser Hund Welpen hatte und eines halb zerquetscht war - mit Tränen in den Augen in den Keller gegangen ist und dem kleinen Welpen von seinem Leiden erlöst hat.

Soetwas kann man natürlich nur, wenn nichts mehr auf Hoffnung schließen läßt und ich hätte es nur die letzten drei Tage gekonnt, als mein Papa so gewehrt und gestöhnt hat. Vorher nicht. Vorher habe ich mich so sehr gefreut, wenn er noch irgendwie es geschafft hat, seinen Arm zu heben und mir zu winken. Zu diesem Zeitpunkt hätte er immer so weiterleben dürfen, damit wir ihn bei uns haben, auch wenn das Leben für meine Mama natürlich schwer gewesen wäre...

Man kann ja auch nicht sagen, meine Gedanken sind richtig oder falsch, das muss jeder mit sich selber ausmachen.

Mein Bruder hatte einen Freund, der hat sich mit 40ig aufgehängt, weil er an MS litt und schon nicht mehr laufen konnte. Die Ärzte sagten ihm, dass es ab jetzt nur noch bergab ginge, ihm war nicht mehr zu helfen. Dieser Freund hat seine Schwester mit der gleichen Krankheit mit 38 Jahren ans Bett gefesselt gesehen und hat immer gesagt: "Das mache ich nicht mit". Wie gesagt, er hat sich aufgehängt, und eine Frau und 4 Kinder zurückgelassen, auch um ihnen diese Last zu ersparen.

Was für ein schwerer Schritt und ich bewundere seinen Mut und habe vollstes Verständnis für seine Entscheidung.
Wie gesagt, wenn man soetwas miterlebt hat, ist man für sich selber in der Lage zu urteilen, was man will.... Glaube ich, vielleicht sieht es ja anders aus, wenn man wirklich -so wie Papa - im Bett liegt. Vielleicht ist einfach das Erwachen am Morgen das schönste, was es dann noch für einen gibt....

Es gibt so viele Fragen und keine Antworten....

Ich habe die Geschichte meines Papas aufgeschrieben, es sind 80 Seiten geworden und werde diese überarbeiten. Für mich, für Mama und vielleicht auch für andere Menschen. Wenn ich es lese, merke ich erstmal, wie viele Sachen und schlimme Stunden ich schon "vergessen" oder "verdrängt" habe und beim Lesen ist alles wieder so deutlich vor Augen, dass die Tränen nur so laufen. Ich versuche, nicht so oft zu weinen, weil ich denke, es ist für meinen Mann auch schwer, damit umzugehen, aber manchmal geht es halt nicht anders.

Er selber hat fürchterlich geweint, als er die Verschlechterung des Zustandes meines Papas gesehen hat und an seinem Todestag ist er regelrecht geflüchtet, weil er es nicht ertragen konnte...

Liebe Renate, Daggi und ich können nur noch an Erinnerungen zerren und Geschichten auferleben lassen, Du kannst noch alles noch in diesen guten Momenten erleben und Realität werden lassen und das kann Dir keiner nehmen. Wir haben es nicht wahr haben wollen, wenn die Ärzte zu uns gesagt haben: "Geniessen Sie die verbleibene Zeit." Auch, weil man es nicht glauben kann.

Du und Dein Mann können es noch. Und wenn ihr etwas vorhabt, dann wartet nicht zu lange, denn das Leben lehrt uns, geniesse den Tag.

Ich wünsche Euch, dass es solange wie möglich ein Genuss bleibt.

Alles Liebe

Petra
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  #5  
Alt 20.07.2008, 18:35
teich1 teich1 ist offline
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Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Etwas muss ich noch ergänzen. Wir haben vorher eine Broschüre "Sterbene begleiten", gelesen und aufgrund dessen wußte ich bereits am Donnerstag, dass mein Papa sterben wird. Seine Beine verfärbten sich violett. Immer mehr, am Freitag war es schon doppelt so viele Flecken und am Samstag fast komplett. Samstags ist er ja gestorben und sein Gesicht sah schon vor dem Tod wie das einer Leiche aus. Der Mund schon eingefallen und kurz bevor er gestorben ist, hat sich auch sein Gesicht um die Nase und den Mundbereich gelblich verfärbt. Alles war so, wie beschrieben,
und instinktiv spürte ich es auch, dass es so ist.

Vielleicht ist das auch einfach der Grund, warum sein Leiden hätte so defintiv beenden können, weil ich wußte und auch sah, dass es nur eine Frage von einigen Tagen ist...

Dies als Nachtrag, vielleicht auch ein bißchen als Rechtfertigung.

Habt noch einen schönen Abend.

Liebe Grüße
Petra
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  #6  
Alt 21.07.2008, 07:22
Annika0211 Annika0211 ist offline
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Standard AW: Glioblastom IV - Inoperabel

Liebe Petra.
Du brauchst kein Argument als Rechtfertigung.
Ich kann deine Ansichten verstehen und mir vorstellen, wann du in seinem Stadium aktiv geworden wärst.
__________________
Alles Liebe.
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Papa, für immer in meinem Herzen - 31.12.2007
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