Krebs-Kompass-Forum seit 1997  


Zurück   Krebs-Kompass-Forum seit 1997 > Spezielle Nutzergruppen > Forum für Hinterbliebene

Thema geschlossen
 
Themen-Optionen Ansicht
  #871  
Alt 04.10.2005, 00:05
Briele Briele ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Mama,

heute ist es sechs Jahre dass Du tot bist. Seitdem habe ich viel geschrieben, immer um Dich herum. Über meinen Schmerz, meine Trauer, über die Träume, ich habe für mich Geschichten aufgeschrieben über Dich. Seit einem halben Jahr mach ich es hier. Sozusagen öffentlich. Es wäre Dir peinlich gewesen. Aber nun nicht mehr. Weil Du siehst wie viel Trost ich hier bekommen habe und nicht nur das, ich habe hier Alina gefunden. Wir konnten einander helfen in unserem Mamaschmerz. Und weil Alina und ich hier waren, hat Isa uns gefunden und wir sie. Nun sind wir Freundinnen.

Aber ist es nicht verwunderlich, dass ich nach sechs Jahren das erste Mal einen Brief an Dich schreibe? Fast zehn Jahre haben wir einander täglich geschrieben, später einige Male in der Woche, es waren tausende Briefe die wir ausgetauscht haben.

Mama, der 4. Oktober ist Dein Todestag. Du bist um 04.30 gestorben. Eigentlich bist Du kurz nach 04.00 gestorben, aber ich habe erst eine halbe Stunde später geläutet.
Der Tag davor war ein Sonntag. Es war ein Tag wie heute. Ein schöner, sonniger Herbsttag.

Ich bin am frühen Nachmittag zu Dir ins Krankenhaus gekommen. Die Schwester war bei Dir, massierte Deine Beine. Als ich vor Deinem Bett stand, hast Du Dich halb aufgerichtet, hast gesagt, du bist schon da, wie du schön aussiehst, wie ich dich lieb hab! Es klingt pathetisch, aber es war ein entrückter, ein seelenvoller Ausdruck in Deinem lieben Gesicht. Ich hab Deinen Rücken eingecremt, Deinen Po und alles an Dir war schön wie immer.

Wir waren dann einfach da. Du und ich. Und haben gewartet. Gemeinsam geatmet. Ein und aus und ein und aus. Blicke getauscht. Ein Lächeln. Hand in Hand. Wange an Wange. Wenige Worte.
Zwei Schwestern kamen, richteten das Bett, Du wolltest ins Badezimmer. Sie wollten eine Schüssel bringen, nur das nicht. Das erste Mal und es war auch das letzte Mal, Mama, kamst Du nur mit Hilfe ins Badzimmer. Rechts und links eine Schwester und als Ihr zurückkamt, bist Du stehen geblieben, hast mir einen verzweifelten Blick zugeworfen.

Wieder im Bett sagte ich zu Dir, was ich in den letzten Wochen etliche Male gesagt hatte. Ich sagte, Mama, heute schlaf ich hier. Und Du sagtest ja. Das erste Mal.
Ich war vorbereitet. In Deinem Schrank hatte ich meine Sachen, Nachthemd, Wäsche, Kosmetiksachen, Kerzen.

Du hast gedöst, geschlafen, schwer geatmet. Wenn ein Arzt, eine Schwester Dich laut ansprach, dann hast Du reagiert.

Am Abend sagten die Schwestern, sie müssen jetzt einen Stock höher, würden die Glocke aber hören. Du bist aufgewacht, wolltest aufstehen, Pipi machen. Ich sagte, bleib bitte liegen und bin eine Schüssel holen gegangen. Du hattest nicht die Kraft Dein Becken hochzuheben, damit ich die Schüssel unter Dich bekomme. Ich hab dann meine Arme unter Dich gelegt und Dich hoch gehoben. Es wird nicht lange gedauert haben, aber ich spüre es wie heute und die Gedanken die ich in mir hatte, werden mir immer bleiben. Ich hob Dich hoch und spürte Deine Wärme, Deine Weichheit, Mama, ein Teil Deines Körpers war zum ersten Mal in meinen Armen und ich wußte es wird das letzte Mal sein. Die Szene ist festgefroren in meinem Kopf, in meinem Herzen. Ich sagte mir, vergiß es nicht, vergiß es nicht, präg es dir ein, wie es sich anfühlt.

Ach Mama, Deine schlimmen Befürchtungen, für sanitäre Belange die Hilfe anderer zu benötigen, sind nicht eingetreten. Bis am letzten Tag hast Du Dich geduscht und das eine Mal Pipi auf der Schüssel war mit mir.

Der Tag war schön gewesen. Am Abend kam ein Sturm auf, der Wind heulte richtig. Ich legte mich in das andere Bett. In die Nierenschale – warum heißt sie nicht Spuckschale – stellte ich ein Teelicht. Der Raum war in ein mildes Licht getaucht.

Auf einer Seite Deines Bettes stand Dein Infusionsständer. Die andere Seite war frei. An die stellte sich die Schwester wenn sie kam um den Blutdruck zu messen.
Bis ans Ende meiner Tage wird es mir bitter leid tun, dass ich das zweite Bett nicht ganz an Deines heranrückte, dass wir nicht eng beisammen lagen, Du meinen Körper gespürt hast.

Ich schlief ein bisschen. Dann stand ich wieder auf, setzte mich zu Dir. Hielt Deine Hand, streichelte Dich. Ich legte einen nassen Waschlappen auf Deine Stirn, ich cremte Deine Füße ein, sprach mit Dir. Befeuchtete Deine Lippen, steckte meinen Finger in Deinen Mund um ihn zu befeuchten. Erschrak, wie rauh es sich anfühlte. Später hab ich erfahren, man kann Butter nehmen. Ich glaube Du hättest das nicht gemocht, den Buttergeschmack.

Die Schwester maß wieder Deinen Blutdruck und sagte zu mir, er steht 60 zu 40 aber ihr Herz schlägt ganz ruhig. Ich hörte beides, aber in mir schwang nur ... ihr Herz schlägt ganz ruhig, ihr Herz schlägt ganz ruhig.

Du konntest gut singen, Mama. Hast mir oft erzählt wie schön das war, in Deiner Kindheit in Südtirol, wie Leute abends auf ihren Balkonen, oder vor den Häusern saßen, einige begannen zu singen und die anderen fielen mit ein. Fandest es schade, dass es das so gut wie nicht mehr gibt. Als ich ein Kind war hast Du mir oft vorgesungen. Besonders gerne hörte ich ...sah ein Knab ein Röslein stehn... und dann weinte ich immer. Als ich das Lied wieder einmal bei Dir bestellte, sagtest Du, nein, das sing ich nicht mehr, da musst du immer weinen. Und ich meinte, doch, doch, ich wein ja so gerne!

Ich kann nicht singen, kenn keine Texte, aber da saß ich, Mama, und hab Dir ins Ohr gesungen. Ein seltsames Gemisch von Liedern.

Wir haben beide geschlafen, als ich wieder aufwachte hörte ich Dich ruhig, regelmäßig atmen. Ich stand auf, setzte mich zu Dir. Plötzlich veränderte sich die Atmung. Lange Intervalle. Ich legte eine meiner Hände auf Deine Brust, ganz leicht, die andere auf Deine Wange. Und dann hast Du nicht mehr eingeatmet. Bist hinüber geschlafen. Ich hab zu Dir gesagt, das hast Du jetzt gut gemacht Mama, das hast Du gut hingekriegt. Und dann hab ich Dir gesagt, was ich hier nicht schreibe, meine Worte der Liebe und des Dankes.

Ich hab geläutet, die Schwestern kamen, dann der Arzt, der viel bei Dir war. Er streichelte Deinen Arm und sagte zu mir, sie war bis zum Schluß eine Dame, ich werde sie nie vergessen.

Man fragte mich ob ich etwas brauche, eine Tablette, eine Spritze. Nein, das brauchte ich nicht.

Der Arzt brachte eine kleine Lampe, die einen angenehmen, milden Schein hatte. Dazu meine Kerze. Ich setzte mich zu Dir, legte meinen Kopf auf Deinen Bauch, steckte meine Hände unter die Decke, auf Deine warmen Beine und wartete auf meinen Bruder. Als er kam, ließ ich ihn mit Dir allein. Ging ins Schwesternzimmer, schrieb einen Brief an den Primarius mit der Bitte keine Obduktion durchzuführen.
Es wurde keine gemacht.

Mein Bruder sagte, wir müssen jetzt gehen. Deine Tasche hatte ich gepackt. Bis jetzt hatte ich nicht geweint. Nun sagte ich mit Tränen, aber ich kann doch nicht gehen und Mama einfach alleine lassen. Wir gingen.

Als ich vor dem Krankenhaus auf der Bank saß, wartete, bis mein Bruder mit dem Auto kam, fuhr ein Taxi vor und heraus stürzte eine Frau, rannte hinein ins Krankenhaus. Ich dachte, hoffentlich kommst sie noch rechtzeitig.

Du weißt ja Mama wie es mir in den Jahren erging und wie es mir heute geht. Der Schmerz war schlimmer als ich es mir je hätte vorstellen können. Wir konnten immer alles bereden. Und nun konnte ich nicht mit Dir über Deinen Tod reden. Der größte Kummer in meinem Leben und ich muß ohne Deinen Trost sein.

Mama, meine liebe, süße Mama, Du warst das Beste was mir in meinem Leben passiert ist.

Ah, Christ, that it were possible
For one short hour to see
The soals wie loved,
That they might tell us
What and where they be. (Tennyson)


Briele
  #872  
Alt 04.10.2005, 17:01
Benutzerbild von Petra11
Petra11 Petra11 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 30.05.2005
Beiträge: 281
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

ich habe Angst mit meinen Worten den traurigen Zauber den du hier hinterlassen hast zu zerstören.

Trotzdem möchte ich dich heute ganz fest umarmen und dir sagen ich denke an dich!

Liebe Grüße
Petra
  #873  
Alt 04.10.2005, 19:51
Alina Alina ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 79
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Briele, Herzensfreundin !

Petra hat so recht,es liegt ein Zauber über deinen Zeilen.Mir ist, als durfte ich mich leise in die Zimmerecke setzen und bei dir und Midi sein, in dieser Nacht, als du und deine Mama euch noch einmal so nah gewesen seid.
Deine Mama ist gegangen, mit der Liebe ihrer Tochter gerüstet für das Neue.
Der letzte Atemzug deiner Mama: ist es nicht, als ob eine Welle sanft ans Ufer schlägt, ausrollt und dann nicht mehr zurück geht ins Meer des Lebens ? Ich habe außer neben meiner Mama sonst noch nie neben einem/r anderen Sterbenden gesessen. Wenn ich aber deine Zeile lesen und dadurch auch die Erinnerung an die letzte Stunde meiner Mama zurückkommt, dann denke ich:"Es gibt ihn, den sanften Tod !"

All I want of you, men and women,
all I want of you
is that you shall achieve your beauty at the end
as the flowers do

(D.H.Lawrence )

Deine Mama hat das erreicht, Briele, das glaube ich wirklich, mit dir an ihrer Seite.

Alina
  #874  
Alt 04.10.2005, 19:59
gaertner gaertner ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Ort: Saarland
Beiträge: 164
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Hallo briele,


ich möchte dich hiermit ganz fest drücken. so wie du deine mutti im herzen hast, wird sie immer und überall bei dir sein. danke , das du uns daran teilhaben läßt, an deinem großen herzen .

lg gaertner
  #875  
Alt 04.10.2005, 22:10
Alina Alina ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 79
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Lieber Gaertner,

heute, an dieser Stelle ganz liebe Grüße und gute Gedanken an dich !
Hast du schon den Thread " ..Stille.." hier im Hinterbliebenforum bemerkt ?

Lässt du es uns wissen, wie es dir geht, wenn´s passt für dich ? Auch Robert ist sicher gut in deinem Herz und begleitet dich.

Alles Liebe für dich,
Alina
  #876  
Alt 04.10.2005, 22:12
Isa1 Isa1 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 27
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

wie schön du das geschrieben hast! Anrührend, schlicht, unsentimental. Tröstlich. Es geht mit wie Alina, ich habe das Gefühl, ich sei dabei gewesen. Ich find es gar nicht traurig, ganz im Gegenteil. Aus jeder Zeile spricht unendliche Liebe und Zärtlichkeit.
Weiß du, du hast einmal gesagt, dein Papa war ein Glückskind. Ich glaube die eigentlichen Glückskinder wart ihr, du und deine Mama. Und wer könnte sich eine bessere Sterbestunde wünschen? Niemand.

Lord Tennyson in Ehren: ich weiß nicht, ob wir uns das wünschen sollten. Ginge der Wunsch in Erfüllung, vielleicht würden wir nichts begreifen. Würden unsere weltliche Erfahrung, unsere Vorstellungen, Hoffnungen, darauf anwenden. Und wenn es nun ganz anders wäre würden wir noch mehr trauern, noch mehr Angst vor unserem eigenen Tod haben. Vielleicht ganz unbegründet.

Ich glaube, es wäre besser, wenn wir dem Tod wieder mehr Raum geben würden in unserem Leben. Für viele Menschen ist es eine grössere Katastrophe, geboren zu werden, oder auch zu leben, als zu sterben. Und wie entsetzlich wäre es, unsterblich zu sein. Simone de Beauvoir's Held in 'Alle Menschen sind sterblich ist ein gutes Beispiel dafür.

Ich denk oft daran, daß man sich bei euch daheim eine gute Todesstunde wünscht zu Geburtstagen, Neujahr. Ich habe so etwas nie vorher gehört. Es gefällt mir sehr. Wenn man auf Glück und Gesundheit schon wenig Einfluss hat, auf seine Sterbestunde hat man gar keinen.
  #877  
Alt 04.10.2005, 22:30
Benutzerbild von Dagi
Dagi Dagi ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 19.12.2002
Beiträge: 1.287
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,ich kann nicht so gut schreiben wie viele andere. Aber eins möchte ich dir sagen,deinen Brief an deine Mama hat mich tief berührt.Danke

Auch ich war ganz alleine mit meinen Günter,und es haben mich deine Zeilen wieder sehr bewegt.....es kam die Erinnerung an diese Sterbestunden hoch. Die Tränen flossen ,und das ist ok.Und es ist gut so,denn ich will nichts vergessen,so wie du. Bei uns ist es ja noch nicht so lange her..... Dagi
__________________
Das Leben wäre viel einfacher,wenns nicht so schwer wäre......
  #878  
Alt 04.10.2005, 22:56
Briele Briele ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine Lieben,

Liebe Alina, liebe Dagi, lieber Gärtner, liebe Isa, liebe Petra, (alphabetisch angeführt)
Und Ihr, die Ihr mir heute eine persönliche Nachricht, eine E-mail geschickt habt!

Wißt Ihr wie ich mich heute fühle? Wie jemand, der einen besonders schönen Geburtstag verbracht hat, nein, ich fühle mich so, als hätte ich für Mama einen Geburtstag ausgerichtet, das Fest ist vorbei, die Gäste gegangen, alles war schön, Mama und ich sitzen da, zufrieden und sehen in Ruhe noch einmal die Geschenke an. Die sind von erster Güte. Edle Dinge, nobel verpackt, mit Liebe ausgesucht.

So, meine Lieben, empfinde ich Eure Briefe. Ich bin angerührt und einfach glücklich über Euer Interesse, Eure Anteilnahme, die Gefühle, die Ihr mir entgegen bringt. Ich fühl mich richtig umfangen von Euch.

Habt Dank !

Eure Briele



Lieber Gärtner,

ich denk öfter an Dich. Vielleicht treffen wir einmal im Chat zusammen?
Wünsch Dir alles Gute.
Briele
  #879  
Alt 05.10.2005, 10:05
viv viv ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 23
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,
Bin nur noch selten im Forum , aber es war wunderbar wie du alles beschrieben hast, so ruhig, so gefühlsvoll. Denke oft an dich.
Schönen Gruss an alle andern, vor allem Isa und Alina.
Es tut mir leid, dass ich hier nicht mehr schreibe und ich bin froh darüber wie sich eure Freundschaft intensiviert hat.
Alles alles Liebe
Viv
  #880  
Alt 06.10.2005, 09:51
Briele Briele ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Viv,

danke für Deine Zeilen. Schick Dir eine e-mail.

Liebe Grüße
Briele
  #881  
Alt 09.10.2005, 19:41
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 09.02.2005
Ort: SB
Beiträge: 837
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

bitte leer mal deinen Briefkasten, du kannst keine pms mehr empfangen!

LG
Andrea
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
  #882  
Alt 21.01.2006, 16:20
Briele Briele ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Mama,

heute ist Dein Geburtstag. Ich würde gerne eine Zeitreise machen, dabei sein, sehen und hören wie alles war, als du kamst.

Du warst das zweite Kind, Dein Bruder Egon wurde ein paar Tage nach Deiner Geburt zwei Jahre alt. Geheiratet haben Deine Eltern erst als Du unterwegs warst. So etwas war damals eine schlimme Sache und wird Deiner Mama viel Kummer gemacht haben. Er war ein gut aussehender Mann, Dein Papa, ich hab ihn noch gekannt, aber er ist früh gestorben. Weißt Du was mich immer gerührt hat? Oma hatte es ja wirklich nicht leicht mit ihm, aber jede Erzählung über ihn, wie kritisch auch immer sie sein mochte, endete mit der zufriedenen Aussage: aber er war ein fescher Mann!

Ich weiß, du hörst das nicht gerne, aber ich hab den Verdacht, auch Dir war ein schöner Mann wichtig. Mama, ich sag`s jetzt einfach, aber ich glaub es war von Euch beiden ungeschickt, soviel Wert darauf zu legen.

Mir fällt es nun nicht ein, war es der Qualtinger oder doch ein anderer, von dem der Ausspruch kam: Mann, was schöner ist als Aff, ist Luxus.

Es gibt keine Fotos von Dir als Baby, als Kind. Ein einziges von der Erstkommunion, du stehst weit hinten. Ich hab Dein Gesichtchen vergrößern lassen, aber einen wirklichen Eindruck bekommt man nicht.

Heute ist Dein Geburtstag, Mama, wir haben nie über Deine Geburtstage vor meiner Zeit gesprochen. Der 21.1. ist knapp vier Wochen nach Weihnachten, war wohl eher ein Nachteil in Bezug auf Geschenke. Wahrscheinlich hieß es dann oft, jetzt war ja erst Weihnachten.

Dein großer Enkel wird bald vier. Zu Weihnachten rief er mich an und bedankte sich für die Geschenke. Seine Eltern erzählen ihm über das Christkind das, was Du uns erzählt hast. Daß die Eltern dem Christkind das Geld für die Geschenke geben.

Ich denk so viel an Dich Mama, in der Weihnachtszeit bist Du in meinen Gedanken ein kleines Mädchen. Ein liebes, braves, kleines Mädchen, das gerne in die Schule geht, in die Kirche auch, daheim viel hilft bei den kleineren Geschwistern. Ihr wart arm. Du hast mir immer erzählt das war nie ein Problem, außer zu Weihnachten. Es war nicht zu verstehen, daß das Christkind reichen Kindern die eh schon alles hatten, sich nicht bemühten, nicht lernten, nichts tun mussten, daß die dann noch mit Geschenken überhäuft wurden. Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit war ein richtiger Kummer für dich.

Sobald es mir möglich war hab ich Dir viele Geschenke gemacht, es war eine große Freude Dich zu beschenken. Kein Mensch konnte sich aufmerksamer bedanken als Du.

Schon lange denke ich wir haben einander nicht nur so viel Liebe und Freude geschenkt, es war auch so ein tolles Gefühl, daß ich von Dir alles bekomme was ich möchte und Du von mir. Erinnerst Du Dich, einmal in Wien, als Du mich wieder fragtest, möchtest du das haben, ich kauf es dir? Und ich dann meinte, sag einmal, was würdest Du eigentlich machen, wenn ich immer ja sagte? Du hast gelacht und gesagt, dann würd ich dich nicht immer fragen.

Dieses „alles bekommen, was man will“ erstreckte sich auf alle Gebiete – etwas tun für den anderen, Unangenehmes übernehmen, Wünsche erahnen, erkennen, sie erfüllen.

Mit Werner findet diese Sache eine gute Fortsetzung, aber irgendwie springt er nicht an wenn ich sage, ich hätt so gern wieder einmal Tiroler Knödel. Ich hab dann immer Deine Antwort im Ohr, na die machen wir gleich morgen.

Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich an Deinen Geburtstagen bei Dir und dann erst wieder bei Deinen letzten drei oder vier. Nicht immer, aber in den letzten 25 Jahren Deines Lebens, hab ich Dir zum Geburtstag meistens eine Reise geschenkt, die wir dann im Frühjahr unternommen haben. Manchmal war das eine Reise die Du dann alleine gemacht hast, oft sind wir gemeinsam verreist. Es gibt keinen Menschen mit dem ich lieber unterwegs war, als mit Dir. Es hat einfach alles gepasst. Ich danke Dir, dem Schicksal, auch meiner Initiative, daß wir viel unternommen haben, ich viele Erinnerungen habe. Immer war mir bewusst, daß es mir später einmal zu wenig erscheinen wird. Und eine wichtige, ganz wichtige Reise fehlt uns auch. Die Reise nach Südtirol, in den Ort Deiner Kindheit. Immer aufgeschoben und dann war es zu spät. Du bist mit Deiner Mama hingefahren als sie 80 war. Eigentlich war ich damals nicht zu jung um die Bedeutung dieser Reise zu erkennen, aber ich war zu blöd. Du hast nichts gesagt, Du hast nie zu etwas gedrängt. Ich bin nicht mitgefahren.

Zu Deinem 60. Geburtstag sind wir nach Madrid gefahren. Es erscheint mir wie gestern. Es gibt ein Foto von uns. Bald bin ich so alt wie Du damals. Du warst begeistert und begannst Spanisch zu lernen. Danach warst Du einige Male mit einer Reisegruppe in Spanien, auch in Portugal. Ziemlich anstrengende Kunst-Kulturreisen, wie ich fand. Ganz hab ich diese Liebe zu Spanien, zu allem spanischen, nicht verstanden. In Dir war doch so viel Italien! Die Sprache hast Du ausgezeichnet gekonnt, warst oft dort, die italienische Oper war täglich in Deinem Leben. Aber nein, es zog Dich mehr nach Spanien.

Einige Male sagtest Du, am liebsten würdest Du dort ein Jahr leben. Alleine. Diesem Wunsch bin ich irritiert gegenüber gestanden. Es war der erste Wunsch von Dir, bei dem ich nicht sofort ansprang.

Dann wurdest Du krank. Ich dachte oft an Deinen Wunsch. Nach der Chemo ging es Dir wirklich gut. Ach Mama, ich bin so froh, daß wir über alles gesprochen haben. Über das Sterben, den Tod, aber auch über die Zeit vorher. Ich hab Dich gefragt ob Du das noch immer willst, für eine längere Zeit nach Spanien fahren und daß Du auf mich zählen kannst. Ich bei Papa bleibe, auf ihn schaue.

Ich erinnere Dein kopfschüttelndes Nein, das mich nicht überzeugte, von dem ich wußte, es ist ein Nein wegen mir. Weil du weißt, mit welchen Sorgen ich Dich ziehen lassen würde.

Wir haben anderes unternommen.

Im Dezember 1998 stellte sich heraus, daß die zweite Chemo nichts gebracht hat. Es war ein herber Schlag. Doch ganz schnell hast Du Dich von der Therapie erholt und wir sind nach Hamburg gefahren.

Ich bin sehr froh, Mama, daß Du in dieser Wohnung hier warst. Wenn ich in dem Lederfauteuil sitze, dann denk ich, vielleicht ist in einer Falte noch ein Molekül von Dir. Manchmal nehm ich von Stefan Zweig „Maria Stuart“, „Marie Antoinette“ in die Hand, die beiden Bücher, die Du hier gelesen hast. Ich befühle die Seiten. Die Flasche Metaxa steht noch da. Halb voll, halb leer. Die Hälfte haben Du und ich damals getrunken. Manchmal leg ich mich in das Bett, in dem Du damals lagst und sage leise vor mich hin: Mama, Mama.
Ich gehe in Restaurants, in denen wir damals waren und setze mich nicht auf Deinen Platz, sondern daneben. In Museen stehe ich vor Vitrinen und höre Deine Bemerkungen.
Hier in Hamburg war Dein letzter Geburtstag.

Im Frühjahr, es ging Dir nach wie vor gut, sagtest Du zu mir, jetzt werd ich wohl nicht mehr nach Spanien kommen. Ich weiß nicht was in mir überwog: die Überraschung, oder das Erschrecken. Am liebsten hätte ich mich Dir zu Füßen geworfen, weinend, bittend, bleib bei mir, geh nicht fort. Aber ich bin auf Dich eingegangen. Wie so oft saßen wir einander gegenüber, einander an den Händen haltend, unsere Knie berührten sich. Und ich sagte mit ganz fester Stimme, Mama, wenn du das willst, dann kriegen wir das hin. Ich such etwas für Dich, ich helf Dir mit Geld, ich bleib da bei Papa und ich hol Dich wenn Du wieder heim willst.
Und dann sagtest Du mit genauso fester Stimme und auch ganz fröhlich, nein, ich will das gar nicht mehr, ich will bei dir bleiben, was soll ich dort.

Nun ist mir Dein Todestag fast wichtiger als Dein Geburtstag. Der 21.1. ist Vergangenheit, was der 4.10 wirklich ist, das weiß ich natürlich nicht. Für mich ist er Dein zweiter Geburtstag. Ob heute, ob gestern, ob morgen, ich hab Dich gut in mir, Mama. Liebe Mama.

Deine Tochter
  #883  
Alt 21.01.2006, 17:00
Benutzerbild von AndreaS
AndreaS AndreaS ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 09.02.2005
Ort: SB
Beiträge: 837
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Briele,

du weißt, was passiert ist an meinem PC während ich deine Zeilen gelesen habe. Weißt du auch, dass ich gedacht habe: Bitte hör nicht auf! Erzähl mir noch ein bißchen von dieser wunderbaren Mutter und eurer tollen Beziehung, von dem wunderbaren Miteinander. Lass es noch nicht zu Ende sein, ich möchte noch ein wenig bei euch bleiben, als stummer Zuhörer, ich möchte noch eine Weile diese Wärme um mein Herz spüren.

Wie stolz ist deine Mama, dort wo sie jetzt ist, eine Tochter wie dich zu haben. Und bestimmt wird sie von einigen Seelen darum beneidet.



Deine Andrea
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
  #884  
Alt 21.01.2006, 22:40
Alina Alina ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 79
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

mit Freude komme ich auch hierher, in "unseren" Thread, in den Thread unserer Mamas, um an Midi und ihren Geburtstag heute zu denken.

Durch deine Erzählungen über sie habe ich mir Bilder gemacht, ich sehe euch zusammensitzen, ich sehe dich, wie du deiner Mama die Haare machst und wie sie auf die Tür des Geschäftes zugeht und du sie schon kommen siehst und lächelst.
Ich hätte Midi gerne kennengelernt, liebe Briele. Sie ist mir schon durch deine Geschichten über sie so liebenswert und vertraut geworden, dass ich noch viel mehr über sie erfahren möchte, wenn ich sie schon persönlich nicht kennen lernen konnte.

Wenn ich deine Zeilen so lesen, denke ich auch heute wie schon oft zuvor: Briele und Midi hatten so eine erfüllte, tiefe Beziehung zueinander, sie haben sich gegenseitig das geschenkt, was sie sich gewünscht haben.
Weißt du, was ich u.a. auch so an deiner Mama bewundere: sie hat dir tiefe, verläßliche Wurzeln geschenkt, aber auch tragfähige Flügel. Sie hat dich sicher vermisst, als du in dein eigenes Erwachsenenleben gestartet bist, aber sie hat dich noch ermuntert dazu, zu gehen.

Wenn ich an dich und deine Mama denke, fallen mir immer die Frauenfiguren aus Allendes Buch " Das Geisterhaus" ein. So starke, weise Frauen, Mütter und Töchter, die eine innige Beziehung über den Tod hinaus hielten und sich nicht verloren haben. Briele, du und Midi seid für mich auch solche Frauen.

Wenn man sich so viel wert war, so viel zusammen gehabt hat, dann ist es wirklich so wie Fried sagte: Nicht nichts ohne dich, aber nicht mehr dasselbe..

Ach, vielleicht sitzen sie ja jetzt zusammen, Midi und Adele, stoßen zusammen an und lächeln uns zu.

Eine innige Umarmung von Alina
  #885  
Alt 24.01.2006, 14:17
Briele Briele ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 15.08.2005
Beiträge: 192
Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Andrea,

danke für Deine lieben Zeilen und danke, daß Du gerne über meine Mama liest. Das tut gut, richtig gut.

Solange ich lebe, meine Sinne beisammen habe, werde ich auch immer wissen, daß Claus zu Andrea gehört.

Liebe Grüße und
Deine Briele
Thema geschlossen

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +2. Es ist jetzt 03:29 Uhr.


Für die Inhalte der einzelnen Beiträge ist der jeweilige Autor verantwortlich. Mit allgemeinen Fragen, Ergänzungen oder Kommentaren wenden Sie sich bitte an Marcus Oehlrich. Diese Informationen wurden sorgfältig ausgewählt und werden regelmäßig überarbeitet. Dennoch kann die Richtigkeit der Inhalte keine Gewähr übernommen werden. Insbesondere für Links (Verweise) auf andere Informationsangebote kann keine Haftung übernommen werden. Mit der Nutzung erkennen Sie unsere Nutzungsbedingungen an.
Powered by vBulletin® Version 3.8.7 (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2024, vBulletin Solutions, Inc.
Gehostet bei der 1&1 Internet AG
Copyright © 1997-2024 Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V.
Impressum: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Eisenacher Str. 8 · 64560 Riedstadt / Vertretungsberechtigter Vorstand: Marcus Oehlrich / Datenschutzerklärung
Spendenkonto: Volker Karl Oehlrich-Gesellschaft e.V. · Volksbank Darmstadt Mainz eG · IBAN DE74 5519 0000 0172 5250 16 · BIC: MVBMDE55