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Alt 21.11.2012, 21:06
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reaLity reaLity ist offline
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Registriert seit: 21.11.2012
Ort: Berlin
Beiträge: 16
Standard Mama, mein Angel of Berlin*

Hallo zusammen,

meine Name ist Sascha, bin 36 Jahre jung und lese hier im Forum seit geraumer Zeit mit.

Warum schreibe ich nun? Hauptsächlich, weil ich meine, dass es mir danach besser geht - sprich, wenn's "raus ist" … ein freieres Gefühl halt.

Nun zu meiner Geschichte … ich fange natürlich vorne an und versuche keinen Roman zu schreiben. Mal schauen …

Wie fing alles an? Meine Mam fühlte sich bereits schon Mitte letzten Jahres ausgebrannt und auch schwächer. Sie war "dünnhäutiger" als sonst. Wir wussten nicht, was es damit auf sich hat. Haben Burnout vermutet, was sich leider als falsch erwies … Der Hausarzt brauchte auch sehr lange – zu lange. Leider kam die Überweisung des Hausarztes ins Krankenhaus erst im Februar diesen Jahres, mit dem Verdacht auf Lungenkrebs.

Dieser Verdacht bestätigte sich nach den entsprechenden Untersuchungen - Stadium IV. Ich weiß das genaue Datum nicht mehr. Es wollte sich wohl nicht einprägen - keine Ahnung warum. Jedenfalls war es natürlich schockierend. Meine Mam hat sofort ihre Kampf aufgenommen und auch immer wieder mit ihrem Feind (Sie gab ihm dem Namen Luk, logischerweise abgeleitet von Lungenkrebs) gesprochen. Ich fand's im ersten Moment komisch, aber doch irgendwie toll, dass sie den Kampf auch so angeht.

Ich muss dazu sagen, dass ich bis Mitte 2012 nicht wusste, in welchem Stadium sie sich befand. Mam hat's nicht gesagt und ich habe nicht danach gefragt. Sie sollte halt ihren Kampf anpacken und durchstehen - natürlich mit aller erdenklicher Hilfe. Vielleicht ist mein damaliges Unwissen unverständlich, aber es half dabei, uns auf Mama's Kampf zu konzentrieren.

Die erste Chemo ( Anfang März) hat sie sehr gut weggesteckt und sich gefreut, dass sie doch recht aktiv leben konnte. Die Nebenwirkung wie Appetitlosigkeit und Übelkeit kamen verstärkt hinzu. Am Ende des Zyklus kam die Ernüchterung - die Chemo schlug nicht an. Die zweite Chemo folgte bald darauf.

Im Laufe der Zeit gab es Tage, da war sie super drauf, wollte alles machen. Diese Tage waren nicht wenige. Es wurden aber mit fortschreitender Zeit leider immer weniger.

Im August zu ihrem 64ten Burzeltag hatten wir perfektes Wetter, konnten den Tag richtig genießen. Saßen draußen im Garten. Es war super. In der Familie hatten wir uns geeinigt, dass wir uns zu den Tagen wie Geburtstag oder Xmas nichts schenken. Das ging diesmal aber nun wirklich nicht ;-) Also haben wir (meine Freundin und ich) uns für eine gemeinsame Reise nach Hiddensee entschieden - Mama's Lieblingsinsel, wo sie seit knapp 15 Jahren mehrfach im Jahr Urlaub machte. Mama war dermaßen begeistert! Hammer!  Wir als Familie, endlich gemeinsam auf IHRER Insel Urlaub machen … wir haben ihr quasi wirklich einen Traum erfüllt, was mir leider erst später bewusst wurde. Es ging auch sofort ans organisieren. Mama hatte gewaltig Spaß am planen und allem drum und dran. Sie war in ihrem Element und ist wie eine Blume in der Sonne aufgeblüht. Knappe 3 Wochen später sind wir dann los. Es war der absolute Wahnsinn! Wir hatten Kaiserwetter, haben eine Inseltour gemacht, wo Mam uns mit dem Kutscher quasi alles gezeigt hat. Mama strahlte die ganze Zeit. Ihr Feind war ihr nur noch unterschwellig bewusst. Ich hätte nie gedacht, was wir gemeinsam erreicht haben. Es war wirklich fantastisch. Es war die schönste Zeit in den letzten Monaten und wir haben bis zum Schluss davon gezerrt.

Kurz nach dem gemeinsamen Urlaub war wieder ein CT/MRT (war Ende September) oder so was - mir war egal, was ärztlich gemacht werden musste, ich wollte immer nur das Ergebnis wissen. Davor hatte Mam Angst. Und erst recht vor dem Tag, wenn das Ergebnis vorliegt. Angst davor, dass wieder was negatives kommt. Zum Zeitpunkt des Ergebnisses waren wir (meine Freundin und ich) in ITA im Urlaub. Mam rief an und teilte mir mit weinender Stimmt mit, dass die Chemo wieder nicht anschlug!!! Ich war durch …, wollte nur zu ihr. Gesagt, getan - Urlaub abgebrochen und nach Hause geflogen, sofort ins KH. Sie wunderte sich, dass ich da war - Sie wollte immer, dass ich mein Leben lebe und mich so wenig wie möglich mit allem belasten. Ein Mutterinstinkt eben, reines Schutzdenken. Das ist auch der Grund, warum wir eigentlich nie über ihre Krankheit groß gesprochen haben. Wir wollten immer nur nach vorne schauen und gehen. Ich weiß nicht, ob man versteht, was ich meine?!

Während des KH Aufenthaltes wurde festgestellt, dass sich Wasser ums Herz und Lunge gesammelt hat, was ihre Atembeschwerden, die sie seit Monaten hatte, verschlimmerte. Sie wurde dementsprechend operiert und es wurden 3 Drainagen gelegt. Als ich Mama nach der OP im Bett liegen sah, völlig fertig, außer Kraft und quasi kaum ansprechbar, da schossen mir sofort die Tränen in die Augen. Ich konnte kaum etwas sagen, war wie versteinert.

Seitdem wurde Mam mit Sauerstoff versorgt. Dies hieß letztendlich, dass es leider weiterhin schlechter um sie bestellt ist. Aber irgendwie verdrängt man das. Man klammert sich an die positiven Gedanken, an das, was man noch vorhat und versucht darauf hinzuarbeiten.

Nach einer weiteren Woche KH wollte Mam dann nach Hause, sie hat's nicht mehr ausgehalten. Wollte einfach nur heim - das war Anfang Oktober. Wir haben dann so einen großen Sauerstofftank daheim gehabt. Mam brauchte den Sauerstoff 24/7. Bin dann ab dem Zeitpunkt quasi wieder nach Hause gezogen. Seitdem sind wir morgens zusammen aufgestanden, haben zusammen gefrühstückt, sind zusammen in den Tag gestartet. Abends haben dann zusammen Abendbrot gegessen, fern gesehen oder Karten gespielt etc. Halt alles gemeinsam. Sie wollte abends nicht alleine sein. Mittlerweile war sie so schwach, dass selbst der Gang zur Toilette Atemnot nach sich zog. Jede Bewegung war irgendwie ein Belastung. Ich habe die Nächte im Wohnzimmer auf der Couch verbracht und bei jeder Bewegung war ich wach. Habe jedes Geräusch im Unterbewusstsein aus Mamas Schlafzimmer vernommen und war sofort bei ihr. Sie hat mich dann immer weggeschickt. Wollte mich nie belasten.

Am 14.10. war es mit der Atmung so schlimm, dass wir den Rettungswagen morgens geholt haben. Die Nacht davor habe ich neben ihr gelegen. So war ich noch näher bei ihr. Nachdem sie mit dem Rettungsdienst ins KH gefahren ist, war ich wie in Trance. Müde und körperlich k.o., aber der Kopf war aufgewühlt und voller Gedanken. Habe dann alle Stunde in der Rettungsstelle angerufen, damit mir endlich jemand was sagen kann. Nach ca. 5h konnte ich zu ihr. Es wurden 2l Wasser von der Lunge abgepumpt. Mam ging's sichtlich besser. Sie war förmlich aufgeweckt und agil. Mein Herz machte Freudensprünge ohne Ende. Ich hätte die ganze Welt umarmen können. Uns ging's gut. Wir haben das als Zeichen gesehen und uns für kommende WE schon was vorgenommen, wenn Mam wieder raus kommt.

Am Montag dann die Ernüchterung … Mam ging's wieder schlechter. Wenig Luft, nichts gegessen, Übelkeit, Schwäche. Es wurde eine "Infektion" diagnostiziert, was genau, keine Ahnung. Die folgenden Tage waren genauso … Mam war sehr schwach, jede Bewegung war zu anstrengend, Atemnot, essen ging auch kaum was. Freitag war's etwas besser, sie hat mehr gegessen und sah auch besser aus. Mein Herz freute sich wieder mehr.

Samstag Mittag rief das KH an, sie müssten Mam operieren, die Drainageschläuche warn wohl nicht korrekt und somit zog Luft durch die offenen Stellen. Sie wäre die Nächste für die OP, aber wann sie abgeholt wird, wussten sie nicht. Wir sind sofort ins KH. Mam sah schlecht aus, sie aß mit uns ein Happen, trank ein Schluck Saft. Ich hielt ihre Hand … Sie klammert sich an meinen Arm, drückte mich ganz fest. Sie richtete sich auf und nahm mich in den Arm. Dabei sagte sie mit leiser Stimmt, dass sie mich liebt. Danach legt sie sich wieder zurück und sagte, sie kann nicht mehr. Habe ihr gesagt, dass wenn sie Schmerzen habe, dies raus schreien soll, was sie auch tat. Nach einer Weile kamen die Schwestern und fuhren sie aus dem Zimmer. Habe ihr zugerufen, dass ich sie liebe und wir uns dann später nach der OP dann sehen. Die Schwestern sagten, dass ich nachmittags mal durchklingeln soll, weil man nicht sagen kann, wann sie wieder zurück ist.

Mam sollte ab Oktober endlich in ihre verdiente Altersrente gehen, wir haben jeden Tag auf den Rentenbescheid gewartet. Zu Hause angekommen, lag endlich der Rentenbescheid im Briefkasten - ENDLICH. Darauf haben wir gewartet. Ich konnte es kaum abwarten, ihr diese tollen News zu zeigen!!!

Um ca. 17.00 Uhr klingelte das Telefon, das KH war dran … die OP ist erfolgreich verlaufen und Mam hat diese auch soweit gut überstanden. Allerdings war sie von der OP so geschwächt, sie hat sich davon nicht erholen können und ist eingeschlafen.

Ich ließ das Telefon aus meiner Hand gleiten und sank auf dem Boden zusammen. Ich weinte, ich schrie, ich fluchte … Nein, das konnte nicht sein, nicht so Mama… Die Schmerzen und die Enttäuschung den Kampf jetzt verloren zu haben, war groß. Ich war leer, komplett ausgehöhlt. Ich nahm um mich herum alles nur noch im Unterbewusstsein wahr. Ich hatte keinen Lebensdrang mehr. Mir war, als wenn auch mein Lebenslicht ausgehaucht wurde. Die quälenden Warum-Fragen kamen alle hoch. Es war erdrückend und leer.

Mama hat sich nie beschwert oder gejammert. Sie hat alles mit ertragen, egal wie es um sie stand. Ihr Blick war nach vorne gerichtet. Voller Hoffnung und Tatenkraft, so gut es möglich war…

Die folgenden Tage und Nächte waren eine einzige Dunkelheit. Ich war teilnahmslos an allem. Habe bis Dienstag in der Frühe nichts gegessen. Man funktioniert quasi nur noch auf Standby. Die Pflicht beim Bestattungsunternehmen war auch unerträglich. Man muss Dinge entscheiden und die Emotionen sind allgegenwärtig - Mama wollte eine Urne. Ich habe mich dafür entschieden, alles in IHRER Farbe (rosa) aussehen zu lassen. Mama durfte ihre Sachen angezogen bekommen - natürlich alles in rosa! Ich habe ihr einige Fotos und noch einen Brief mitgegeben, damit sie zu Opa auch nicht mit leeren Händen kommt.

Am 16.11.2012 war der letzte Gang. Mam wollte, dass wir alleine diesen Gang beschreiten. Dementsprechend wurden alle Notwendigkeiten getroffen - hier halfen Bestatter und Friedhof mit. Ich war glücklich, dass ich Mama diesen Wunsch erfüllen konnte. Es tat gut, dass es klappte.

Die Treppen hinein in die Kapelle waren für mich fast kaum zu bewältigen, ich quälte mich hoch, meine Knie waren weich, hatte kaum Kraft einen Schritt vor den anderen zu machen.

Die Musik setzte ein. Wir haben natürlich Mama's Lieblingslieder gewählt - und eins von mir*.

An den Weg nach vorne, wo Mama aufgebahrt war, kann ich mich nicht mehr erinnern. Direkt vor ihr sank ich auf die Knie nieder und es zerriss mich vor Tränen und Schmerzen. Sie war direkt vor mir, aber ich konnte Mama nicht sehen. Während der Musik starrte ich ununterbrochen auf Mama. - In diesen Momenten wurde mir erst wirklich bewusst, dass Mama für immer weg sein wird. Nichts wird mehr so, wie es war - alles wird anders, anders wie geplant. - Den Weg zur Grabstätte erlebte ich in Trance. Seit ca. 30 Minuten schossen mir die Tränen aus den Augen. Ich war froh, dass meine Freundin mich stützte und bei mir war. Mama wurde der Erde übergeben. Ich weiß nicht mehr, was ich alles sagte, aber es kam mir ewig vor.

Der letzte gemeinsame Weg war nun gegangen. Ich war irgendwie erleichtert. Allerdings geht es mir nicht wirklich besser. Mama ist allgegenwärtig, egal ob daheim, im Büro oder unterwegs. Sie begleitet mich überall hin! Ich vermisse Mama sehr. Es vergeht kein Tag, wo mich die Gefühle nicht übermannen und ich eine Auszeit brauche.

Und jetzt kommt der Rest … Versicherungen etc. Es ist leidig und tut alles sehr weh.

Mama, es tut mir unsagbar leid! Es tut mir leid, dass ich Dir nicht mehr jeden Wunsch erfüllen kann. Ich würde alles tun, dass alles anders geworden wäre!!! Mama, i miss U!

Mich quälen so viele Fragen, was man hätte anders machen können. Aber das zählt leider alles nicht mehr.

Ich habe Dich sicher in meiner Seele. Ich trage Dich bei mir, bis mein Vorhang fällt!!! ICH LIEBE DICH MAMA!!!


Vielen Dank für's zuhören bzw. lesen. Es ist nun doch länger geworden, als ich dachte. Ich bitte um Verständnis. Ich wünsche allen Angehörigen und Hinterbliebenen alles erdenklich Gute. Unsere Liebsten beschützen uns und wollen auch, dass es für uns weiter geht. Lasst uns sie alle stolz machen!!!

Liebe Grüße
Sascha aka reaLity
__________________
Ich habe Dich sicher in meiner Seele, trage Dich in mir, bis mein Vorhang fällt. Ich liebe Dich Mama!!!! (Orig. Herbert Grönemeyer - Der Weg)

Meine himmlischen Beschützer
Mama *1948 † 2012
Papa *1945 † 2009
Opa *1922 † 2003
Oma *1924 † 2013
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