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  #1  
Alt 25.06.2010, 14:47
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,

du schreibst von Schuldgefühlen. Was soll der Grund dafür sein? Der einzige Grund, schuldig zu sein wäre, wenn du schuldig an der Erkrankung deines Vaters wärst.

Ansonsten bist du Medizinerin. Tierärztin hin oder her, das spielt keine Rolle. Du hast gelernt, Diagnosen zu stellen und Befunde zu verstehen. Als Medizinerin bist du angehalten diese Dinge nüchtern zu sehen. Ich weiss, dass das nicht immer geht, viel weniger noch bei dem eigenen Vater. Einerseits ist ein Arzt dazu verpflichtet, dem Patienten immer die Wahrheit zu sagen. Andererseits steht die Frage im Raum: was will der Patient hören oder wissen.

Der Arzt stellt trocken und wissentschaftlich Diagnosen und Befunde aus. Sie enthalten immer die Wahrheit. Soweit es die Qualität des Arztes zulässt. Der Patient selbst versteht diese Dinge eher weniger. Eine ganz andere Geschichte hingegen ist das persönliche Gespräch mit dem Patienten. Hier gilt es auszuloten, wieviel Wahrheit der Patient verträgt und vorallem, was für seine Zukunft (und sei sie auch noch so kurz) einträglich ist. Auch hier (genauso wie bei der Behandlung selbst) stellt sich die Frage nach Quantität und Qualität des Lebens des Patienten während und nach der Behandlung. Ein Fehler an dieser Stelle kann durchaus fatale Folgen in medizinischer wie auch privater Hinsicht für den Patienten haben. Die Frage ist also: wie und was kann der Arzt dem Patienten erzählen, ohne ihn über Gebühr zusätzlich zu belasten und vorallem ohne ihn zu belügen?

OK, es geht um deinen Vater, du bist in erster Linie Angehörige. Normalerweise besitzen Angehörige ein eher gefährliches Halbwissen, sofern sie sich mit der Krankheit auseinander setzen. Wenn überhaupt. Für sie ist es noch sehr viel schwieriger auf Fragen des Betroffenen zu antworten. Wobei sich für sie zwangsläufig die gleichen Fragen stellen wie oben: wie, was und wieviel. Hinzu kommen noch Emotionen, Gefühle und (meist) die Liebe, die sie mit den Betroffenen verbindet.

Um die Fragen deines Vaters zu beantworten, hast du zwei Vorteile. Zum Ersten weisst du haarklein Bescheid über seine Krankheit und zum Zweiten liebst du deinen Vater und kennst ihn ganz genau. Seine Frau (sie ist nicht deine Mutter, denke ich) liebt ihn sicherlich auch, doch fehlt ihr das richtige, fundierte Wissen. Deshalb handelt sie so, wie viele Angehörige. Das wird auch genau der Grund sein, warum dein Vater gerade dich mit seinen Fragen löchert.

Der Titel deines Threads ist ein bisschen irreführend. Ehrlichkeit muss immer sein. Ob man nun stückchensweise Antworten gibt oder unverblümt die volle Wahrheit erzählt. Ein bisschen Ehrlichkeit, also eine Halbwahrheit im Sinne des Wortes, gibt es nicht. Nicht an dieser Stelle. Das hätte fatale Folgen. Der Titel hiesse besser: "Wie, was und wieviel darf ich wann erzählen?"

Nach dem, was ich lesen konnte, machst du das genau richtig. Du hörst auf deine Gefühle und auf deinen Bauch. Letzterer ist in solchen Dingen eh der bessere Ratgeber. So viel über die Wahrheit. Es gibt jedoch auch Patienten und Situationen, bei welchen eine gnädige Lüge durchaus angebracht sein kann. Ich denke, dein Vater gehört nicht zu den Letzteren. Ich drück euch allen die Daumen.


Alles Gute

Helmut
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  #2  
Alt 26.06.2010, 20:37
Benutzerbild von Natascha85
Natascha85 Natascha85 ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Hallo Moonchild,
hab dir ne PN geschickt. Aber sei gefasst. Ist seeeeeeeehr lang.
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  #3  
Alt 27.06.2010, 00:18
chaoskatze chaoskatze ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Ich finde es toll, wie du es ihm erzählt hast. Gebe den anderen recht - er hat explizit danach gefragt, ist bei vollem Bewusstsein, setzt sich damit auseinander. Und genau mit diesen Fragen hat er auch das Recht auf die Antworten. Augenscheinlich hat er mit dir da wirklich tolle Bedingungen - weil du in der Lage bist, Emotionen und Verstand zu trennen, das können viele oft nicht, gerade in so einer Situation.

Mir war es als Betroffene immer wichtig, möglichst schnell konkrete Antworten zu bekommen, hatte auch meine Ärzte gefragt, wie lange ich noch habe.

Und was mir noch dazu einfällt - ich denke oft, dass Angehörige es häufig schlimmer haben als die Betroffenen. Denn unsereins ist in der Aktion an sich, handelt, reagiert... ihr seid hilfloser, klar. Zurückbleiben ist oft schlimmer als Gehen.

Ich denke, das Richtige machst du instinktiv: ihm das Gefühl zu geben, das du immer für ihn da bist.
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  #4  
Alt 27.06.2010, 01:04
danja danja ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Zitat:
Zitat von HelmutL Beitrag anzeigen
Andererseits steht die Frage im Raum: was will der Patient hören oder wissen.
Auch wenn ich mit meiner Meinung ganz allein dastehe, genau diese Aussage von Helmut ist für mich der springende Punkt.

Kann man so über sich hinauswachsen, wissen zu wollen, daß und wann es soweit ist?

Mein Mann konnte es nicht, und ich befürchte, ich werde es eines Tages auch nicht können.

Du kannst Deinen Vater einschätzen, moonchild, und Du wirst am besten wissen, was Du Deinem Vater sagen kannst.

Geändert von danja (27.06.2010 um 01:06 Uhr)
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  #5  
Alt 28.06.2010, 02:18
Boxerhund1 Boxerhund1 ist offline
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Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

hallo Moonchild,

hab erst jetzt mal bei dir nachgelesen, worum es überhaupt geht.

Schließe mich im Großen und Ganzen Helmut an. Als Tierärztin hast du viel mehr Wissen, als die meisten Angehörigen haben.

Der Punkt ist, daß dein Vater explizit von dir wissen wollte, was da ist. Er hat dich eingeschaltet, weil er es wissen wollte - und er hat dir vertraut, daß du ihm das dann auch sagst.
Und da sollte er dir dann auch vertrauen können. Wenn du ihn da jetzt angelogen hättest, so wie deine Stiefmutter es wollte, dann hätte er auch zu dir das Vertrauen verloren. Und dieses Vertrauen wird er noch brauchen die nächsten Monate - das Vertrauen, daß du es ehrlich meinst mit ihm.

Manchmal - in bestimmten Fällen - gibt es auch eine Situation, wo eine barmherzige Lüge eher angebracht ist, aber bei dir und deinem Vater sehe ich das nicht, so wie du es beschreibst. Ich finde, du hast es genau richtig gemacht. Wenn ein Patient explizit fragt, dann muß man ihm die Wahrheit sagen - die ganze Wahrheit, wenn auch richtig dosiert. Und das hast du getan - und das war richtig.

Wenn deine Stiefmutter jetzt Streß macht und dir Vorwürfe, dann laß dich davon nicht irritieren. Dein Vater braucht dich - und er muß dir vertrauen können. Was sie denkt und will, ist dabei völlig unwichtig. Also.... laß dich nicht von ihr stressen.
__________________
Liebe Grüße, Cori

Als Angehörige kam ich, als Hinterbliebene blieb ich.

Mama: 4.10.1924 - 29.6.2009
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  #6  
Alt 29.06.2010, 16:23
moonchild moonchild ist offline
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Ort: Berlin
Beiträge: 7
Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Heute hat die palliative Chemo von meinem Vater begonnen. Ich war gerade da und mir gehts wirklich gut! Habe mich mit ihm ganz in Ruhe unterhalten können und er hat ganz offen gesagt dass er mir "den Auftrag" gegeben hätte mit seinem Arzt zu reden und dass er immer alles wissen will.

Er meinte dass er es schlimm fände und sauer werden würde, wenn er nicht die Chance hätte, zu wissen was los ist und zu entscheiden was er in der verbleibenden Zeit machen will.

Ich bin wirklich so froh dass er so offen mit mir geredet hat und auch nicht mehr so fertig wirkte wie die letzten Tage. Ich denke dass jetzt eine harte Zeit kommt (bin gegangen und habe ihn allein mit seiner Frau gelassen, weil ihm das sonst alles zuviel wird), mal sehen wie es ihm morgen geht.

Ich freue mich so, dass er so damit umgeht und offen ist.

Jetzt gehe ich in den Park + ruhe mich aus!

Momentan denke ich dass man wirklich jeden guten Moment 100% genießen sollte, weil man nicht weiß, wann es wieder schlecht wird
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  #7  
Alt 29.06.2010, 20:28
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blueblue blueblue ist offline
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Ort: Lüneburg, Niedersachsen
Beiträge: 534
Standard AW: wieviel ehrlichkeit ist richtig?

Liebe Moonchild,

siehst du.... Dein Paps wußte also doch schon intuitiv, was da auf ihn zu kommt. Damit hat er nun die Möglichkeit, seine Sachen zu erledigen, was immer es auch sein möchte. Er hat die Möglichkeit sich zu verabschieden, es braucht nichts ungesagt bleiben.

Und du weißt nun, dass du wirklich alles genau so getan hast, wie dein Paps es von dir erwartet hat. Du brauchst darüber nicht mehr zu grübeln und kannst dich voll und ganz der Begleitung deines Vaters widmen.

Ich hoffe und wünsche für euch, dass ihr noch möglichst viele gute Zeiten habt.

Liebe Grüße
blueblue
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