#16
|
||||
|
||||
AW: Der Nachlaß oder was bleibt?
Lieber Reinhard,
meine Oma wohnte nach dem Tod von Opa 97´alleine. Das funktionierte ganz gut, bis sie zunehmend Schwierigkeiten mit dem Laufen bekam und körperlich gebrechlicher wurd. Sie stürzte und kam ins KH. Dort stellte man fest, dass ein Querschnitt vorlag. Sie konnte sich quasi hüftabwärts nicht mehr bewegen. Damals überlegten wir gemeinsam, wie es weitergehen solle. Papa stand im Beruf, meine Eltern hatten sich kurz zuvor getrennt und Oma wollte so oder so, niemandem zur Last fallen. Sie zog in ein Pflegeheim. Wir lösten damals die Wohnung, bis auf die wichtigsten Habseligkeiten und ein paar wenige Möbelstücke (im Heim durfte man nicht viel an eigenem Mobiliar mitbringen), auf. Oma hing auch an vielen Dingen. U. a. ein wundervolles Sideboard. Sie bestimmte, was wohin kommen sollte und einige Dinge gingen in die Nachbarschaft. Das fiel schwer. Doch das ein oder andere, wiegesagt, das konnte sie behalten. Heute, wenn ich so zurückdenke, muss das schon ein ausgesprochen schwerer Schritt in Richtung des Loslassens gewesen sein. Dennoch behielt sie Dinge, die Bindeglieder zu ihren Eltern waren beispielsweise. Schmuckstücke, Geschriebenes usw. Ich finde Du orientierst Dich zu sehr, und das meine ich keineswegs böse, an dem, was die Krankheit neben den körperlichen Einschränkungen mit sich bringt. Sie zeigt immer wieder auf, dass die Zeit begrenzt ist. Aber wie weit da die Grenzen gesteckt sind, das können mitunter ja noch nicht einmal die Mediziner beantworten. Und dann frage ich mich, ab welcher "verbleibenden Zeit", eine Übernahme bestimmer Erinnerungsstücke an Deine Mama, "lohnenswert" für Dich wäre. Ich glaube Reinhard, man muss auch ein wenig auf sich und somit auf das Hier und Jetzt ein Augenmerk haben. Und ist eigentlich alles nur Ballast? Ich pflichte Dir im Bezug auf die Erinnerungen, die sich an die Oberfläche schleichen, wenn man solche Dinge zu sich nimmt bei. Aber sind sie nur "belastend"? Vielleicht kann man manches auch zulassen und sich doch noch daran, wider Erwarten, erfreuen. Zitat:
Liebe Grüße Annika |
#17
|
||||
|
||||
AW: Der Nachlaß oder was bleibt?
Dein Thread, lieber Reinhard, weckt Erinnerungen.
Es war keineswegs so bei uns, dass ich unbedingt viel behalten wollte, als wir diese "Aktion" damals angingen. Im Gegenteil. In und nach der Zeit der Erkankung meiner Ma wurde mir immer bewusster, dass wir nichts, gar nichts mitnehmen können, wenn wir "gehen müssen". Ich muss vielleicht erwähnen, dass dieser menschliche Verlust nicht der erste in unserer Familie war - mein Vater acht Jahre zuvor, und drei Jahre vor ihm mein Bruder. Loslassen müssen ist seither ein großes Thema bei mir - im guten, wie im traurigen Sinne. Ich dachte seinerzeit: "Was soll all das Sammeln, hinstellen, habenwollen eigentlich? Und für wen? Ok, ich freue mich an gewissen schönen Dingen, die ich anschauen kann, die ich habe - aber für welch begrenzte Zeit?!" Ich hatte Momente, da hätte ich am liebsten alles weggegeben... Es ist mir nämlich die letzten Jahre immer bewusster geworden, dass schon morgen alles anders sein kann - ob mit oder ohne Krankheit. Und dass unser Leben im Grunde genommen sehr kurz ist. Natürlich bin ich aber heute froh über die Gegenstände, die mich liebevoll an meine Mutter, oder meinen Vater erinnern. Nur - sie sind nicht das Wichtigste. Ich habe keine Kinder, denen ich etwas vererben kann. Beim Ausräumen dachte oft: und wer macht das, wenn ich mal nicht mehr bin? Wer kann Dinge wertschätzen, die ich einmal schön oder wichtig fand? Niemand. Das war (und ist) auch ein sehr schmerzlicher Prozess. Selbst das Häuschen - wer will das mal haben, wenn mein Mann und ich nicht mehr sind? Den Garten, den meine Mutter so liebte, und den ich heute ebenso liebe? Wen interessieren dann meine Tagebücher, wer kann sich an den vielen Fotos erfreuen, die ich gemacht habe, und die mir so wichtig waren? Und so weiter. Deine Gefühle sind konkreter, weil du durch die Krankheit dazu gezwungen wirst, darüber nachzudenken. Bei mir ist es eher ein allgemeines Gefühl, das aus den bisherigen Erlebnissen entstanden ist. Auch heute, wenn ich mir mal etwas Schönes gönne, oder alte Erbstücke anschaue, habe ich diese Gedanken. Sie sind seither immer da... Wir sollten das Materielle gar nicht so hoch aufhängen, finde ich. Die Liebe, die wir hinterlassen, und das, was wir uns nahestehenden Menschen - oder unseren Kindern - an Erlebnissen und Erinnerungen mitgeben, das ist viel wichtiger, als irgendwelche Möbelstücke, Fotoalben, oder Schmuckstücke. Vielleicht kann dich das ein bischen trösten. Alles Liebe Blume Ergänzung: ein Überbleibsel aus der Zeit ist, dass ich die Todesanzeigen lese. Wenn ich dann - gar nicht mal nur von der Familie, sondern von Freunden, Vereinen, oder früheren Kollegen - oft persönliche Worte der Wertschätzung über diesen Menschen lese, dann rührt mich das oft wirklich sehr. DAS ist für mich etwas, das bleibt - so wie ich oben schon sagte. Vielleicht habe ich jetzt etwas weit ausgeholt – aber das ging mir gerade noch durch den Kopf.
__________________
In uns allen findet sich die Quelle höchster Weisheit - die Quelle der Liebe. (Thich Nhat Hanh) Geändert von Blume68 (16.09.2010 um 19:30 Uhr) |
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|