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  #1  
Alt 08.01.2010, 17:37
Stefans Stefans ist offline
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Standard Ein Jahr...

...und 5 Tage ist es nun her, dass meine Frau an Brustkrebs gestorben ist, nach über 20 gemeinsamen Jahren, ziemlich genau 2 Jahre nach der Diagnose. Weiss auch nicht, warum ich gerade schreibe. Vielleicht sowas wie ein Rückblick. Allerdings ziemlich unsortiert, sorry.

Kurz vor Weihnachten 2008 kam meine Frau zum Sterben aus der Klinik nach Hause. Dass sie am Krebs sterben wird, wussten wir schon länger. Und sie wollte das Zuhause tun. Nochmal Weihnachten erleben, ihr Zuhause sehen, Freunde, Familie, Tiere. Das hat zum Glück geklappt, und das war auch das wichtigste. Nachdem das "erledigt" war, hat sie kurz vor Silvester ganz schnell abgebaut und ist am 3.01. morgens um 4 im Beisein von mir und unserem Hund gestorben. Sie war 12 Stunden vorher noch geistig "fit" und hat mit einer Freundin gescherzt.

Ihre Schwester kam "zu spät", hatte den frühen Flieger genommen und stand am 3. um 8 vor der Tür. Da war die Hausärztin schon wieder weg und der Formalkram mit Totenschein erledigt. Wir haben meine Frau dann gewaschen und gekleidet, und meine Schwägerin ist während der 3 Tage, die meine Frau Zuhause aufgebahrt war, hier geblieben. Erst später ist mir dann aufgefallen, dass meine Schwägerin eigentlich nicht zu spät gekommen ist, sondern genau richtig. Diese letzten Stunden nach 23 Jahren waren nur für uns beide, und das war gut so. Da hätte, so böse sich das anhört, meine Schwägerin nur gestört.

Vor den Feiertagen jetzt hatte ich natürlich ziemlichen Bammel. Aber warum auch immer habe ich mir eine Grippe zugelegt und lag pünktlich Heiligabend mit Fieber im Bett. Stimme war auch weg, also nix telefonieren, konnte erst nach dem 3. wieder aufstehen und ein paar Worte sprechen. Insofern habe ich kaum nachgedacht, sondern die Zeit im Fieberdämmer verbracht. Das war aber nicht das Schlechteste, sorgte unfreiwillig für etwas "Abstand".

Mein 2009 war natürlich nicht so besonders. Kann 2010 eigentlich nur besser werden. Von der Stimmung her, gesundheitlich geht's mir zum Glück gut - und dass das das Wichtigste und Einzige ist, was mit allem Wünschen, Hoffen und allem Geld der Welt nicht zu kriegen ist, haben wir ja nun hinreichend erfahren. Trauer und Verzweiflung haben mich erst mit 2 Monaten Verspätung erreicht. Der März war tiefschwarz. Da hatte ich dann den Papagei schon in einer Auffangstation angemeldet und versucht, den Hund loszuwerden. Damit ich die letzte Verantwortung los bin und frei, meiner Frau zu folgen. Den Hund wollte natürlich keiner haben, deshalb habe ich schon längere Zeit mit der Axt in der Hand über seinem Kopf zugebracht. Wenn ich ihn nicht loswerde, muss ich ihn wohl selbst töten, um endlich frei zu sein. Das war knapp, besserte sich aber zum Glück. Hündchen habe ich lieber nicht erzählt, was ich zeitweise mit ihm vorhattte. Nachher bekommt der noch angst vor mir.

Danach ging's so lala, wechselnd auf und ab. Die Abschiedsfeier hier für meine Frau im Sommer war nochmal ein Prüfstein (hätte ich am liebsten abgesagt, war aber schließlich versprochen), ihr Geburtstag und unser 10. Hochzeitstag im September auch, und jetzt eben die Jährung von Sterben und Tod. Dann ist mir im Sommer auch noch mein Papagei gestorben, nach über 40 Jahren, so alt wie ich, und mit dem war ich auch seit langem "verheiratet" (sein Partnerersatz). Ausserdem war ein "Pflegefall", seit 10 Jahren blind, und mir schon deshalb besonders ans Herz gewachsen. Naja, dafür sind Hund und Katze wohlauf, und die Hühner haben sich sogar stark vermehrt (der Hahn funktioniert!). Leben geht, aber neues Leben kommt.

Was bleibt, ist Trauer, jeden Tag neu. Aber die Zeit fängt langsam an, die Wunden zu heilen. Die verzeifelten Phasen werden weniger und kürzer. Es bleibt auch Dank. An die Foren hier und v.a. an die vielen Freunde, die uns in der schweren Zeit beigestanden haben. Unbezahlten Urlaub genommen und in den nächsten Flieger gestiegen, wenn Not am Mann war. Und auch mich nachher nicht vergessen.

Es bleibt auch sonst Gutes, so komisch das klingt, wenn jemand viel zu früh an Krebs stirbt. Als meine Schwägerin, die seit Herbst oft hier war, auch bei der Aufbahrung meiner Frau, und ich hier am 6.01. zusammen in der Küche saßen, nachdem die Tage zuvor Freunde von meiner Frau Abschied genommen hatten und der Bestatter weg war, haben wir auf das Foto meiner Frau an der Wand geschaut und uns gesagt: "Na, wie haben wir das gemacht? Gut haben wir das gemacht! Die Schwester ist bestimmt zufrieden mit uns." Und wir waren gut, auch wenn mitunter einfach Glück dabei war. Meine Frau ist da und so gestorben, wie sie das wollte. Auch wo sie wollte im Friedwald beigesetzt und hier mit einer Feier verabschiedet. Mehr konnten wir nicht tun. Und darauf "zufrieden" zurückblicken zu können, hilft mir oft. Es hätte einiges besser laufen können, natürlich. Aber im großen ganzen war es "gut so".

Am Grab meiner Frau war ich immer noch nicht (ist in ihrer alten Heimat, 750 km weit weg). Habe ich auch nicht vor. Um die Entfernung geht's aber natürlich nicht. Ich habe kein schlechtes Gewissen deswegen, weil ich weiss, dass mir das nichts bedeutet. Und meiner Frau auch nicht. Für mich gehört sie hier her, in unser Zuhause, und da hat sie ihren "Grabstein" / Gedenkstein am Gartenteich, wo wir immer am liebsten zusammen gesessen haben. Da bin ich ihr näher als unter einer Buche im schwäbischen Friedwald, und zwar jeden Tag.

Für die Zukunft weiss ich auch nicht. Die Trauer wird weniger schlimm, das merke ich. Aber die Einsamkeit wird chronisch und nicht besser. Offenbar habe ich es im Laufe von 20 Jahren "verlernt", allein zu leben. Das ist eine echte Umgewöhnung. Kinder haben wir nicht. Mir fehlen nicht soziale Kontakte allgemein, auch nicht gute Freunde, die ich immer anrufen / besuchen und mit denen ich über alles reden kann. Mir fehlt meine Frau, meine Partnerin. Der Mensch, mit dem man morgens aufsteht, ihn verabschiedet, ihn nachmittags wieder sieht, mit ihm beim Essen sitzt und abends mit ihm schlafen geht. Mit der Gewissheit, dass er morgen und für immer da ist. Den man in- und auswendig kennt und er einen, dem man nichts mehr erklären muss, auf den man sich absolut verlassen kann. Mit dem man immer reden kann, aber nicht muss.

Das reissen auch noch so gute Freunde nicht raus. Von daher ist im Alltag mein Hund fast wichtiger als Freunde, denn der ist Tag und Nacht bei mir. Ich wünsche mir schon, dass sich daran was ändert. Und habe nicht vor, den Rest meines Lebens allein zu bleiben. Aber ich habe nicht den Elan und ausserdom große Zweifel, ob ich in meinem Leben nochmal jemdanden so gut kennenlernen und so ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann wie zu meiner Frau. Wir haben ewig dazu gebraucht, und im Momnet denke ich: diesen Stress tue ich mir in meinem Leben nicht mehr an, dafür bin ich einfach zu alt. Kommt mal eine neue Partnerin des Weges, ist es schön (die Auserkorene will mich nicht haben, schon geklärt). Aber das eilt nicht. Und kommt niemand, kann ich immer noch eine WG aufmachen, wenn mir allein die Decke auf den Kopf fällt. 2 Zimmer kann ich problemlos vermieten. Aber das ist Zukunftsmusik. Mal schauen, ich mache mir da keinen Druck.

Im Moment ist es ganz OK so, wie es ist. Wenn wieder ein paar beschissene Tage aufeinander folgen, weiss ich ja, dass es auch wieder aufwärts gheht. Und ausserdem werden die Tage wieder länger und bald ist Frühling, dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.

Viele Grüße,
Stefan
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  #2  
Alt 08.01.2010, 18:19
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TomysGirl TomysGirl ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Lieber Stefan,

es tut mir leid das du deine frau gehen lassen musstest..
uch kann mir nicht im geringsten vorstellen wie schwer der verlust is..
dennoch wünsch ich dir ganz viel kraft für das neue jahr..

komm ma her
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  #3  
Alt 08.01.2010, 18:57
Viki Viki ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Lieber Stefan,

deine Geschichte habe ich mehr als ein Jahr verfolgt. Ich bin Angehörige und Hinterbliebene (bin auch selbst nicht mehr die Jüngste). Mein Vater starb am 1.8.2009. Wir hatten immer ein Superverhältnis und ich habe ihn sehr geliebt. Er wurde sehr alt und trotzdem hat es bei mir bis jetzt gedauert, dass der Verlust bei mir angekommen ist. Ich war bisher immer nur froh, dass sein Leiden ein Ende gefunden hatte. Nach 5 Monaten fängt die Verzweiflung darüber erst an. Ich hoffe, dass ich mich wieder davon einigermaßen erhole.

Meine Mutter kämpft seit 2007 nach wie vor tapfer gegen den Krebs.

Wenn ich mich mit deiner Geschichte auseinandersetze muss ich sagen, dass du weit Schlimmeres als ich verkraften musst.
Mein Mann lebt (obwohl einiges älter alt ich) und ich habe auch Kinder.
Aber allein der Verlust meines Vaters zeigt mir, wie sehr es erst für dich eine Katastrophe gewesen sein muss, deine Frau nach so vielen Jahren zu verlieren.

Eigentich wollte ich mit meinem Beitrag nur sagen, dass ich aus deinem Posting Hoffnung schöpfe. Das Leben wird trotz des Verlustes weitergehen. Wir werden weiterleben können, auch wenn wir einen geliebten Menschen verlieren. Hoffentlich kommt das auch in meinem Inneren einmal an.

Viele Grüße

Viki
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  #4  
Alt 09.01.2010, 18:07
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Conny2712 Conny2712 ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Lieber Stephan, deine Geschicht ist sehr ergreifend. Bei mir ist es noch kein Jahr her.
Wir waren 39 Jahre, 6 Monate und 5 Tage verheiratet. Dann wurden wir geschieden. Wie sagt man doch vor dem Altar. Bis der Tod euch scheidet. Wenn ich sehe, wie viele heute auseinanderlaufen, wird mir echt schlecht. Wenn man so eine Erfahrung hin sich hat, eine Begleitung zwischen Hoffen und Verzweiflung. Auf und ab. Am Ende muß man das Liebste, was man hatte einfach gehen lassen. Auch wenn man das nicht wirklich will. Auch mein Mann ist für mich nicht auf dem Friedhof. Er ist bei mir, allgegenwärtig. Weihnachten und Sylvester waren sehr schlimm, obwohl meine Lieben da waren. Aber es ist eine große Lücke im Leben. Nichts ist so wie es mal war. Man muß versuchen sich damit zu arrangieren. Ist sehr sehr sehr schwer. Man bleibt allein zurück und fragt sich immer, warum...... Das Leben kann manchmal fürchterlich ungerecht sein. Fühle dich unbekannter Weise mal gedrückt.
Ich wünsche dir ein hoffentlich besser 2010. Lg Conny
__________________
Francis *11.09.49 + 16.03.2009
Nichts wird mehr sein wie es war. Wir suchen dich oft und hatten gehofft, die Tür geht
auf. Du kommst herein und alles wird wie früher sein. Wenn Liebe könnte Wunder tun und Tränen Tote wecken, so würde dich schon lang nicht mehr die kalte Erde decken
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  #5  
Alt 09.01.2010, 18:46
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Morgana Morgana ist offline
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Beiträge: 1.441
Standard AW: Ein Jahr...

Lieber Stefan,
schön, wieder von Dir zu lesen.
In Deiner Beschreibung Deiner Gefühle finde ich manches bei mir wieder.
Ich bin nun im 17. Monat ohne meinen Mann.
Nichts ist mehr wie es war.
Silvester war schlimm für mich.
Ich habe fassungslos-unverständig festgestellt, dass ich nun ein komplettes Jahr ohne ihn lebe. Es gab für uns kein "Prosit 2009" und es sind einfach so 12 Monate vergangen und wieder begann ein neues Jahr.
Wie Conny schreibt "Das Leben kann manchmal fürchterlich ungerecht sein"...Jaa, das sehe ich auch so.

Für mich ist mein Mann nicht auf dem Friedhof zu suchen, er ist mir nahe, da, wo ich ihn gerade spüre...da, wo ich an ihn denke.
Es hilft mir sehr "damit" zu leben, dass ich weiß, dass zwischen uns nichts offen geblieben ist; dass wir in Liebe Abschied genommen haben.
Dennoch: Er hat eine Lücke hinterlassen, die nicht gefüllt werden kann.
Diese ganz besondere Einsamkeit ist schwer auszuhalten.
Die Erinnerungen schmerzen, aber sie bringen mich auch dazu, zu lächeln, manchmal auch zu lachen.
Mein neues Leben fühlt sich immer noch ziemlich "unbewohnt" an.

Ein gutes, Hoffnung bringendes 2010 wünsche ich Dir von Herzen!

LG
Morgana
__________________
Die Seele hätte keinen Regenbogen, wenn die Augen nicht weinen könnten.
[Indianische Weisheit]
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  #6  
Alt 10.01.2010, 18:10
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Hallo,

danke an alle für den Zuspruch - tut gut!

Annett:
Ich habe verfolgt, wie es dir geht, und habe immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich damals auf deine Nachricht nicht geantwortet habe. Aber es ging einfach nicht, das war mir zu dem Zeitpunkt zu nahe, da war "Selbstschutz" angesagt. Gerade beim Thema Weihnachten. Meiner Frau war das letzte Weihnachten genau so wichtig wie deinem Sohn. Klar, ein Festessen, obwohl sie ja schon lange nichts mehr essen konnte (und schon bei Essensgeruch an zu kotzen fing). Und natürlich der Baum.

So traurig das war, im nachhinein gesehen gab es auch schöne Momente. Als ich meiner Frau in der Klinik sagte, dass ich den Weihnachtsbaum schon gekauft habe, fragte sie gleich nach den Kerzen. Klar, habe ich auch gekauft. Aber doch echte? Natürlich echte, hatten wir doch immer. Wie viele denn? Ich sage, na so 2-3 Packungen, bestimmt 50. Meine Frau: Das reicht doch nicht, da können wir am 1. Feiertag ja schon gar keine Kerzen mehr anzünden. 100 bräuchten wir da mindestens! Es war klar, sie ist so vom Morphium umnebelt, dass sie das nicht mehr einschätzen kann.

Aber es war sonnenklar, wie wichtig ihr das war. Also habe ich brav noch Christbaumkerzen ohne Ende dazu gekauft. Aber vorsichtshalber auch elektrische. Und nur die kamen zum Einsatz, weil meine Frau gar nicht mehr in der Lage war, so lange wach zu bleiben und Gesellschaft zu ertragen, wie echte Kerzen brauchen, um runterzubrennen Aber es war trotzdem ein schönes Weihnachten.

Auch andere Dinge haben sich kurz vor ihrem Tod einfach "gefügt". Hund und Katze (die wirklich "wie Hund und Katze" sind) z.B. waren, als meine Frau zum Sterben nach Hause kam, zum ersten mal zusammen im Wohnzimmer - und völlig friedlich. Das gab's vorher nie. Die Katze hat auf dem Bett meiner Frau gelegen (nein, die Infusionsschläuche sind kein Spielzeug!) und der Hund daneben gesessen und ihr die Hand abgeschleckt. Wenn mir das 2 Wochen vorher jemand gesagt hätte, hätte ich das nie für möglich gehalten.

Zitat:
Zitat von Morgana Beitrag anzeigen
Es hilft mir sehr "damit" zu leben, dass ich weiß, dass zwischen uns nichts offen geblieben ist; dass wir in Liebe Abschied genommen haben.
Das geht mir genau so. Und mir hilft manchmal auch das "relativieren", wie Viki das gesagt hat: anderen geht es noch viel schlimmer.

Uns hätte auch viel Schlimmeres passieren können. Meine Frau hätte im Krankenhaus sterben können, was sie unter keinen Umständen wollte. Dass sie nach Hause kommen konnte, hing letztlich nur an der mobilen Morphium-Pumpe. Hätte der Großhändler da gerade einen Lieferengpass gehabt... Oder sie hätte bei einem Unfall sterben können. Früher dachte ich immer, so ein langsamer Tod wie bei Krebs ist ganz schlimm. Lieber abends einschlafen und morgens nicht mehr aufwachen.

Aber im Nachhinein bin ich überzeugt: wenn meine Frau z.B. morgens zur Arbeit gegangen und abends nicht wieder gekommen wäre, wäre das viel, viel schlimmer gewesen. Wir hatten Zeit, konnten wichtige Dinge regeln und Abschied voneinander nehmen. Es blieb nichts offen, wie bei euch. Ich stelle es mir schrecklich vor, jemanden "ohne Vorwarnung" zu verlieren. Wenn so vieles ungesagt ist und so vieles zu bereuen (warum haben wir am Abend vorher noch gestritten...), was nie mehr zu ändern ist. Insofern war es "gut" so, wie es bei uns war.

Zum Glück bin ich auch so gestrickt, dass ich mir die "Warum?" Frage normalerweise nicht stelle und auch nicht über die Ungerechtigkeit des Lebens nachdenke. Bzw. nur kurzzeitig in ganz schlimmen Phasen, aber die gehen wieder vorbei. Es war halt so, wie es war.

Die Leere und Einsamkeit ist da, und es wird auch niemals einen Ersatz für meine Frau geben. Auch wenn ich sie täglich vermisse und sie zurück wünsche, will ich das eigentlich auch nicht. Was wir hatten, war nicht immer schön, aber einzigartig. Es wird und soll keinen "Ersatz" geben, kein "Zurück" und keine Wiederholung der Vergangenheit. Bestenfalls eine "würdige Nachfolge" für meine Frau. Und das wäre schon sehr viel. Ich fühle auch nicht so wie Annett, dass ich "alles ausschließe, was dir nicht gleicht". Die Frau, die ich liebe und vom Fleck weg heiraten würde (die mich aber nicht haben will), ist das genaue Gegenteil zu mir und meiner Frau. Lebensbejahend, lebensfroh, ein Energiebündel, belastbar, mit voller power nach vorne blickend. Für die sind Depressionen ein Begriff aus der grauen Theorie. Insofern ist es vielleicht gut, dass die mich nicht haben will. Würde wahrscheinlich auf Dauer nicht gut gehen.

Was mir mein Leben einfacher macht, ist auch, dass ich das Leben nicht so wichtig finde. Schon gar nicht in der Quantität, und meins sowieso nicht. Ich kenne Depris und Suizidalität seit 30 Jahren. Ich war mehr als die Hälfte meines Lebens mit meiner Frau zusammen, und mit ihrem Tod ist mir das halbe Leben weggebrochen. Was jetzt noch da ist, ist manchmal schlimm, meist erträglich und manchmal sogar ganz OK. Aber es macht keinen Sinn mehr, und es ist nicht mehr wichtig. Völlig egal. Ich trage niemandem gegenüber mehr Verantwortung (mein Viehzeug ausgenommen), und darüber bin ich sehr froh. Mein "final exit" ist vorbereitet, und es interessiert niemanden, ob und wann ich den wähle oder nicht. OK, stimmt nicht, es interessiert doch ein paar gute Freunde. Aber die wissen, dass sie das nichts angeht und dass sie da ohnehin keinen Einfluss auf mich haben.

Viele Grüße,
Stefan

"If you have to go don't say goodbye
If you have to go don't you cry
If you have to go I will get by
Someday I'll follow you and see you on the other side"
(Smashing Pumpkins; For Martha)
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  #7  
Alt 14.01.2010, 15:59
Stefans Stefans ist offline
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Hallo Birgit,

Zitat:
Zitat von Birgit763 Beitrag anzeigen
zu Hause zu sterben ist so viel wert. Ja, ich beneide dich fast darum.
Mir war es nicht möglich und ich krieg dieses Bild nicht los, als mein
Mann abgeholt wurde, als er sich nochmal umgesehen hat....ich fühlte
mich wie eine Verräterin.
Ja, aber... darüber habe ich in den Foren hier oft mit anderen Hinterbliebenen gesprochen. Meine Frau hat Krankenhaus, Hospiz oder (das Schlimmste für sie) Pflegeheim für sich konsequent abgelehnt. Trotzdem hätte es passieren können. War eher Glück, dass keine Umstände eintraten, die sowas erzwungen hätten. Wenn ich in der Zeit krank geworden wäre, hätte sie ins Hospiz gemusst (angemeldet war sie da schon "vorsichtshalber"). Hätte es medizinische Dinge gegeben, die nicht Zuhause hätten behandelt werden können, hätte sie ins Krankenhaus gemusst. Usw... Wir hatten einfach nur Glück, dass es doch Zuhause ging. (V.a. auch mein Glück, weil mir deswegen ein langfristig schlechtes Gewissen erspart bleibt.).

Ich weiss, es wird dich nicht trösten. Aber im nachhinein, wenn die akute Trauer nachläßt, sagen viele Hinterbliebene: besser gut versorgt im Hospiz oder im Krankenhaus, als völlig überfordert und mit den Nerven am Ende Zuhause. Hier ist das (trotz Pflegedienst) auch nur gegangen, weil wirklich fast immer Freunde da waren, die bei Bedarf Urlaub und das nächste Flugzeug genommen haben. Allein hätte ich das niemals geschafft

Zitat:
Zitat von Birgit763 Beitrag anzeigen
Die Idee mit dem schwäbischen Friedwald, sie gefällt mir.
(...)
Diese Bestattung könnte ich mir für mich tatsächlich auch gut vorstellen
Meine Frau hat sich das recht spät überlegt. Ich hatte schon einen Bestatter ausgeguckt, der die Urne an die Hinterbliebenen aushändigt (obwohl das in D illegal ist). Also habe ich meiner Frau gesagt: "Wenn du nichts festlegst, entscheide ich eben. Dann kommst du hier unter den Kirschbaum im Garten." Dann kam aber zu Weihnachten ihre Schwester zu Besuch, und da haben die beiden das mit dem Friedwald bekakelt. Wurde mir zumindest posthum so gesagt, ich war nicht dabei - aber ich glaub's trotzdem

Also hat meine Frau eine 100-jährige Buche bekommen, wo irgendwann auch ihre Schwester, ihr Schwager und vielleicht ich liegen werden (ihre Mutter nicht, die mag nicht verbrannt werden). Mir ist das völlig egal. Ich bekam die Urne meiner Frau zugestellt, habe sie natürlich rein aus Neugier geöffnet und ein bischen in der Asche rumgerührt (und mich dagegen entschieden, einen Teelöffel Asche als "Andenken" zu behalten). Und bekam bestätigt, was ich schon eine halbe Stunde nach dem Tod meiner Frau wusste: das ist sie nicht mehr. Das sind sterbliche Überreste, allenfalls von symbolischem Wert, mit denen halt irgendwas gemacht werden muss.

Meine Frau wurde hier ihrem Wunsch gemäß 3 Tage aufgebahrt. Ich dachte vorher, dass auch ich diese Zeit zum Abschied nehmen brauche. War aber gar nicht so. Kurz nach ihrem Tod war sie für mich "weg". Deswegen ist mir auch egal, wo sie bestattet ist. Für mich ist sie immer "hier" - da, wo wir zusammen gelebt haben. Und falls es mal jemanden interessiert, wenn ich gestorben bin, wird es auch keine Rolle spielen, wo ich unter die Erde komme. Entweder habe ich einen Platz im Herzen einiger Menschen oder nicht.

Und wo ich dran denke: Achtung, jetzt kommt Stefans schwarzer Humor Als ich meine Frau wieder verschlossen, verpackt, adressiert und frankiert hatte, um sie Richtung Friedwald zu schicken, konnte ich es mir bei der DHL-Filiale im örtlichen Edeka-Markt nicht verkneifen, der Frau am Schalter zu sagen: "Aber bitte pfleglich behandeln. Das ist meine Frau!" Die guckte mich kurz an, registrierte, dass ich keinen Witz gemacht hatte, schluckte und brachte mühsam raus: "Wirklich?" Sach ich: "Wirklich!" So vorsichtig wurde da noch kein Paket behandelt

Zitat:
Zitat von Birgit763 Beitrag anzeigen
Es funktioniert halt - mehr nicht. Freunde und Bekannte sind mir geblieben - der Hund (was wäre ich nur ohne ihn) ist ein treuer Gefährte.
Geht mir doch genau so. Hündchen ist mit Abstand der wichtigste für mich. Und wenn man sieht, wie sich Hündchen freuen kann (ob nun über Schnee oder sonstwas), dann ist das Leben mitunter doch etwas mehr als nur "funktionieren"...

Viele Grüße,
Stefan
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  #8  
Alt 14.01.2010, 19:54
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HelmutL HelmutL ist offline
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Stefan, du bist die Härte.

wie kannst du diese arme Frau nur so erschrecken ! Das Gesicht hätte ich gerne gesehen . Naja, wenn sie einigermassen Humor hat, wird sie diese Story noch ihren Urenkeln erzählen

Diese Diskussionen kenne ich auch. Bei uns war es nicht machbar, ihr das zu ermöglichen. Auch meine Frau hasste Krankenhäuser und ähnliches. Sie legte die Entscheidung wortlos in meine Hand. Ich bin heute überzeugt, das Richtige getan zu haben in dieser Situation. Ich rief den Norarzt. Ich erinnere mich an ihren befreiten Blick, als sie nach der Morphiumspritze wieder atmen konnte. Ich erinnere mich auch an den letzten bewussten Blickkontakt. Er bedeutete mir: "Schade, doch ich bin müde, ich mag nicht mehr!"

Zitat:
Zitat von Stefans Beitrag anzeigen
Meine Frau wurde hier ihrem Wunsch gemäß 3 Tage aufgebahrt. Ich dachte vorher, dass auch ich diese Zeit zum Abschied nehmen brauche. War aber gar nicht so. Kurz nach ihrem Tod war sie für mich "weg". Deswegen ist mir auch egal, wo sie bestattet ist. Für mich ist sie immer "hier" - da, wo wir zusammen gelebt haben.
Das Gefühl kenne ich auch. Mir ging es genauso, als ich sie nach ihrem Tod noch einmal sah. Das, was da lag, war nicht mehr meine Frau. Es war nur eine Hülle, wie ein abgelegtes Kleid. Auch ich brauche nicht den Friedhof, das Grab. Wenn ich traurig bin, dann hier in unserem Haus bzw. da, wo ich gerade bin. Und wenn ich sie in meiner Nähe spüre, dann ist das nicht auf dem Friedhof.

Habe dich fest in meiner Seele,
Ich trag dich bei mir, bis der Vorhang fällt!
(Grönemeyer)


Alles Liebe

Helmut

Was vergessen: Wow, Stefan, eine wunderschöne Katze, ein herrlisches Tier.
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Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.

Geändert von HelmutL (14.01.2010 um 19:57 Uhr) Grund: was vergessen
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  #9  
Alt 14.01.2010, 20:47
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Morgana Morgana ist offline
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Standard AW: Ein Jahr...

Also wirklich: Das ist eine wunderschöne Katze!!!

Ach Birgit...so, wie ich eure Geschichte kenne denke ich es war genau so richtig - es ging wirklich nicht anders als Deinen Mann ins Krankenhaus zu geben. Du bist keine Verräterin; Du hast alles menschenmöglich für ihn getan.
Mein Mann kam ja von Intensiv nicht mehr runter, war ja leider jeden Tag aufs Neue dramatisch...die Bilder kommen mir immer mal wieder vor Augen (aufgeschwemmt wie ein Michelinmännchen)...doch es ist seltener geworden. Öfter sind da die Bilder von einem fröhlichen Chaoten, der sonntagsmorgens mit Blick zum Himmel sagte: "Mopped fahren!!!" während ich mir die Decke über den Kopf zog und murmelte: "Du spinnst...bestimmt regnet es noch".

Ich sehe es ähnlich wie Stefan - und auch Helmut wird mir Recht geben: Lieber Mann gut versorgt und ich habe noch Nerven übrig, ihn zu sehen, ihn zu knuddeln und wertvolle Zeit mit ihm zu verbringen ohne ständig die Angst, er könnte ersticken...
Freunde oder Verwandte standen nicht zur Verfügung...alleine hätte ich es nicht schaffen können.
Als er gestorben war, da war er weg...das war nicht mehr mein Mann...ich brauchte kaum Zeit an seinem Bett zum Abschied nehmen. Begraben wurde sein Körper...für mich ist es nicht ER, der da unter dem Rasen liegt. Zuhause, da kann ich an ihn denken, mal eine Kerze anzünden, mit einem guten Glas Rotwein ihm gedanklich zuprosten...den Miezen von ihm erzählen...die haben eine Engelsgeduld, wenn ich immer das selbe erzähle...

Stefan: Ich mußte herzhaft lachen als ich die Story mit dem Urnenpaket las - das ist wirklich schwarzer Humor - paßt zu Dir!
Ja, das Leben ist manchmal wirklich so viel mehr als funktionieren.

Ich wünsche euch noch einen guten Abend.

LG
Morgana
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  #10  
Alt 17.01.2010, 22:44
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Morgana Morgana ist offline
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Hallo Birgit,

für ihn war es Südtirol...schön die Kurven nehmen...
Er hatte 4 Motorräder...und da ich nie und nimmer gefahren wäre...durfte ich sie alle verkaufen...hat bis Juni 2009 gedauert.
Über Motorradfahren kann man bestimmt auch hinter dem Regenbogen fachsimpeln...
Seine Freunde haben sich...zurückgehalten...wollten nicht stören: Waren überfordert!
Sein Bruder hat ihn ein Mal im Krankenhaus besucht...als er gestorben war meinte er: "Ich dachte der packt das". Nö...hat er nicht "gepackt" wäre auch irgendwann kaum möglich gewesen. Seit der Beerdigung haben wir uns nicht mehr gesehen/gesprochen.

Mannomann...da war die Familie Deines Mannes ja auch nicht gerade hilfreich.
Hmmm...ich glaube, es war gut, dass ihr "sicher" im Krankenhaus ward und in Ruhe Abschied nehmen konntet.
Jaa...mir tut es auch gut hin und wieder zu schreiben; beim Schreiben kann man wieder ein bißchen weiter sortieren, was da so passiert ist.

Ich wünsche Dir eine angenehme Nachtruhe


LG
Morgana
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