Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Hinterbliebene

 
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 16.02.2009, 11:18
Taddl Taddl ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 22.06.2008
Ort: Mittelfranken
Beiträge: 106
Standard Was ein be****scheidenes Jahr 2008

Hallo ihr alle,

ich hoffe ich finde heute die richtigen Worte um hier ins Hinterbliebenen-Forum zu schreiben. Ich liege abends oft auf dem Sofa und da weiss ich Worte ganz genau, dann sitzte ich hier vor der Tastatur und habe den Eindruck alle Gedanken drehen sich und ich bekomme keinen vernüftigen Satz aufs "Blatt".

Ich lese mich bereits seit einigen Monaten durchs Forum.
Seit mein Vater starb bin ich öfters hier und lese die Beiträge von Betroffenen und versuche irgendwie Trost zu spenden. Aber ich glaube so langsam ist es an der Zeit, meine eigene Trauer zu verarbeiten.

Bei mir begann das Jahr 2008 schon ganz schlecht. Am 20.01.2008 verstarb mein Schwiegervater in Spanien, d.h. schnell den Flug buchen, 8jährige Tochter bei der Mutter "parken" und sonst halt alles was dazugehört.
Wir kamen in Spanien an und ich erfuhr, das dort die Verstorbenen in einem Trauerraum (hinter Glas) bis zur Beerdigung (ca. 3 Tage) aufgebahrt werden. Die ganze Familie kommt und verabschiedet sich. Meine Schwiegermutter blieb dort die gesamten 3 Tage. Anfangs fand ich es total albern vor einem Toten rumzusitzen, ich konnte nicht verstehen, warum sich die Menschen diesen Schmerz antun. Doch irgendwann während dieser Zeit fand ich die Ruhe, konnte in mich gehen und empfand dieses Ritual sehr angehnem und wichtig.
Woher sollte ich wissen, das mir dieses Wissen 8 Monate später weiterhilft.

Nach unserer Reise nach Spanien gab es Zwischenzeugnisse, das erste für meine Tochter und es war grottenschlecht. Erst Verdacht, spätere Bestätigung von ADS. Also auch ein Hin- und Hergerenne zwischen Arbeit, Schule und Lehrerin.

Wenig später (Mitte Februar) bekam mein Vater plötzlich Magenschmerzen und ging natürlich auch nicht gleich zum Doc. Warum auch??? Er tat es sonst ja auch nicht. Das bischen Magenschmerzen, dachten wir alle. Na nach 2 Wochen Schmerzen ging er halt doch zu Arzt und es wurde ein Magengeschwür festgestellt. Er bekam dieses Medikament, doch es wurde nicht besser. Er hatte immer höllische Schmerzen und konnte nur noch auf dem Sessel sitzen, die Ärtzin verschrieb ihm daraufhin Opiat-Pflaster, die bei ihm aber leider nicht wirkten. Ich war schon ein wenig erstaunt. Opiat-Pflaster bei einem Magengeschwür??? Später erfuhren meine Mutter und wir Kinder, das die Ärtzin ihm damals schon sagte, das kann nicht nur ein Magengeschwür sein. Mein Vater sagte natürlich wieder "Was a Gschmari" (Nürbergerisch)

Doch dann blieb ihm nichts anderes übrig, als Anfang April 08 ins KH zu gehen um abzuklären was los sei. Wir waren alle erst mal froh, das was gegen seine Schmerzen gemacht wird und er bald wieder gesund ist.
Der Arzt im Klinikum tippte jedoch sehr bald auf die Bauchspeicheldrüse. Also wurden ganz viele Tests gemacht. Ich wusste bis zu dem Zeitpunkt nicht einmal, das es so viele verschiedene Spiegelungen gibt.
Dann kam der Tag der Diagnose, BSDK im Kopf. Der Doc erzählte was von Whipple-OP, Tumormaker und ich weiss gar nicht mehr genau was noch alles. Ich konnte mit all dem nichts anfangen. Ich wusste bis dahin nicht einmal, das die Bauchspeicheldrüse so wichtig sei.

Zuhause begann ich im Internet zu googlen und bin schon auf dieses Forum gestossen. Auf der Arbeit habe ich mich mit meinem Chef unterhalten und erfuhr, dass auch sein Vater an BSDK gestorben ist. Weil ich total durch den Wind war, hat er für mich einen Termin mit der hier ansässigen Hospitzberatung gemacht. Diese kam zu mir nach Hause und ich konnte Dinge, wie z. B. voraussichtliche Lebensdauer usw. erfragen. Ab dem Moment begann ich Abschied von meinem Vater zu nehmen. Mir war klar, er wird das nicht überleben. Jedoch hatte mich die Beratung auch ein klein wenig darüber aufgeklärt, was während dieser Erkrankung noch für Nebenerkrankungen auftreten können. Mein Vater hatte während seines Aufenthalts im KH plötzlich Blut gespuckt und ist umgefallen, das hat mich total umgehauen. Mein Vater 1,90 gross, immer im Leben gestanden, fällt plötzlich um??!!

Mein Vater setzte alles auf eine Chemo, er hatte sogar schon davon gesprochen, wieder teilweise arbeiten zu gehen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, das er schon gesagt bekommen hatte, er hätte nicht mehr so lange zu leben. 6 Monate bis 5 Jahre. Die Standart Antwort also.
Er hoffte noch so auf 2 - 3 Jahre.
Also er wurde entlassen und konnte sogar wieder ein wenig essen. Bekam 2 oder 3 Mal Chemo und wurde auch 2 bis 3 mal bestrahlt. Wie alle hoffte er, der Tumor würde kleiner und damit operabel. Leider war es das einzige Mal wo er die Chemo bekam.

Ca. 4 Wochen nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus konnte er plötzlich nichts mehr bei sich behalten und auch nicht mehr auf Toilette. Ich hatte nach dem Gespräch mit der Hospitzberatung schon damit gerechnet. Wieder Aufnahme im KH und es wurde diese "Umleitungs-OP" (wie genau das heisst weiss ich leider nicht). Das war im Juni 08, da war ich auch das letzte Mal bei ihm im KH.
Ich erklärte ihm, das es mir richtig schlecht geht, ihn so zu sehen. Jedesmal bekam ich einen Heulkrampf nach dem anderen und musste erst mal nen Schnaps trinken.

Ich habe deshalb schon manchmal schlechtes Gewissen, aber ich weiss mein Vater war nicht anderes und konnte es verstehen. Er hatte selber einen guten Freund der seit 5 Jahren aufgrund eines Schlaganfalls im Pflegeheim lebt. Er war 1 Mal da, er konnte nicht hingehen. Ich empfand unsere Gespräche als so bedrückend. Hatte er vorher davon gesprochen, was so bei ihm auf der Arbeit passiert, ging es inzwischen um Schmerzmittel, Haarausfall usw. Ich dachte ich werde wahnsinnig. War keines Gedankens mehr fähig. die Welt stand still.

Ja wie gesagt, diese OP wurde im Juni 08 durchgeführt und ich besuchte ihn ein letztes Mal zuhause. Da fiel mir auf, er war total gelb. Ich sagte das ihm und meiner Mutter, aber ich glaube beide wollten es nicht sehen. Nach 1 Woche ging er zu seinem Doc, dort wurde ein Gallengangstau festgestellt. Also wieder Einlieferung KH. Erst Erweiterung des Gallenganges, 1 Woche zuhause, dann wieder KH (Ende Juni 08) und der Stand wurde gesetzt. Zu diesem Zeitpunkt hat mein Vater schon nichts mehr gegessen, wurde nur noch künstlich ernährt.

Ich rief jeden Tag zuhause an und meine Mutter sagte immer "ja es ist schon Ok." Das sie mich anlog um mich zu schützen erfuhr ich nach seinem Tod.
Meine Psyche war ganz unten, wenn ich schlafen ging, hoffte ich er hat keine Schmerzen, wenn ich ass hatte ich schlechtes Gewissen, weil ich wusste er würde so gerne wieder Stadtwurst essen. Zuhause lief alles drunter und drüber. Mein Freund, selbst noch mit der Trauer über seinen Vater beschäftigt und Depressionen, die Tochter die im Unterricht nur rumzappelte, die Ausbildung die ich gerade begonnen hatte. Alles war zuviel. Ich kam mir vor, wie wenn ich selber mich gar nicht in meinem Körper befand. Alles war so Realitätsfremd.

Ich wünschte mir nur, Abschied nehmen zu können, wie bei meinem Schwiegervater. Zuhause, ohne die Sterilität eines KH. Auch mein Vater wollte zuhause sterben.

Genau 14 Tage vor seinem Tod konnte ich ihm am Telefon noch erzählen, das ich endlich den Dreisatz rechen kann. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wieviel Zeit mein Vater während meiner Schulzeit damit verbrachte mir das beizubringen und ich verstand es nie. Da musste ich erst 40 werden um diese Rechnung zu begreifen. Ich war so stolz ihm das erzählen zu können. Und so traurig seine gebrochene Stimme zu hören. Als ich auflegte heulte ich erstmal.

Am Tag vor seinem Tod rief ich wie gewohnt zu Hause an, die Stimme meines Bruders klang sehr gedrückt. Ich wusste gleich, da stimmt was nicht. Später rief meine Mutter an und sagte mir, er erbricht den ganzen Tag Blut und auch beim Stuhlgang kommt nur noch Blut.

Mittwoch den 08.10.2008 um 7.30 Uhr rief ich seltsamerweise morgens vor der Schule zu Hause an, Mama sagte, naja es geht schon.
Später um 9.55 Uhr rief sie mich an und sagte: Der Gert (mein Vater war mein Stiefvater, den ich immer beim Vornamen nannte) ist vor 15 min gestorben.

Ich war total fertig, aber irgendwie auch erleichert. Ich wusste die Qual für ihn hat ein Ende. Wir haben am Schluss doch nur noch die Zeit mit Warten auf das Unvermeidliche verbracht.

Ich ging nach Hause und meine Mutter sagte, ich solle nicht erschrecken. Nein ich bin nicht erschrocken ihn so zu sehen, bei 1,90 m gerade noch 60 Kg, total abgemagert, knochig und dürr.

Wir haben uns dann abgewechselt, jeder konnte bei ihm sitzen, ihn steicheln um ihm weinen. Diese Zeit des Abschiednehmens war so wichtig. 1 Std. bevor er abgeholt wurde sassen wir alle 3 vor seinem Bett. Ich glaube er hat uns für total verrückt erklärt, wenn er es sehen konnte. Wir sind eine Familie mit dem Hang zum Schwarzen Humor. Er sass da bestimmt auf seiner Wolke und sagt so: "Mei ihr habt doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, jetzt bin ich schon Tot und ihr hockt da vor mir rum und heult."

Ja und soll ich Euch sagen, wann genau er verstarb??? Ich meine damit nicht die Uhrzeit. Mein Vater hat sich während seiner Erkrankung plötzlich eingebildet, es muss eine neue Waschmaschine her. Die alte ist ihm zu laut. Mein Bruder und meine Mutter sagten, nein wir brauchen keine. Er sagt nur: "Solange ich noch was zu sagen habe, wird ne neue Waschmaschine gekauft" *grins so war er halt*
Auf jeden Fall wurde eine neue Waschmaschine bestellt. Die wurde geliefert und meine Mutter musste den Lieferschein unterschreiben. Genau in den 10 min wo nur der Pflegedienst bei ihm war, starb er.

Ich erfuhr dann auch, das er am abend vor seinem Tod vom Pflegedienst gesagt bekam er muss sich ins Bett legen, weil sonst seine wunden Stellen am Po nicht richtig versorgt werden können. Mein Vater hatte die letzten 7 Monate nur auf dem Sessel vorm Fernsehn verbracht und döste vor sich hin, wegen der Schmerzmittel. Meine Mutter versorgte ihn, wickelte die Beine, weil so viel Wasser in seinem Körper war, sorgte dafür dass er die Medikament regelmässig nahm.

Ich glaube, in dem Moment, wo er das Wohnzimmer verlassen musste und sich ins Bett legen sollte, war für ihn klar das er jetzt sterben wollte. Er wartete bis keiner der Familie da war, sondern nur der Pfleger den er auch mochte, damit war er nicht ganz allein. Aber vor der Familie sterben??? Nein das passte nicht zu ihm.

So ich habe es tatsächlich geschafft, das alles mal aufzuschreiben und fühle mich gut dabei. Ich werde wahrscheinlich später beim Lesen feststellen, was ich alles vergessen habe. Aber für mich war es erst mal wichtig, dass alles aufzuschreiben.

Ich hoffe mein Beitrag war nicht zu lange und wünsche euch allen eine schöne Woche und es wäre schön, mich mit anderen Betroffenen austauschen zu können.

LG Taddl
__________________
In unserer Sanduhr fällt das letzte Korn,
ich hab gewonnen und hab ebenso verlorn'.
Jedoch missen möcht ich nichts,
alles bleibt unser gedanklicher Besitz.



Mein (Stief) Papa:
27.10.1948 - 08.10.2008
BSDK-Diagnose im April 08
Mit Zitat antworten
 

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 19:43 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55