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  #1  
Alt 21.02.2007, 19:09
DerSohn DerSohn ist offline
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Registriert seit: 21.02.2007
Beiträge: 1
Standard 12 Jahre danach? Ich bin jetzt erwachsen.

Hallo zusammen,

ich schreibe heute hier zum ersten Mal in dieses Forum, denn ich bin auf der Suche nach Gleichgesinnten. Es sind nun fast 13 Jahre vergangen seit dem mein Vater mich verlassen hat. Er starb im Frühjahr 1995 an Leukämie. Damals war ich 12 Jahre alt. Dies ist ein Alter, wo man zu alt ist, es nicht zu verstehen und zu jung ist, es im ganzen Ausmaß zu begreifen.

Noch heute träume ich manchmal davon, dass er einfach wieder da ist und alles beim Alten sei. Im Traum frage ich ihn dann: „Papa warum bist du wieder da?“ nehme es dann aber einfach hin, so wie man eben im Traum dazu bereit ist, Dinge anzunehmen die eigentlich nicht möglich sind. Wir machen dann da weiter wo wir aufhörten. Wir tauchen im Meer, reißen Witze und machen Lagerfeuer in einer warmen Sommernacht neben dem Zelt.

Ich bin heute 24 Jahre alt und an der Schwelle, mehr Zeit ohne ihn verbracht zu haben als mit ihm.
Das ist ein eigenartiges Gefühl, denn so wie ich heute lebe und mein Dasein verbringe, könnte ich es mir nur schwer vorstellen wie ich wäre, wenn all das damals nicht passiert wäre. Ich wäre ein anderer Mensch geworden, würde vielleicht einen anderen Beruf ausüben und auch sonst hätten sich viele Wege meines Lebens anders gestaltet.
Wenn mich heute Jemand fragen würde, ob ich all das Rückgängig würde (wenn ich es denn könnte). So wüsste ich sicher nicht sofort eine Antwort darauf.

Man sagt ja immer, dass die Toten in einem selbst weiterleben. Aber das stimmt nicht. Denn reden, tut er nicht mit mir und die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit verblassen. An seine Stimme, seinen Geruch oder Details unseres Zusammenseins kann ich mich nicht mehr errinnen. Ich weiß nicht mehr welche Laune er hatte wenn er morgens aufstand oder wie er reagierte wenn ich eine schlechte Note mit nach Hause brachte.

In Unserer alten Wohnung stehen nun andere Möbel, die Wände haben andere Farben und selbst der Blick aus dem Fenster ist ein anderer. Es ist der gleiche Ort und doch irgendwie nicht.

All das fehlt mir jetzt schon und egal ob jemand etwas anderes behauptet, die Erinnerungen werden weiter verblassen, werden weiter durch die Zeit andere Farben annehmen, die nicht mehr mit dem was war übereinstimmen.
Ja, die Zeit heilt Wunden, doch aus Wunden werden Narben und die kann man nicht heilen.

Es wird die Zeit kommen, wenn mich nicht ein anderes Schicksal erwartet, wo ich selbst Kinder haben werde. Ich werde dann hoffentlich der liebenswerte Vater sein, den ich selbst nur eine begrenzte Zeit hatte. Werde mit dem Kleinen (wenn es denn ein Junge werden sollte) vorm Spiegel stehen und ihm zeigen wie man sich rasiert, ihm auf einem abgelegenem Parkplatz zeigen wie man ein Auto zum fahren bringt und vielleicht, ja vielleicht sehen wie er einen Beruf erlernt, eine Freundin haben wird und Kinder bekommt wird.

Ich werde dann älter und reife sein als mein Vater, werde ihn überdauert haben, werde Falten im Gesicht kriegen und mit Stöcken gehen. Um dann, immer noch auf ihn hinauf zuschauen, wie der kleine 12 jährige Junge der ich einmal war (und irgendwie auch immer noch bin).

Ich bin nun auf der suche nach Menschen die ähnliches durchmachen mussten haben. Um euch zu fragen, wie es euch nach so lange Zeit damit geht.

Wie oft denkt ihr noch dran oder wenn eben nicht?
Was wurde aus anderen verletzten Kindern, die heute erwachsen sind?
Lebt ihr heute „normal“ oder nicht? Schreibt’s mir…

DerSohn
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  #2  
Alt 21.02.2007, 20:39
Benutzerbild von Beate'68
Beate'68 Beate'68 ist offline
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Beiträge: 85
Standard AW: 12 Jahre danach? Ich bin jetzt erwachsen.

Hallo,

wenngleich nicht an Krebs starb mein Vater vor bald 35 Jahren - ich war damals 4. Meine Schwester starb vor fast 15 Jahren und meine Mutter vor etwas mehr als 5 Monaten an Krebs - ich habe dazu einen Thread 'Stationen des Lebens' geschrieben.

Was Du schreibst kann ich bezogen auf meinen Vater und meine Schwester gut nachvollziehen. Du schreibst allerdings auch, daß es nicht stimmt, daß die Toten in uns weiterleben. Das sehe ich anders. Ich weiß von meiner Mutter, daß mein Bruder viele Gemeinsamkeiten mit meinem Vater hat. Außerdem habe ich in der Tochter meiner verstorbenen Schwester eben diese quasi noch mal aufwachsen sehen - meine Nichte war 3 als meine Schwester starb und an allen Ecken sehe ich meine Schwester, sei es in Körperbau, Gestik, Mimik u.v.m.!

Aber nun zu Deinen Fragen:
Du fragst 'Wie oft denkt Ihr daran'. Mein Vater ist - so hart sich das auch anhört - für mich kein Thema, er ist für mich ein Unbekannter und das sage ich ohne schlechtes Gewissen. Sicher, es gab Zeiten, da war das noch anders und Andenken an ihn habe ich lange Zeit wie einen Schatz gehütet und tue es teilweise noch heute. Erzählungen über ihn höre ich noch heute gern. Bei meinem Bruder hat mein Vater einen ganz anderen Stellenwert, er war damals fast 7 und meint sich noch etwas an ihn erinnern zu können. Beziehe ich Deine Frage auf meine Schwester bzw. meine Mutter, so ist es ganz anders. An beide denke ich (fast) täglich. Durch den Tod meiner Mutter haben sich die Gedanken an meine Schwester auch wieder deutlich intensiviert.

Du fragst 'Lebt Ihr normal'. Was passiert ist, ist passiert, es hat uns sicher auch geprägt. Meine Mutter und ich waren uns mal einig, daß vieles ganz anders verlaufen wäre, wäre mein Vater nicht gestorben, aber dann wäre ich auch nicht das, was ich heute bin. Die Situation, wie sie jetzt ist, ist allein bezogen auf den Tod meines Vaters für mich 'normal'. Beziehe ich die Frage auf meine Schwester, würde ich nicht von 'Normalität' sprechen - hinsichtlich meiner Mutter wird sich dies erst noch mit der Zeit zeigen müssen.

Du scheinst von Deinem Vater nach so vielen Jahren wirklich 'Abschied' zu nehmen. Zweifelst Du daran, daß das ok ist? Glaub' mir, er lebt in Dir fort.

Gruß
Beate

Geändert von Beate'68 (23.02.2007 um 19:53 Uhr)
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