Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Angehörige

 
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 07.08.2011, 22:54
Clabimo Clabimo ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 06.08.2011
Beiträge: 3
Standard Ständiges auf und ab... oder nur noch ab?

Hallo und guten Tag. Nach langer Zeit des stillen Mitlesens habe ich mich nun durchgerungen und mich hier angemeldet. Angemeldet, weil ich hoffe, hier Informationen zu bekommen... Informationen, die ich bisher nicht bekommen habe - mir verweigert wurden. Informationen, die ich nicht wollte.
Gleichzeitig hoffe ich auf vielleicht ein bisschen (mentale) Unterstützung oder Begleitung.
Ich möchte an dieser Stelle schon einmal sagen, dass mir die vielen letzten Monate des stillen Mitlesens bereits immer sehr geholfen haben und ich mich immer, wenn ich Euch allen hier nur "zugehört" habe, doch schon sehr gut aufgehoben gefühlt habe. Vielen Dank unbekannterweise dafür und für die Einblicke die ich erfahren durfte.

Vieles von dem was ich nun erzähle, kenne ich selbst nur aus Erzählung, habe das Meiste über Dritte erfahren. (Liegt leider an "NICHT SO GUTEN FAMILIENVERHÄLTNISSEN" und mit daran, dass ich einige hundert Kilometer entfernt wohne... Abstand habe/hatte)

Mein Vater hatte im Frühjahr 2009 zu Hause einen Unfall. Ihm ist bei Baumsägearbeiten ein Ast auf die Schulter gefallen. Wochenlang quälte er sich mit Schmerzen in Arm und Schulter - wollte sich aber nicht ärztlich behandeln lassen. Widerum Wochen später stellte seine Lebensgefährtin beim Essen fest, dass er nur die linke Hand benutzte, mit dem Löffel seinen Mund nicht richtig traf und ihm (sorry, wenn ich das so schreibe...) die Suppe wieder aus dem Mund lief.
Mit Blaulicht und Krankenwagen wurde mein Vater mit Verdacht auf Schlaganfall durch 4!!! VIER!!! Krankenhäuser gereicht. Im 5ten Krankenhaus hat ihn ein Arzt gebeten, einige Schritte zu laufen. Danach die Diagnose auf dem Krankenhausflur: Dieser Mann hat einen Gehirntumor und wenn es Angehörige/Kinder gibt (seine seit 30 Jahren Lebensgefährtin zählt nicht!!!! verrückt, oder?) - also, wenn es Kinder gibt, mögen die bitte sofort informiert werden, sofern sie den Vater nochmal lebend sehen möchten. WUMMMMM!!!!

In weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass erst der Lungenkrebs da war und die Tumore im Kopf gestreute Metastasen waren, die die körperlichen Lähmungserscheinungen der gesamten rechten Körperhälfte verursacht haben - also kein Schlaganfall... Es folgten wohl Monate mit Kopfbestrahlung und Chemos. (Von Euch hier weiß ich, dass Bestrahlungen extra sein mussten, weil Chemos den Kopf nicht erreichen - vielen Dank an dieser Stelle mal wieder)

Sorry, es fällt mir gerade sehr schwer weiter zu erzählen... die richtigen Worte zu finden...

Ich wurde seither 2 Jahre lang, mindestens 1 x wöchentlich von der Freundin meines Vaters (zu ihr habe ich ein recht gutes Verhältnis) angerufen. Immer mit der Bitte, ihn doch zu besuchen.
Vor ca. 4 1/2 Monaten, bin ich tatsächlich gefahren. Ich weiß nicht warum... Ich kann nicht sagen warum - ich weiß es nicht.
Mein fester Vorsatz war: Ok, ich komme. Fällt aber auch nur 1 falsches Wort... Ich bin schneller wieder weg, als ich angereist bin. Und wenn ich dieses Mal gehe, dann gehe ich nicht, ohne gesagt zu haben, was ich schon immer mal hätte sagen sollen....

Kennt ihr dieses Gefühl? Dieser Vorsatz. Diese Erwartungshaltung? All diese Worte, die man sich zurecht legt... Wenn, dann... Diese Härte? Kälte? Diesen Selbstschutz und diese Mauer, mit der man schon losgeht...

Also, ich habe meinen Vater besucht. Um die Situation zu "entspannen", sind meine Schwester (42) und meine Tochter (16) mitgekommen. (Ich selbst bin übrigens 44)

Mein Vater liegt seit kurz vor meinem ersten Besuch in einem Pflegeheim. Er war wieder mal gestürzt, hatte sich dabei die Schulter gebrochen. Innerhalb weniger Tage hat er wohl wieder so massiv "abgebaut". Seit dieser Zeit ist es nicht mehr möglich, dass er weiter alleine in seinem Haus wohnt, bzw. bei seiner Freundin im Haus. Er stürzt regelmässig. Er würde niemals eine Betreuung durch einen Pflegedienst IN SEINEM HAUS zulassen... (muss ich nicht weiter erklären, oder???) Seine Freundin ist fast 70 und kann ihn bei sich zu Hause auch nicht weiter alleine betreuen. Wir 2 Töchter kommen aus "verschiedenen Gründen auch nicht in Frage...

Was mich dann erwartet hat... Ich kann es immer noch nicht begreifen.

Mein Vater hat mir wortlos die Hand gereicht und mich dabei angesehen. Mir in die Augen geschaut.

Dieser Mann, diese stattlich, große und kräftige Person, wie ich sie in Erinnerung hatte...

Da lag ein kleines zusammengefallenes Menschlein vor mir. Aufgedunsen, mit einem Flaum weisser Haare, schaute mich aus tiefliegenden Augenhöhlen an, hält mir seine zittrige Hand hin und wartet, ob ich sie nehme.

Ich habe seine Hand genommen. Er hielt meine Hand fest, schloss seine Augen und ich sah, wie Tränen aus seinen Augen, über seine Wangen aufs Kissen rollten.

Nun, ich war an diesem Tag ca. 1 Stunde bei ihm. Seitdem besuche ich ihn in Abständen von 3-4 Wochen immer wieder. Inzwischen reden wir doch "relativ" viel miteinander. Belangloses Zeug eigentlich... Ich glaube, es ist einfach der Moment des Zusammenseins. Eigentlich müsste auch niemand von uns etwas sagen.
Ich geniesse diese Zeit und ich fühle, dass er das auch tut. Neulich habe ich ihn im Rollstuhl spazieren gefahren und er hat mir Sachen aus meiner Kindheit erzählt, an die er sich erinnerte.

Nach wie vor habe ich aber so ein "Paket" in mir, was ich nun schon so viele Jahre mit mir trage. Ich würde ihm so manches gerne sagen. Seltsamerweise ist das aber völlig unwichtig, wenn ich dann zu Besuch bin. Ich denke dann immer, das erreicht ihn heute eh nicht mehr. Und wenn ich dieses kleine Menschlein dann sehe, habe ich sogar ein schlechtes Gewissen... Also sage ich wieder nichts.

Nur ein einziges Mal hat er fast beiläufig von seinem Krebs erzählt und dass er sehr krank ist. (So, als wenn ich das bis dahin nicht gewusst hätte. Er hat das erzählt, als ob er gerade eine Erkältung hat)

In den letzten 4 1/2 Monaten habe ich versucht (tue das immer noch), eine Beziehung zu meinem Vater aufzubauen. Ihm wieder näher zu kommen und auch seine Annäherung zuzulassen.

Über seine Krankheit redet er nach wie vor nicht. Seine Freundin hat mich neulich (heimlich und ohne sein Wissen) einen Blick in einen, allerdings schon älteren, Arztbericht werfen lassen. Ich bin inzwischen an einem Punkt, wo ich "mehr" wissen möchte. Ich habe erfahren, dass mein Vater, kurz bevor ich ihn das erste mal besucht habe, bis auf seine "normalen" Medikamente die er bekommt, jegliche weitere Behandlung abgebrochen hat und auch weiter ablehnt. Also, keine weiteren Chemos oder Bestrahlungen. Er hat beschlossen, dass es ihm OHNE besser geht.

Ich weiß nicht, welche Medikamente er bekommt. In dieses Pflegeheim kommt hin und wieder seine Hausärztin und stellt ein neues Rezept aus. Von einem Pfleger habe ich (unter vorgehaltener Hand) erfahren, dass er seit kurzem eine höhere Dosis Morphin bekommt. Mein Vater hat das kurz damit abgetan, dass er noch eine Tablette gegen die Schmerzen nehmen muss...

Aus diesem, wie gesagt, bereits älterem Arztbericht habe ich einige Notizen. Der Bericht ist aus Dezember 2010. Vielleicht kann mir die Notizen/Verlauf jemand näher erklären?

primär cerebral metastasiertes nicht kleinzelliges Bronchialkarzinom Stad. IV
Adenokarzinom G2, Rezeptoren CK7 pos., TTF-1 pos.
deutl. Größenzunahme mediast. Lymph. und intrapneumon. Herde
suspekte Mehranreicherung BWK 5
fleckige Mehranreicherung im Skelett

Bisherige Behandlung: 7. Zyklus Penetrexed, Cisplatin, Vinorelbin, Torasemid, Oxycodon

Also, soweit das für mich als "Laie" verständlich ist: Lungenkrebs, von Anfang an inoperabel, Metas im Kopf, inzwischen auch das Knochengerüst zerfressen, daher bei jedem Sturz auch sofort alle Knochen immer gebrochen...
Was bedeuten diese ganzen Zahlen und Buchstabenabkürzungen?

Wie gesagt, der Bericht/Verlauf ist aus dem letzten Dezember. Die letzte Chemo war ca. im Februar. Seitdem kann er seinen rechten Arm inzwischen fast gar nicht mehr bewegen. Der Arm ist immer wieder sehr stark angeschwollen. Wasseransammlung??? Er zieht sein rechtes Bein wieder nach, soweit er überhaupt 3-4 Schritte geht. Er redet immer langsamer, vergisst, bzw. wiederholt sich ständig, isst inzwischen nur noch sehr unregelmässig, bzw. nur noch Sachen, auf die er wirklich Apetit hat....

Ich weiß, dass wir nur noch sehr wenig Zeit miteinander haben. Ich weiß auch, dass ich nichts ändern kann. Schmerzhaft wird mir mehr und mehr bewusst, wieviel wir zusammen hätten haben / erleben können - verpasst haben und nun nicht mehr aufholen können. Diese Hilflosigkeit macht mich regelrecht mürbe.

Ich weiß, dass jeder von Euch seine eigene Geschichte hat. Ich würde mich trotzdem mächtig freuen, vielleicht einige Erklärungen zu den "Diagnose-Zahlen und Buchstaben" zu bekommen.

Nun, jetzt habe ich mich hier registriert, Euch meine Geschichte geschrieben und ich kann sagen, dass es mir seit mehr als 4 Monaten erstmalig etwas besser geht. (Oder doch eigentlich schon seit Jahren???) Ein Gefühl von: endlich ist es mal raus. Ich kann gar nicht beschreiben, wie erleichtert ich mich jetzt gerade fühle. Auch, wenn ich doch ziemlich geschafft bin und während dieses Schreibens viele Tränen vergossen habe.

Vielen Dank an dieser Stelle, dass vielleicht jemand meine Zeilen liest und mir zuhört. Für Erklärungen wäre ich natürlich auch sehr dankbar.

Euch allen liebe Grüße und ganz viel Kraft...

Claudia
Mit Zitat antworten
 

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 23:07 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55