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  #1  
Alt 11.08.2009, 11:28
Mapa Mapa ist offline
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Standard AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Liebe Twinkle,
nachdem das Thema anfänglich "etwas entgleist" ist, habe ich jetzt noch einmal Dein erstes posting gelesen. Ich denke, dass wir Angehörigen die Dinge immer von einer ganz anderen Seite sehen. Natürlich meinen wir es nur gut, wenn wir unterstützen, Ratschläge geben, uns überall erkundigen und schlau machen, was man alles tun kann, welche Chemos es gibt, welche anderen Optionen, usw. usw. Natürlich ist es unser Anliegen, dass die geliebten Menschen solange bei uns bleiben, wie es geht. Ich denke, dass auch die Betroffenen es selber so sehen am Anfang und dass sie "kämpfen" wollen, wie es immer heißt. Je nach den Begleitumständen klappt das oft auch ganz gut, aber eben nicht immer. Jeder Mensch hat seine Grenzen. Und wenn wir Angehörigen dann meinen: "Ach, die erste Chemo hat doch ganz gut geholfen, also probieren wir auch noch die nächste, es geht Dir doch jetzt ganz gut", dann ist das aus der Sicht des Gesunden. Für den Betroffenen ist es ganz anders. Durch seine Adern läuft das Gift, sein Körper wird durch CTs, MRTs, OPs, usw. usw. geschunden und gequält. Der Betroffene hat ständig die Nebenwirkungen zu ertragen, ihm ist es schlecht, er hat Schmerzen, usw. Und manchmal - ich denke bei Deinem Papa war es so - verliert man sogar seine Würde (diese Grenze ist eben bei jedem individuell). So, wie Du es geschildert hast, war Dein Papa kurz vorher ganz klar in seinem Denken. Ich denke, dass er "seine Grenze" erreicht hatte und sich bewusst für diesen Schritt entschieden hat, um eben seine Würde für sich zu behalten. Und nicht zuletzt eben auch für Euch. Er wollte bestimmt in Eurer Erinnerung so sein, wie er früher war. Erinnere Dich an Dein ganzes Leben vorher. War er nicht immer für Dich da, hat mit Dir gelacht, geweint, vieles unternommen, usw.? Hat er nicht immer für Euer Wohl entschieden? Ich gehe mal davon aus, dass es so war. Jetzt am Schluss hat er dann einmal in seinem Leben mehr für sich entschieden. Ich denke nicht, dass er sich das leicht gemacht hat. Aber so war es dann sein Wille und ich denke, dass Du ihm das verzeihen kannst.
Der Verlust, der Schmerz und die Trauer sind groß, das ist natürlich so. Aber in Deinem Herzen wird Dein Papa immer weiterleben. So hätte er es bestimmt gewollt. Aber eben so, dass Du an das ganze Leben mit ihm vorher denkst und nicht die letzten Wochen, die er es so schwer hatte. Irgendwann einmal wird Dir das auch gelingen, da bin ich sicher. Irgendwann wirst Du ihm dieses eine Mal, wo er für sich entschieden hat, verzeihen können und vielleicht sogar verstehen können.
Alles Liebe,
Mapa
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  #2  
Alt 11.08.2009, 14:59
Stefans Stefans ist offline
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Beiträge: 426
Standard AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Mapa,

Zitat:
Zitat von Mapa Beitrag anzeigen
Ich denke, dass wir Angehörigen die Dinge immer von einer ganz anderen Seite sehen. Natürlich meinen wir es nur gut, wenn wir unterstützen, Ratschläge geben, uns überall erkundigen und schlau machen, was man alles tun kann, welche Chemos es gibt, welche anderen Optionen, usw. usw. Natürlich ist es unser Anliegen, dass die geliebten Menschen solange bei uns bleiben, wie es geht. Ich denke, dass auch die Betroffenen es selber so sehen am Anfang und dass sie "kämpfen" wollen, wie es immer heißt. Je nach den Begleitumständen klappt das oft auch ganz gut, aber eben nicht immer. Jeder Mensch hat seine Grenzen.
Irgendwo hier in den Foren habe ich mal einen sehr schönen Ausspruch gelesen: "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Jahre zu geben. Sondern den Jahren mehr Leben." Da ist was dran. Mein Anliegen war nicht, meine Frau "solange, wie es geht" bei mir zu behalten. Und ihr Anliegen war nicht, solange zu bleiben, wie es irgendwie geht. Sondern in Frieden, Würde und Selbstbestimmung gehen zu dürfen.

Was das "Kämpfen" und die guten Ratschläge betrifft, wurde meine Frau auf ihre alten Tage, kurz vor ihrem Tod, noch richtig kämpferisch. In dem Sinne, dass sie Leute, die solche dummen Sprüche abgesondert haben, damit es ihnen selbst besser geht, konsequent abgelehnt hat. Sie hat mir gesagt, dass sie sowas nicht mehr hören will, und ich habe sie dagegen abgeschirmt. Telefonate und Besuche von Menschen mit bestimmter Geisteshaltung einfach abgeblockt.

Meine Frau hatte BK mit Metastasen in Nebennieren und Lymphsystem. Die schneller wuchsen, als man gucken konnte. Schon vor dem Chemo-Versuch war fast klar, dass sie sterben muss. Bei ihrer Befundlage war die Statistik eindeutig: die Chemo wird nur mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 10 % ihr Leben verlängern (und nur die Dauer - nicht die Lebensqualität). Als die Chemo nach einigen Terminen erfolglos abgebrochen wurde, weil die Metas so schnell wie vorher weiter wuchsen und sie körperlich immer schneller abbaute... da war endgültig klar, dass sie sterben muss.

Und ab da, das muss man meiner Prinzessin lassen, hat sie im Angesicht des Todes in ihren letzten Monaten plötzlich mehr Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit entwickelt als in vielen Jahren zuvor. Sie wollte weder "alte Bekannte" sehen, die sich seit Urzeiten nicht gemeldet hatten, aber plötzlich bei der Todkranken nochmal Händchen halten wollten. Auch keine "Ratgeber", die von den und den neuen Behandlungsmöglichkeiten schwätzen mussten. Schon gar keine "Gesundbeter", ob religiös motiviert oder nicht, die an Gottvertrauen, Zuversicht und da-darf-man-doch-den-Mut-nicht-verlieren appelliert haben. Auch nicht den Stationspsychologen, und auch nicht ihre Onkologin, die die wirklich unbegreifliche Instinktlosigkeit besessen hat, meiner Frau ins Gesicht zu sagen, dass man ja "medizinisch noch lange nicht am Ende" wäre, aber dass es dabei sehr auf den "Kampfeswillen" meiner Frau ankäme. Mit dieser Onkolgin (die meine Frau seit 2 Jahren kannte und soviel Menschenkenntnis hätte zeigen müssen, meiner Frau spätestens zu diesem Zeitpunkt so einen Dummschwatz über medizinische Möglichkeiten und "Kampfeswillen" zu ersparen) hatte ich dann noch in Abwesenheit meiner Frau ein sehr direktes und ausgesprochen unschönes Gespräch. Manche Ärzte vertragen es nunmal nicht, wenn man ihnen sagt, was man von ihrer sozialen Kompetenz hält.

Zitat:
Der Betroffene hat ständig die Nebenwirkungen zu ertragen, ihm ist es schlecht, er hat Schmerzen, usw. Und manchmal - ich denke bei Deinem Papa war es so - verliert man sogar seine Würde (diese Grenze ist eben bei jedem individuell).
Ja. Ich denke, dass man sich das als gesunder Mensch kaum vorstellen kann. Es sind ja schon ganz intime Dinge. Wenn man sich nicht mehr waschen kann, sondern das jemand macht, der einem fremd ist. Wenn man nicht mehr auf's Klo gehen kann, sondern im Krankenzimmer auf dem WC-Stuhl hockt - und Mitpatienten und Schwestern / Ärzte einfach so reinplatzen und zugucken. Schwer vorzustellen, wie entwürdigend sowas ist. Bei meiner Frau wurde es ein paar Tage vor ihrem Tod noch schlimmer, mit Blasenkatheter und Windeln. Mir hat es nichts ausgemacht, ihr die Windeln zu wechseln und sie zu waschen. Schließlich war sie meine Frau. Aber wie ich mich fühlen würde, wenn umgekehrt meine Frau das bei mir tun müßte, weiss ich ganz genau. Ich würde schnellstmöglich sterben wollen, als jemandem so zur Last fallen...

Viele Grüße,
Stefan
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  #3  
Alt 11.08.2009, 15:39
Mapa Mapa ist offline
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Beiträge: 1.087
Standard AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Stefans,
ich kann Deinen Auführungen nur zustimmen. Ich hatte das Wort kämpfen bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil es eben etwas zwiedeutig ist. Aber es wird eben gerne benutzt, wie Du an den Worten der Onkologin bei Euch auch sehen konntest.
Zitat:
Manche Ärzte vertragen es nunmal nicht, wenn man ihnen sagt, was man von ihrer sozialen Kompetenz hält.
Auch hier kann ich Dir nur uneingeschränkt (aus mehreren eigenen Erfahrungen) zustimmen. Ich würde die soziale Kompetenz sogar noch auf medizinische Kompetenz erweitern. Wobei ich betonen möchte, dass Ausnahmen die Regel bestätigen.
Zitat:
Aber wie ich mich fühlen würde, wenn umgekehrt meine Frau das bei mir tun müßte, weiss ich ganz genau. Ich würde schnellstmöglich sterben wollen, als jemandem so zur Last fallen...
Das meinte ich mit eigener Grenze. Auch ich hätte das jederzeit für meinen Mann gemacht (wenn es nötig gewesen wäre). Ich weiß auch, dass mein Mann das jederzeit für mich gemacht hätte. Aber ich persönlich würde das nicht wollen. Weniger wegen meines Mannes, der es wahrscheinlich gar nicht als Last empfunden hätte (doch, möglicherweise seelisch, das bestimmt), als wegen meiner eigenen Einstellung dazu. Ich würde das nicht wollen, weil es für mich eine unmögliche Vorstellung ist, nicht mehr selbst für mich entscheiden zu können und nur noch durch die Dienste anderer, zum größten Teil auch fremden Menschen, am Leben erhalten zu werden. Unter Bedingungen, die ich gar nicht will. Und für meine eigene Menschenwürde ist es wichtig, den Zeitpunkt selber entscheiden zu können, wenn ich einem Zustand, den ich nicht will, mit einer anderen Lösung zuvor komme. So traurig es für die Angehörigen oder Außenstehenden auch sein mag, dass ich nicht mehr "kämpfen" will, darauf könnte ich dann leider keine Rücksicht nehmen.
Liebe Grüße,
Mapa
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  #4  
Alt 11.08.2009, 21:29
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HelmutL HelmutL ist offline
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Beitrag AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Mapa, hallo Stefans,

GsD. gibt es diese Ärzte mit sozialer Kompetenz. Ich kenne mehrere Beispiele dafür.

Zum ersten mein Schwiegervater. Mehrere Herzinfarkte, Schlaganfälle, Steinstaub-Silikose 100%. Bis einige Monate vor seinem Tod immer lebensbejahend. 35 Jahre ist er immer wieder aufgestanden. Bis es dann auch für ihn so weit war. Das kurz zum Verständnis. Als er dann auf der Intensivstation untersucht und verschiedene Dinge medizinisch abgeklärt waren, kam der leitende Arzt zu uns (wir warteten vor der Tür auf Einlasss, mein Schwiegervater lag da bereits im Koma) und sagte sinngemäss folgendes zu meiner Schwiegermutter: "Wir können versuchen ihren Mann auf Biegen und Brechen solange wie möglich am Leben halten. Ihr Mann wird hier sterben, so oder so. Ich bin Arzt geworden um den Menschen zu helfen, nicht um sie zu quälen. Ich, als Arzt, nehme mir die Freiheit die Kompetenz zu besitzen entscheiden zu können, ab wann eine Behandlung nicht mehr für sondern gegen den Patienten ist. Und genau das ist der Zeitpunkt dem Patienten ein würdiges, friedliches Sterben zu ermöglichen. Wenn sie damit einverstanden sind, werde ich für ihren Mann diesen Zeitpunkt bestimmen."

Meine Frau und ich waren bei einem Onkologen um eine Zweitmeinung einzuholen: "Ich wäge sehr genau ab zwischen Sinn und Unsinn einer Behandlung. In bestimmten Fällen geht es nicht darum, den Krebspatienten mit allem, was uns zur Verfügung steht, möglichst lange am Leben zu erhalten, sondern ihm zu ermöglichen, die ihm verbleibende Zeit mit möglichst hoher Lebensqualität zu verbringen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist eben nicht mehr die Quantität sondern die Qualität des Lebens das Kriterium für Entscheidungen. Ich habe den Fall eines jungen Krebspatienten. Ich kann sein Leben vielleicht noch ein Jahr verlängern, nur zu welchen Bedingungen. Ich kann aber auch dafür sorgen, dass er die vielleicht letzten 3 Monate seines Lebens mit einer relativ hohen Lebensqualität erleben darf. Ich werde ihm beides anbieten, ich muss das tun, jedoch das zweite vorschlagen. Ich sage ihnen das, damit sie wirklich verstehen, was ich ihnen, nach meiner Kenntnis ihrer Krankengeschichte und nach meinem persönlichen Eindruck, den ich mir von ihnen machen konnte, jetzt sage: Ich würde ihnen empfehlen, den Behandlungsvorschlag meines Kollegen anzunehmen. Die letztendliche Entscheidung liegt selbstverständlich bei ihnen."

Genau das bestätigte mir in einem privaten Gespräch nach dem Tod meiner Frau auch ihr behandelnder Professor.

Genau dasgleiche tat der Arzt bei meiner Frau auf der Intensivstation. Er entschied, sie ins künstliche Koma zu legen und ihr eine hohe Sauerstoffgabe zu verabreichen. Er wusste sehr genau, was er damit tat: sie würde daraus auf keinen Fall wieder erwachen, er ermöglichte ihr ein friedliches Sterben. Er wusste und erklärte es uns, dass sie sich durch den Sauerstoff selbst vergiftete. Klingt paradox, ist aber so in diesem Fall. Es gab keine andere Möglichkeit mehr ihr Sterben menschlich zu gestalten, in Würde, ohne Qualen.

Ob sie selbst jemals über Suizid nachgedacht hat, weiss ich nicht. Vielleicht ist es jedoch auch eine Art des Suizids, sich in ein Krankenhaus zu begeben, wohlwissend, dass man da lebend nicht mehr herauskommt. Vielleicht mit der begründeten Hoffnung, dann dort die Möglichkeit für ein menschiches Sterben zu haben?

Die Aussagen der Ärzte, die ich hier niedergeschrieben habe, sind natürlich nicht wörtlich so in meiner Erinnerung. Sie treffen aber auf jeden Fall den Sinn des Gesprächs mit ihnen.


alles Liebe

Helmut
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