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  #1  
Alt 25.07.2006, 08:10
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Wer meine Beiträge zu meiner eigenen Trauerbewältigung kennt, weiß, daß ich vieles (auch die Trauer) aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet habe und noch immer betrachte.

Geholfen haben mir ganz sicher eine positive Lebenseinstellung, mein Bestreben AKTIV Situationen bestehen zu können und der Wunsch/Wille Situationen (auch der Trauer) nicht restlos ausgeliefert zu sein.

Beim Lesen eines kleinen Artikels über Wut und Aggression

http://www.zeitzuleben.de/go?tk348

kam mir der Gedanke, diese Überlegungen auf TRAUER zu übertragen.

Im Sinne dieses Artikels wurde ich zwar in die Trauersituation hineingeworfen, aber es lag an mir, wie ich damit umging und welche Entscheidungen und aktiven Handlungen ich unternahm, um mit der Trauer umzugehen.

In der Nachreflexion habe ich wohl in der ersten Zeit nach dem Tod meiner Frau instinktiv für mich Aktivitäten ergriffen, die mir weitergeholfen haben. (Zur damaligen frischen Trauerzeit habe ich ganz gewiß nicht an Reflexion über meine Handlungen gedacht!) Ich habe mich wohl Eingebungen folgend daran gegeben, Plätze (Kliniken, Hospiz) und die für sie inzwischen mühsamen Wege aufzusuchen, die wir in sehr schwerer Zeit beschritten haben. Ich habe sehr viel geweint, sehr viel Nähe zu ihr gespürt, sie war unsichtbar bei mir.

Einserseits war ich in großer Trauer, ich wollte nichts verdrängen und andererseits sollte die Trauer mich nicht absolut beherrschen. So habe ich für mich den Schritt gewagt, mich "kontrolliert" in Situationen zu begeben, die mit Schwermut und Tränen verbunden waren. Dabei konnte ich gut verfolgen, was und wie meine Seele die Trauer aufnahm und wie es mir dabei ging. Jedes Mal war es schwer, jedes Mal wurde jedoch auch ein wenig Erleichterung spürbar.

Oder wenn mich einmal Trauerwolken überkommen haben, so habe ich sie betrachtet, mich gefragt, wieso sie jetzt gerade über mir sind, habe geweint und irgendwann war die Wolke weitergezogen. Als Wolkenschieber wollte und konnte ich mich nicht betätigen.

Es eröffnete sich mir ganz allmählich die Einsicht, daß wir alles getan hatten, was WIR tun konnten und das es gut für sie war, die zerbrechliche Hülle verlassen zu dürfen. Wir haben unser gemeinsames Leben als zeitlich befristetes Geschenk ansehen können. Wir wären gerne gemeinsam alt geworden.

Die Entscheidung und Freiheit meiner Frau während der Krankheit und während des Abschieds beistehen zu können war schwer für meine Seele, aber selbstverständlich. Die AKTIVE Entscheidung und Freiheit aus/in der Trauer für mein eigenes weiteres Leben war/ist eine große Herausforderung für mich. Ich lebe bewußt die mir geschenkte Zeit, die mir zusammen mit meiner Frau leider nicht vergönnt war.

LG
Shalom
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Es ist nicht genug zu wissen, man muß es auch anwenden.
Es ist nicht genug zu wollen, man muß es auch tun.


(Johann Wolfgang von Goethe)
"Wilhelm Meisters Wanderjahre", 3. Buch, 18. Kapitel
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  #2  
Alt 01.08.2006, 15:12
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

In einer zentralen zeitlichen Phase eines anderen Threads im Hinterbliebenenforums
http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...ad.php?t=15469
wurde neben anderen wichtigen Punkten heftig diskutiert, ob und wie religiöse Sichtweisen der Sterbe- und Trauerbegleitung, sowie Rituale, Trauerphasen eine Bedeutung nur für die Bearbeitung der Einzelschicksale haben oder etwa sogar generalisierbar sind.

Für meine diesbezüglichen Beiträge bin ich kritisiert worden, obwohl es klar ersichtlich war, daß ich nur für mich selbst sprechen kann und Vorzüge oder Nachteile einer religiös orientierten Lebenshaltung nur für mich ersehen kann und andere Menschen das vielleicht ganz anders sehen.

Entsprechend sensibilisiert habe ich einen anderen Thread hier verfolgt, der sich damit befasste, wie Kranke/Betroffene mit ihrer Sondersituation umgehen:

http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...t.php?p=224855

Da hat es mich dann getrieben, mich doch zu äußern. Leider gibt es meines Erachtens KEINE eindeutige WENN - DANN Beziehung von Handlungen , die hinreichend wäre, um aus der Krankheit wieder Gesundheit und aus der Trauer wieder Lebensfreude zu machen.

http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...8&postcount=51
http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...5&postcount=57

Wir - Kranke, Betroffene, Trauernde - können gegebenfalls durch Religion, Psychologie, Esoterik usw. schwierige Situationen besser bewältigen, diese Handlungsoptionen nehmen jedoch nicht aus sich heraus Krankheit und Trauer fort.

Es liegt nicht in unserer Macht wieder gesund zu werden, aber manchmal können wir feststellen, was uns krank macht. Psychologie (auch Psychoonkologie) kann vielleicht helfen, unsere Einstellung zu uns selbst (damit auch zu Sondersituationen wie Krankheit, Tod, Trauer, schwere Konflikte) zu überprüfen und eigene Verhaltensänderungen zu erleichtern oder zu beschleunigen.

Neue Erkenntnisse dabei über uns selbst zu gewinnen ist schon nicht einfach, geschweige denn unsere Haltungen trotz/wegen der neuen Erkenntnisse zu ändern. Aber es lohnt sich, an sich zu arbeiten, um vielleicht wieder Lebensqualität zu erreichen, oder unabänderliche Situationen besser zu ertragen.

NUR: Arbeiten an/für mich kann ich nur für mich selbst, es wird mir niemand etwas abnehmen. Tue ich das in ganz kleinen Schritten, ist es vielleicht möglich, jeden Tag für mich einen Lichtblick geschenkt zu bekommen. Und Licht/Wärme möchte ich schon in mein Herz lassen.

LG
Shalom
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(Johann Wolfgang von Goethe)
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  #3  
Alt 19.08.2006, 10:17
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

In Modifikation eines meiner Beiträge aus dem Thread "Trauernde Männer":

Aus trauernden Männern können auch wieder glückliche Männer werden, wenn sie es denn zulassen.

Vergangenes zu bewältigen, Jetziges zu gestalten und Zukünftiges vorzubereiten: all das schließt sich nicht aus und ist ganz sicher nicht gegen die geliebten Menschen gerichtet, die wir verloren haben. Ich vermute mal, es wäre sogar im Sinne unserer Verstorbenen, uns wieder lebensfroh und glücklich zu sehen (in meinem eigenen Fall, weiß ich es ganz sicher). Wir können können nun nichts mehr aktiv für unsere geliebten Verstorbenen tun, wohl aber für uns, die wir weiterleben. Es fällt anfangs sehr schwer, einen neuen Lebenssinn zu finden. Es stehen zu viele WARUMs im Raum und im Wege. Auch die Beantwortung der WIEs gelingt nur ganz allmählich. Aber es lohnt sich, den eigenen neuen Weg zu suchen und zu gestalten.

Aus eigener Erfahrung: Ein Spagat der Gefühle bedeutet es schon und Arbeit ist es ganz gewiß auch, sich für neues Glück zu öffnen. Es lohnt sich doch sein eigenes Leben mit dem Geschenk der Gesundheit zu gestalten, oder etwa nicht? Es braucht Zeit sich zuzugestehen, daß man es (z.B. das Leben, neue Liebe usw.) genießen darf, auch ohne Schuldgefühle zu haben. Als ich mir zugestand jeden Tag zu genießen zu dürfen, konnte ich mich auch wieder eher öffnen und am Leben teilnehmen.

Um es mal anders und profan auszudrücken: Mein persönliches Koordinatensystem wurde durch die große Trauer, ein wunderbares neues Glück, die gleichzeitige Bearbeitung von beidem (Trauer UND Glück) ganz ordentlich durchgerüttelt, aber der innere Schwerpunkt ist mir trotz aller Stürme nicht verloren gegangen. Deshalb kann ich mir auch vertrauen, daß der Weg, den ich nun eingeschlagen habe, für mich der richtige ist.

Daher wünsche ich auch jedem die Zuversicht, Beständigkeit und Zufriedenheit, sein Glück (leben zu dürfen) genießen zu können in kleinen Abschnitten: Schritt für Schritt.

LG
Shalom
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  #4  
Alt 11.09.2006, 14:55
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Nachdenklich lasse ich die verschiedenen Aspekte meiner Trauer und auch der später wiederkehrenden Lebensfreude in meiner Seele vorbeiziehen. In der Zwischenzeit fällt es mir immer schwerer die Abläufe in eigene verständliche Worte zu fassen. Aspekte meiner Verarbeitung werden aber ganz gut wiedergegeben in Geschichten, die andere viel besser schreiben können.

Auch wenn ich den "Stammtisch" als stiller Mitleser begleite und manche Ähnlichkeiten zu meinen Abläufen sehe, so kann und will ich hier in diesem Thread einfach nur für mich selber sprechen. Bei manchen Geschichten ist die Nähe zum eigenen Trauer- und Lebensverhalten wirklich nicht von der Hand zu weisen.

LG
Shalom

Die Insel der Gefühle

Vor langer Zeit existierte einmal eine wunderschöne, kleine Insel. Auf dieser Insel waren alle Gefühle der Menschen zu Hause: Der Humor und die gute Laune, die Traurigkeit und die Einsamkeit, das Glück und das Wissen und all die vielen anderen Gefühle. Natürlich lebte auch die Liebe dort.

Eines Tages wurde den Gefühlen jedoch überraschend mitgeteilt, dass die Insel sinken würde. Also machten alle ihre Schiffe seeklar, um die Insel zu verlassen. Nur die Liebe wollte bis zum letzten Augenblick warten, denn sie hing sehr an ihrer Insel.

Bevor die Insel sank, bat die Liebe die anderen um Hilfe.

Als der Reichtum auf einem sehr luxuriösen Schiff die Insel verließ, fragte ihn die Liebe: "Reichtum, kannst du mich mitnehmen?"

"Nein, ich kann nicht. Auf meinem Schiff habe ich sehr viel Gold, Silber und Edelsteine. Da ist kein Platz mehr für dich."

Also fragte die Liebe den Stolz, der auf einem wunderbaren Schiff vorbeikam. "Stolz, bitte, kannst du mich mitnehmen?"

"Liebe, ich kann dich nicht mitnehmen", antwortete der Stolz, "hier ist alles perfekt und du könntest mein schönes Schiff beschädigen."

Als nächstes fragte die Liebe die Traurigkeit: "Traurigkeit, bitte nimm du mich mit."

"Oh Liebe", sagte die Traurigkeit, "ich bin so traurig, dass ich allein bleiben muss."

Als die gute Laune losfuhr, war sie so zufrieden und ausgelassen, dass sie nicht einmal hörte, dass die Liebe sie rief.

Plötzlich aber rief eine Stimme: "Komm Liebe, ich nehme dich mit."

Die Liebe war so dankbar und so glücklich, dass sie ganz und gar vergaß, ihren Retter nach seinem Namen zu fragen.

Später fragte die Liebe das Wissen: "Wissen, kannst du mir vielleicht sagen, wer es war, der mir geholfen hat?"

"Ja sicher", antwortete das Wissen, "das war die Zeit."

"Die Zeit?" fragte die Liebe erstaunt, "Warum hat mir die Zeit denn geholfen?"

Und das Wissen antwortete: "Weil nur die Zeit versteht, wie wichtig die Liebe im Leben ist."

Entnommen aus:
http://www.zeitzuleben.net/artikel/g.../gefuehle.html

weitere Geschichten:

http://www.zeitzuleben.net/artikel/g...as-glueck.html
http://www.zeitzuleben.net/artikel/g...unkelheit.html
http://www.zeitzuleben.net/artikel/g...hten/korb.html
http://www.zeitzuleben.net/artikel/g...iedenheit.html
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  #5  
Alt 05.10.2006, 14:58
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Immer wieder die Frage nach der Verarbeitung der Trauer und dem Loslassen.

Meine persönliche Erfahrung ist es, daß ich schmerzhaft lernen mußte, Abschied zu nehmen und auch loszulassen und zwar schon VOR dem Tod meiner Frau. Für uns beide gab es geschenkte Zeit, uns auf das Unabänderliche vorzubereiten.

NACH ihrem Tod haben mir Rituale der Trauer und des Loslassens geholfen:

Zum Beispiel
- Kleider/Schuhe entfernen
- Aufsuchen gemeinsamer Wege und Orte (auch Krankenhaus, Hospiz) während der Krankheit
- Besuch des Grabes und viele Zwiegespräche mit ihr
- Immer wieder Reden über das Erlebte mit mitfühlenden Menschen
- Immer wieder das eigene Hinterfragen (auch hier im Forum)

und einiges andere mehr

Ich habe mir auch Rituale der kleinen Schritt-für Schritt-Veränderungen für mein Leben NACH dem Tod meiner Frau erarbeitet, denn ich will leben.

All das sieht nach Arbeit aus und so ist es auch, aber die langsam aufhellenden Lichtblicke haben mir dann schon gefallen. Ich mußte allerdings auch erst wieder Zutrauen zum Licht gewinnen, die Angst vor den dunklen Wolken akzeptieren und Zutrauen in mich selbst finden.

Was mich bis dahin tröstet, ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen und der Blick zurück in Liebe.

Ich glaube auch, daß der Zeitpunkt des Abschiednehmens ("Loslassens") vom Hinterbliebenen-Forum für mich naht. Das Forum hat mir sehr geholfen und mir einige Menschen sehr nahe gebracht.

Danke an alle, die verständnisvoll mitfühlten und zuhörten.

Liebe Grüße
Shalom

P.S.

Ich habe mal wieder im Internet gestöbert zum "Abschied nehmen"

Besonders angesprochen haben mich die Worte von Erhard Blanck, Richard Bach und Sergio Bambaren

Abschiednehmen, sich trennen
aufgeben, einen Teil von sich selbst etwas dem Wind überlassen, den Fluten, dem Wasser das Sterben lernen - jeden Tag ein wenig, für das Neue das folgt.
(Quelle unbekannt)

Wer nicht stets Abschied nimmt, ist noch nicht zu sich gekommen."
(Erhard Blanck)

Aus: www.spruecheportal.de/abschiedssprueche.php kommen die folgenden Weisheiten:

Erinnerungen sind das Land,
aus dem wir nicht vertrieben werden können.
(Verfasser unbekannt)

Lebe wohl! - du fühlest nicht,
was es heißt, dies Wort der Schmerzen,
mit getrostem Angesicht
sagest du's und leichtem Herzen.
Lebe wohl! - Ach, tausendmal
hab' ich es mir vorgesprochen
und, in nimmersatter Qual,
mir das Herz damit zerbrochen!
(Eduard Mörike)

Laß mein Aug den Abschied sagen,
Den mein Mund nicht nehmen kann!
Schwer, wie schwer ist er zu tragen,
Und ich bin doch sonst ein Mann.
(Johann Wolfgang von Goethe)

Sei nicht verzweifelt, wenn es um´s Abschiednehmen geht.
Ein Lebewohl ist notwendig, ehe man sich wiedersehen kann.
Und ein Wiedersehn - sei es nach Augenblicken,
sei es nach Lebzeiten - ist denen gewiß, die Freunde sind.
(aus "Illusionen" von Richard Bach)

Glücklich sind wir zwei gegangen, immer gleichen Schritts,
was Du vom Schicksal hast empfangen, ich empfing es mit.
Doch nun heißt es Abschied nehmen und mir wird so bang,
jeder muss alleine gehen seinen letzten Gang.
(Verfasser unbekannt)

Vielleicht bedeutet Liebe auch lernen, jemanden gehen zu lassen, wissen, wann es Abschied nehmen heißt.
Nicht zulassen, dass unsere Gefühle dem im Weg stehen,
was am Ende wahrscheinlich besser ist für die, die wir lieben.
(Sergio Bambaren, "Der träumende Delphin")

Nur die fehlende Hoffnung auf ein Wiedersehen macht einen leidvollen Abschied.
(Achim Schmidtmann)
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(Johann Wolfgang von Goethe)
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  #6  
Alt 03.11.2006, 17:35
shalom shalom ist offline
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Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Hallo,

in einigen meiner früheren Beiträge zum Krankheitsgeschehen meiner verstorbenen Frau und zu unserem Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod war sicher zu erkennen, daß unser Glauben geholfen hat, das Unabänderliche anzunehmen.

Dabei weiß ich, daß jeder mit unausweichlichen Schritten und Lebensabschnitten ganz persönlich und individuell umgehen lernen muß.
Glauben, hoffen, dem Schicksal ausgeliefert sein: Jeder geht mit Krankheit, Sterben und Tod anders um.

Sowohl im Hinterbliebenforum wie auch im Unterforum zum Umgang mit Krebs hat es eine Reihe von recht kontroversen Beiträgen zum Einfluß von Glauben oder Nichtglauben auf das Krankheitsgeschehen bzw. Sterben gegeben.

Forums-Beiträge von "Nicht-Glaubenden" lehnten häufig und heftig eine Einfluß von höheren Mächten ab, die "Glaubenden" wiesen hingegen mit besonderer sprachlicher Eindringlichkeit auf die Einflußnahme höherer Mächte hin und stellten in einzelnen Fällen sogar kausale Abhängigkeiten zwischen religösem Wohlverhalten und Krankheitsverlauf her und/oder warfen Schuldfragen auf.

Wenn ich die vielen Beiträge (z.B. im Thread "AW: Annehmen, glauben, kämpfen! Mein Weg ... im Unterforum Umgang mit Krebs) mal Revue passieren lasse, fallen mir als früher sehr religiös erzogenem und von ehemals sehr vielen Bibelworten umgebenem Menschen auf:

Beiträge der sich als gläubig bezeichnenden Menschen arbeiten ausgesprochen viel mit Bibelzitaten, mit einer ganz besonders eindringlichen Sprache und einem besonderen Wortschatz und mit vielen "Du musst" und "Wenn, dann" - Vermutungen und mit einem besonders spürbaren moralischen Anspruch an sich selbst (und vielleicht auch an andere).

Es erscheint mir so, als wenn man durch diese gewählte besondere Eindringlichkeit meint, man könne eine eindeutige kausale Beziehung herstellen zwischen Glauben, Krankheit und Heilung. Diese Glaubenshaltung wirkt auf mich verkrampft und zwingt geradezu zum Widerspruch.

Wenn ich davon (für mich) ausgehe, daß mein Leben von einer höheren Warte begleitet wird, so kann ich das (inzwischen nun wieder) fröhlich tun, ohne dass ich an meinem Glauben gezweifelt habe, als meine Frau verstarb. Unser Glauben hat jedoch geholfen, das Unabänderliche anzunehmen. Die eigene Lebensorientierung und auch der neu zu definierende Lebenssinn wurde durch meinen eigenen Glauben eher gestärkt. Andere Menschen, die nicht glauben können, finden sicher einen für sie geeigneten anderen Weg, sich in ihrem Leben zurecht zu finden.

An meinem Verhalten, mich neu im Leben zurecht zu finden, musste ich allerdings hart arbeiten, denn ich bin der festen Überzeugung, Glauben ersetzt nicht nicht die tägliche Notwendigkeit, sich aktiv durch eigenes Handeln und Nachdenken neu zu bewähren. Eines ersetzt nicht das Andere, und durch den Glauben alleine tut sich auch nichts.

Mein Verständnis von Glauben ist inzwischen eher befreit, fröhlicher und mutiger als früher, da ich auch in für mich sehr stürmischen Zeiten erlebt habe, was es heißt: Mut zu haben zum Leben ,Mut zu haben zum Sterben, Mut zu haben zum Loslassen.

(Dies ist eine leichte Modfikation meines Beitrages aus http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...8&postcount=51)


Religion kann es erleichtern schwierige Wegstrecken im Leben besser zu bewältigen und zu ertragen.

Eine ganz große Rolle spielen wir aber auch selbst mit unseren Einstellungen, Haltungen, Taten, unseren Gefühlen, unserem Verstand. Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, wie wir uns selbst im Weg stehen können oder auch nicht. Wir können die Hände in den Schoß legen und alles ertragen, wir können aber auch aktiv und verantwortlich etwas tun. Das schließt eine religiöse Haltung ja gar nicht aus. Nur gibt es weder im religiösen Glauben noch durch Psychologie eindeutige kausale Abhängigkeiten: "Weil ich dies und das getan habe, muss das und jenes die Konsequenz sein oder haben"; das gilt auch für das religiöse Beten oder ein psychologisches Imaginationstraining.

Nachdenkenswert sind religiöse oder auch psychologische Betrachtungsweisen von Krankheit, Heilungsmechanismen bzw. Konflikten und deren Auflösungen jedoch allemal, das kritische Hinterfragen der eigenen Haltung sollte aber dabei ein steter Begleiter sein.

Krankheit und Konflikte muß man nicht in Demut ertragen, ich darf und (könnte) vielleicht auch AKTIV damit umgehen lernen.

Während der Frühphase der Krankheit meiner Frau spielte die sogenannte "positive Psychologie" von Dr. O.C. Simonton (USA) für sie eine wichtige seelisch aufbauende Rolle. Wir konnten diesen "frühen Vater" der Psychoonkologie sogar während einer Vortragsreise in Europa in Stuttgart selbst erleben.

Für Kranke wie Gesunde kann die von O.C. Simonton angeregte Betrachtung nützlich sein, wie wir mit unseren Gefühlen (z.B. auch mit Konflikten und Trauer) umgehen.

Psychoonkologie kann helfen, die stürmischen Umwälzungen der Gefühle durch z.B. eine Krebserkrankung zu hinterfragen, die "positive Pychologie" selbst bietet aber aus sich heraus keine Garantie für die Heilung von Krankheiten oder für eine Konfliktlösung.

(Dies ist eine leichte Modfikation meines Beitrages aus http://www.krebs-kompass.org/Forum/s...5&postcount=57)


Liebe Grüsse
Shalom
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  #7  
Alt 07.01.2007, 10:18
Blue Blue ist offline
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Beiträge: 193
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

In jeder Verfassung lese ich immer mal wieder etwas anderes für mich heraus. Auch um eigene Handlungsweisen zu verstehen. Und so ziehe ich jetzt meine Runde mit dem schwarzen Tütchen.

Bruni
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