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Alt 25.02.2006, 23:30
tonixx tonixx ist offline
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Registriert seit: 18.02.2006
Beiträge: 5
Standard Und wie kommt Ihr damit klar?

Hallo,

ich lese seit einiger Zeit immer mal wieder in diesem Forum. Was mich eigentlich interessiert ist wie Ihr im Alltag so mit der Krankheit umgeht?! Ich hoffe das ist nicht irgendwie im falschem forum.

Ich hatte 2002 Hodenkrebs. Direkt nach meinem Zivildienst, ich habe gerade im ersten Semester angefangen zu studieren. Mir wurde ein Hoden entfernt. Es folgte Bestrahlung.
Das war damals für mich alles kein Problem. Ich habe die Behandlung durchgezogen, wenn auch teilweise schlecht vertragen. Das hat vielleicht alles 2 Monate gedauert. Ich habe diese ganze Sache verdrängt. Als ich gesund war habe ich mich gefragt was ich weiter machen möchte. Da das Studium mir keinen Spaß gemacht hat, habe ich eine Lehre angefangen.

Die Krankheit habe ich verdrängt. Das war für mich alles nicht mehr existent.
Gut zwei Jahre später (2004) kam dann eine erneute Diagnose. Ein 7cm großer Tumor. Die Behandlung hieß Chemotherapie. Aufgrund der vorherigen Bestrahlung ziemlich schlecht vertragen. OK, ich war ca. 6 Monate Krank. Dann konnte ich wieder arbeiten. Ich habe meine Prüfung gemacht und meine Lehre bestanden. Und damit war ich fertig. Ich wollte diesen Lebensabschnitt beenden.
Nun ist eigentlich alles gut. Ich wurde übernommen. Mir geht es momentan zwar ziemlich schlecht, alles ist super anstrengend für mich, aber ich bin froh das ich nach der Lehre übernommen wurde.

Und nun ist es 2006. Ich habe ständig Angst dass es wiederkommt!? Mir geht es im Moment einfach nur schlecht. Ich lasse mir aber nix anmerken. Versuche immer „gut drauf zu sein“. Ich spiele dieses ganze Leben gerade als „Mr. Nice Guy“. Mein Job ist mir wichtig. Der ist sehr stressig. Unter der Woche habe ich viel Arbeit und kaum Zeit darüber nachzudenken. Und immer wieder am Wochenende stürze ich in eine depressive Phase.

Aber wie soll man wirklich damit klar kommen?! Ich bin ganz ehrlich, ich weiß nicht was ich darüber denken soll das ich dass 2. mal Krebs bekommen habe.

Ich weiß auch überhaupt nicht wo es in meinem Leben hingehen soll. Ich bin gerade mal 24 Jahre. Aber ich denke ständig an Krebs. Es ging eine Zeit lang. Ich habe mir gesagt, dass ich diese ganze „Scheiße“ einfach verdränge und vergesse. Das hat auch beim ersten Mal gut geklappt. Nur ist es nun anders. Ich kann es nicht mehr verdrängen. Es verfolgt mich jeden Tag. Ich habe nun eigentlich alles hinter mir. Aber ich kann kaum noch schlafen. Ich habe ewig Kopfschmerzen. Ich habe einfach Angst dass es wieder kommt.

Das Problem ist eigentlich dass ich mit niemanden darüber reden kann. Es ist nicht so als wenn ich keine Freunde habe. Ich habe mir nur einfach angewöhnt oberflächlich zu sein. Spricht mich jemand ganz direkt auf meine Krankheit an, dann mache ich Witze darüber. Ich ziehe alles ins lächerliche. Tue einfach so, als wäre das für mich alles „gegessen“ und erledigt. Das ist irgendwie eine Abwehrreaktion. Ich will nicht darüber nachdenken. Weil ich einfach weiß dass ich selbst nicht damit klar komme.
Nach der Chemo habe ich eine Kur gemacht. Eigentlich wollte ich das nicht. Ich wollte direkt wieder arbeiten. Aber ich musste einfach einsehen dass ich es nicht konnte. Während der gesamten Krankheitsphase habe ich mir einen vor gemacht. Ich habe immer gedacht das ich in 3 Wochen wieder arbeiten gehen kann.
Bei der Kur war es ganz lustig. Ich habe einfach viel Party gemacht. Das hört sich eventuell etwas komisch an. Aber ich habe einfach dass gemacht worauf ich Lust hatte. Wie auch immer. Ich wollte immer mit dem Kopf durch die Wand. Ich wollte nicht über die Krankheit nachdenken. Darüber hinaus war es bei der Kur eh so, dass die meisten irgendwie 60 waren. Was soll ich mit solchen Leuten reden?! Klingt jetzt vielleicht abwertend. Aber ich war 23. Da liegen einfach mal ca. 40 Jahre zwischen. Also habe ich es mir einfach gemacht, Ich habe die Sache einfach als Urlaub gesehen. Geredet habe ich mit kaum jemand über meine Krankheit.

Das hat bisher immer gut funktioniert. Aber jetzt nicht mehr. Irgendwie ist in letzter Zeit alles anders. Ich habe die letzte Behandlung nun so ca. 1,5 Jahre hinter mir. Meine „Wunden“ sind verheilt. Die Ärzte bescheinigen mir dass ich wunderbar mit der Sache klarkomme. Jeder Arzt, alle haben mich bewundert. Fanden es alle super dass ich damit so gut zu Recht komme. Zweifelhafter Ruhm. Ich falle gerade. Ich glaube dass es spät ist. Vielleicht bin ich ein Spätzünder. Das ich wohl heute noch lebe ist irgendwie knapp gewesen. Das haben sie alle gesagt. Und nun? Das ist alles so fern für mich. Ich glaube kaum dass ich das gewesen bin, wenn ich an die Krankheitsphase zurück denke. Das war irgendwer anders. Damit habe ich nichts zutun. Das war nicht ich.

Ich habe mir einfach angewöhnt eine Maske zu tragen. Und jetzt habe ich ein Problem. Ich kann diese Maske nicht mehr absetzen. Der Typ der einfach mit allem klarkommt und darüber noch Witze macht ist nicht mehr da. Ich komme gar nicht mehr klar. Kann kaum noch schlafen. Bin ewig gestresst. Habe nur noch Kopfschmerzen. Anstatt meine Probleme anzugehen habe ich mir angewöhnt Aspirin und Schlaftabletten zu nehmen. So finde ich wenigstens Ruhe. Und am Tag kann ich arbeiten weil ich genug Aspirin intus habe. Und manchmal trinke ich auch nur noch ohne Ende um einzuschlafen.

Hey ich war Krank. Viele erzählen einem dann dass man doch schon soviel hinter sich hat. Das man dass Leben aus einer anderen Perspektive sehen kann. Das man weiser ist und Lebenserfahrung hat. Ehrlich gesagt kann ich auf diese Erfahrung gerne verzichten. Und ich will das Leben nicht aus einer anderen Perspektive sehen.

Was soll ich nun machen? Auf der einen Seite hat es immer wieder gut geklappt die Krankheit zu verdrängen. Auf der anderen Seite sieht man die Fassade langsam bröckeln. Ich kenne mich kaum noch selbst. Aber ich funktioniere. Oder soll ich was anderes machen? Aber was? Ich glaube nicht dass ich mit jemanden darüber reden kann. Das kostet mich viel Überwindung das hier zu schreiben. Ich kann nicht weinen und nicht lachen. Ich fühle nichts mehr. Ich habe Freunde verloren und keiner kennt mich wirklich. Niemand weiß wie es in mir aussieht.

Ich kann das alles nicht. Das ist es einfach. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kann das alles nicht. Das erste Mal Krebs war OK. Damit kam ich klar. Beim zweiten Mal war ich nicht mehr da. Diese scheiß 95% Heilungschance interessieren niemanden wenn es wieder da ist.

Ich war viel zu sehr damit beschäftigt wie meine Umgebung mit der Krankheit klarkommt. Ich habe vergessen zu sehen wie ich damit klarkomme. Und nun habe ich Angst davor. Ich habe Angst vor meinen eigenen Gefühlen. Ich will nicht mehr. Ich könnte jetzt ewig weiter schreiben. Aber was soll’s. Ich habe Angst diese Sache in mir zu öffnen. Wenn ich Zeit habe und nachdenke. Ich suche irgendwie den Weg zu einer besseren Welt. Ich bekomme in meiner Welt gerade kaum noch Luft. Habe Freunde und meine Beziehung verloren. Ich stehe alleine da. Obwohl so viele Menschen um mich sind. So viele „gute Freunde“, aber ich bin alleine. Mich selbst belügen funktioniert immer noch am besten. Ich erwische mich schon selbst beim üben.

Ich glaube ich schreibe hier gerade etwas zu viel. Vielleicht könnt Ihr mich verstehen. Vielleicht auch nicht. Eventuell bin ich nur ein bekloppter.

Und wahrscheinlich werdet Ihr sagen dass ich versuchen soll darüber zu reden. Das ist ein guter Rat. Das ist richtig. Logisch und konsequent. Aber es geht nun mal einfach nicht. Ich kann es nicht. Ich will das in mir nicht öffnen. Das soll zu bleiben. Mein Leben lang. Damit will ich nichts mehr zutun haben.

Ich weiß auch gerade nicht mehr warum ich das überhaupt hier rein schreibe. Ich weis es nicht. Ich schreibe was ich denke. Vielleicht kann einer das verstehen. Vielleicht auch nicht. Im Moment ist bei mir einfach alles schlecht. Ich kann meinen freunden in die Augen schauen und fühle mich trotzdem allein. Keiner kennt die Gedanken in mir. Und ich glaube das ist auch gut so.
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