Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Hinterbliebene

 
 
Themen-Optionen Ansicht
  #1  
Alt 14.02.2014, 15:35
DanielP DanielP ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 14.02.2014
Beiträge: 4
Standard Kann nicht trauern

Hallo,

der Titel sagt ja schon, worum es geht. Ich möchte trotzdem kurz die Geschichte meines Vaters aufschreiben, wobei ich die genauen Daten nicht alle zusammenbekommen, da ich vieles erst sehr spät erfahren hab. Ich befinde mich gerade in den Endzügen meiner Dissertation und mein Vater wollte so viel wie geht von mir halten - im Nachhinein ein Fehler meiner Meinung nach.

Im April/Mai 2013 rief er mit dem Befund eines Tumors im linken Lungenflügel an. Er raucht. 48 war er zur der Zeit. Nach dem ersten Schock kam erstmal die Beruhigung, dass der Tumor noch nicht alt sein kann, da beim Röntgen der Lunge im Winter 2013 noch nichts zu sehen war (hatte damals eine Bronchitis). Also früh erkannt, sicher gut operabel, nochmal Glück im Unglück. So sahen das auch die Ärzte und so hat es bis zur OP Ende Mai recht lang gedauert. Man wollte für ihn die beste, nicht die schnellste Behandlung.

OP Ende Mai. Leider musste der ganze linke Lungenflügel raus. Vater hat sich schnell von OP erholt. Vor der OP wurde auch ein Ganzkörper-CT gemacht: keine Metastasen. Geplant war Breitbandchemo, Bestrahlung, Reha, wieder arbeiten gehen.

Jetzt kommen Sachen, von denen ich meist erst später und nur scheibchenweise erfahren habe. Wohl bereits drei Wochen nach der OP wurden Metastasen in der Leber gefunden - er trinkt auch viel und ernährt sich ungesund. Es war dann wohl schon damals klar, so steht es im Befund, dass er ein "hoch-aggressives, kleinzelliges" irgendwas hat. So genau hab ich das nicht verstanden. Irgendwie ein hormonell ausgelöster Krebst, kein klassischer Raucherkrebs (auch wenn das Rauchen sicherlich nicht förderlich war), wenig bekannt darüber, es gibt keine Standardbehandlung.

Nun hatten die Ärzte trotzdem mit der Breitbandchemo begonnen, Cis-Platin soweit ich weiß. Nach dem nächsten CT war klar, dass die Chemo nicht anschlägt. Obs mehr geworden war oder gleich blieb, weiß ich nicht. Also ging man zum nächsten Chemo-Mittel über.

Ab jetzt weiß es wirklich nicht genau. Für meinen Vater war wohl seit Juni klar, dass es nicht heilbar ist. Erfahren habe ich das erst Weihnachten, als er mir die Berichte gab. Aber der Reihe nach. Irgendwann im Spätherbst kamen Metastasen im Gehirn dazu. Also wurde zwischen zwei Chemos Bestrahlung geschoben. Kurz darauf, so um Weihnachten rum, Metastasen im Rückenmark. Schlechte Blutwerte, sodass man mit der Leberchemo nicht weitermachen konnte. Vater hatte die Chemos bis dahin gut vertragen. Die beiden Chemos gegen Metastasen im Knochenmark hatten dann aber richtig reingehauen. Er hatte das erste Mal keinen Appetit und wollte sterben.

Das war Weihnachten. Das Wort "palliativ" im Bericht war für mich wie ein Schlag. Bis dahin, ich wohne 200 km weit weg von daheim, konnte ich das gut verdrängen und auf Arbeit war ich gut abgelenkt. Nun war ich das erste mal mit der harten Realität konfrontiert. Vater ohne Haare, total aufgequollen, kaum was gegessen.

Es kam das neue Jahr. CT. Bestrahlung und Rückenmarkschemo hatten wohl angeschlagen, Leber sah aber katastrophal aus. Klar, wurde ja mehrere Monate nichts gemacht. 10. Januar sein Geburtstag, verbracht im Krankenhaus. Danach kam er kurz Heim, aber daheim ging nichts mehr, also wieder ins Krankenhaus. Letzter Versuch mit Chemo die Leber in den Griff zu kriegen.

Am 27.01. Anruf von Mutter. Sie hat mit den Ärzten gesprochen und es wurde entschieden, nichts mehr zu unternehmen. Die Mistviecher in der Leber sind einfach nicht tot zu kriegen. An dem Wochenende sind wir (mein Partner und ich) zu meinen Eltern gefahren. Vater wurde ein Tag davor auf Palliativstation verlegt. Der nächste Schock, als wir im KH waren, das Wort Palliativ zu lesen. Naja, vorm Vater zusammengerissen. Schlimm sah er aus, total dünn, langsam im Denken, nichts gegessen.

Samstag, 01.02. wieder Heim, Leben muss ja weitergehen. In der Zeit, wo ich Vater besucht hab, wurde schon geweint und ich war fertig. Hier hat dann auch mein Körper das erste Mal gestreikt. Aber nicht nur wegen Vater. Meine Eltern haben Schulden, Vater hatte keine Patientenverfügung, wir mussten ein Hospiz organisieren, überlegen, was wir wegen der Schulden machen, Auto muss verkauft werden und und und. Vater hatte nichts mehr gemacht. Wir hatten an dem Wochenende alle Unterlagen mitgenommen und Sonntag sortiert. Das war dann wohl zu viel. Sonntag Abend ging's bei mir los. 22:30 die eine Hälfte, 3 Uhr nachts die zweite Hälfte des Abendessens - sorry - ausgekotzt. Dazu Durchfall. Bauchschmerzen. Übelkeit. Bin Montag und Dienstag erstmal daheim geblieben.

Dienstag ging es dann so einigermaßen wieder. Bis der Anruf von Mutter vormittags kam. Sie ist seit zwei Uhr nachts im KH, Vater ist nicht mehr ansprechbar, ob ich vorbeikomme. Ja, vorbeikommen. Ich war ja selbst wackelig auf den Beinen. Gott sei Dank kam an diesem Tag sein Vater, also mein Opa zu Besuch, sodass jemand da war. Schön. Bauchschmerzen gingen wieder los. Nun hieß es warten, warten auf den Tod. 20 Uhr Abends kam dann der erlösende Anruf. Vater ist gegangen. Mit 49 Jahren.

Ja, erlösend. Der Zustand war schwer zu ertragen. Naja, am Wochenende waren wir dann bei meiner Mutter. Sachen organisiert und so. Jetzt am Montag ist die Beerdigung, davor Termin bei der Bank wegen der Schulden.

Ich hab seit wir das Krankenhaus verlassen haben nicht einmal geweint. Ich kann irgendwie nicht trauern. Ich will. Aber ich kann nicht. Es gibt so wahnsinnig viel zu tun. Und ein Stück weit bin ich auch sauer auf meinen Vater, weil er nichts vorbereitet hat, z.B. mal das Auto verkauft oder mit der Bank gesprochen. Wollte er alles machen. Hat's aber vor sich hergeschoben. Und nun haben wir das Theater.

Natürlich hab ich tierisch Angst vor Montag. Ich hab Sorge, dass die Trauer plötzlich kommt und mich wieder völlig aus der Bahn wirft. Weil im Moment geht es mir körperlich und psychisch soweit gut. Ich will trauern, Abschied nehmen, ich will aber nicht in ein tiefes Loch fallen. Im Moment denk ich eher, dass das alles nur ein böser Traum ist. Dass er im nächsten Moment anruft. Und dann hab ich natürlich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht trauer.

Ja, warum schreib ich das ganze (Gott ist das viel geworden, sorry). Ist das normal? Ging es euch auch so? Ich hab schon überlegt, mir professionelle Hilfe zu holen. Zahlt das die gesetzliche Krankenkasse?

Naja, das war's erstmal von mir.
Mit Zitat antworten
 

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 21:47 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55