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Alt 25.06.2006, 16:29
Oki Oki ist offline
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Registriert seit: 25.06.2006
Ort: Baden Württemberg
Beiträge: 2
Standard Meine Geschichte, bzw. die meiner Mom

Es ist schon etwas seltsam. Heute schaute ich zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder in dieses Forum, meldete mich an, und schreibe nun diese Worte.

Bei meiner Mutter hatte es im August 2004 mit starken Rückenschmerzen angefangen, die der Orthopäde (was, wie ich mittlerweile weiss, wohl recht häufig passiert) nicht richtig deutete und die übliche Schmerztherapie vorschlug. Erst ein plötzlich aufgetretener Ikterus (Gelbsucht) führte uns zum Radiologen, und der sah im CT eine Raumforderung im Bereich der Bauchspeicheldrüse; ich muss vielleicht noch dazusagen, dass meine Mom 1997 ein isoliertes Cervix-Ca, also Gebärmutterhalskrebs hatte, erfolgreich operiert wurde und danach die vorgeschlagenen 5 Jahre zur Nachsorge ging.

Jedenfalls begann für meine Mutter am Tag nach dieser CT-Untersuchung in der Notaufnahme der hiesigen Uni-Klinik ein langer Weg.

Nach 2 Wochen und dem kompletten Untersuchungsprogramm lautetete die Diagnose: CUP-Syndrom (also „Krebs mit unbekanntem Primärtumor“) mit Metastasen in Lunge, Leber und Hals- sowie Brustwirbelsäule. Ein Zusammenhang mit dem damaligen Tumor wurde zwar nicht ausgeschlossen, aber aufgrund der Histologie als eher unwahrscheinlich eingestuft. Und als erste böse Einschränkung wurde ihr eine Two-Part-Halskrause (also ein recht starres Ding, wie es auch in der Notfallmedizin verwendet wird) verpasst, da laut Aussage der Orthopäden die HWS-Metastasen eine Instabilität verursachten, die jederzeit zu einem kompletten Querschnitt führen könne.

Nach 3 Wochen in der Uni durfte meine Mom nach Hause – einerseits war es wunderschön, sie erstmal wieder bei uns zu haben, andererseits war für uns natürlich eine Welt zusammengebrochen. Sehen zu müssen, wie ein wundervoller Mensch, der immer für die ganze Familie da war, nun so etwas durchstehen muss, liess mich den Glauben an jeden Gott dieser Welt verlieren. In dieser Zeit entdeckte ich auch dieses Forum. Die Tatsache, dass ich als Rettungsassistent arbeite, machte mir zwar manches vielleicht erträglicher, doch alleine die Fülle an furchtbaren Schicksalen in diesem Forum zu lesen, war mir zu viel, und seither hatte ich diese Seite nie mehr aufgerufen.

Es folgten 10 HWS-Bestrahlungen über Weihnachten 2004 bis Mitte Januar. Dafür blieb sie wieder stationär in der Klinik, da sie nach wie vor starke Rückenschmerzen hatte, die mit MST (Morphium) behandelt wurden.

Schliesslich bekam sie Anfang Februar ihre erste Chemotherapie (Taxol/Carboplatin); die Metastasen waren dadurch tatsächlich in den Griff zu bekommen, die befürchteten Nebenwirkungen erstaunlich gering, und sie verlor zwar anfangs fast alle ihre Haare, doch wuchsen sie schnell wieder nach und sind ihr auch seither geblieben.

Und so folgte ein langes Auf und Ab, wie es so vielen von euch schon bekannt sein dürfte:
Im August letzten Jahres kam es zur Progression der Lungenmetastasen, also wurde die Therapie auf das FOLFIRI-Protokoll umgestellt. Daraufhin war der Status der Erkrankung wieder stabil, bis im April diesen Jahres. Es folgte eine erneute Umstellung, jetzt auf Cisplatin/Gemcetabin. Eine wohl recht heftige Kombination, wie ich gehört hatte, und trotzdem (wahrscheinlich auch aufgrund der relativ niedrigen Dosis) vertrug Mom die Therapie wieder ziemlich gut.

Leider zeigte sich beim letzten CT-Staging, dass diese Chemotherapie nicht den erwünschten Erfolg brachte.

Dann hatte meine Mutter vor zwei Wochen morgens ziemliche Luftnot, so dass wir uns nach drei Tagen entschieden, in die Klinik zu fahren. Dort wurde aufgrund erhöhter Leukos zunächst eine Lungenentzündung angenommen und mit Antibiotika angegangen.
Im Laufe einiger Tage besserte sich an der Situation jedoch nichts, es ging zunehmend bergab mit ihr. Unser Hausarzt, der sich mit der Uni-Klinik in Verbindung gesetzt hatte, sprach schliesslich Klartext mit uns und sagte, dass vor allem die Lungenmetastasen wohl zu „explodieren“ begannen und unsere Mutter nicht mehr zu retten sei.

Heute morgen ist meine liebe Mom mit 66 Jahren von uns gegangen.

Ich schreibe euch dies hier nicht, um damit auszudrücken, wie schlimm das alles ist; es ist furchtbar, keine Frage: meine beiden Schwestern, mein Dad und ich, aber natürlich vor allem meine Mutter hatten anderthalb Jahre voller Höhen und Tiefen: immer wieder die Angst, wie lange die aktuelle Therapie wohl noch ansprechen wird; ob das Blutbild zur nächsten Chemotherapie wohl gut genug sein wird; ob sie ihr Gewicht, das teilweise ganz schön in die Knie ging, wieder aufbauen kann; die Angst vor Infekten; die Angst vor allen möglichen Komplikationen wie Thrombosen (derer sie auch 2 hatte) oder davor, dass mit ihrer Halswirbelsäule tatsächlich etwas passiert – glücklicherweise konnte die starre Halskrause nach einiger Zeit durch eine weiche „Krawatte“ ersetzt werden.

Nein, was ich euch sagen will, ist, auch wenn's oft noch so schwer fällt: Lebt jeden einzelnen Tag! Als Betroffener, als Angehöriger – bitte lasst euch nicht unterkriegen. Für die meisten ist es zu früh, eine solche Krankheit zu bekommen, für viele sogar viel zu früh; manchem bleiben anderthalb Jahre oder auch mehr, anderen viel weniger, aber ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass wir jeden Tag, den wir mit unserer Mom noch verbringen durften, so gut es ging genossen haben. Sie hatte eine unheimliche Kraft, war bis zuletzt auf den Beinen und hat uns mit ihrem Überlebenswillen immer wieder aufs Neue angesteckt.
Dass es am Ende doch nicht gereicht hat, macht uns zwar unendlich traurig, aber wir sind auch froh darüber, dass wir bis ans Ende bei ihr sein konnten, wenn auch nur im Krankenhaus und nicht zu Hause.

Es mag pathetisch klingen, aber ich wünsche euch wirklich, dass ihr einander soviel Kraft und Liebe gebt, wie es euch nur möglich ist, und euch über jeden noch so kleinen Lichtblick, über jeden Tag, den ihr füreinander da sein dürft, freuen könnt.

Zeigt dieser Krankheit die Zähne, ich wünsch’ es euch von Herzen!

Euer Oki
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