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  #856  
Alt 04.09.2005, 10:04
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Septemberblues

Heute vor sechs Jahren kam meine Mama ins Krankenhaus und einen Monat später war sie tot. Seitdem ist mein Leben „nicht nichts ohne sie, aber weniger“. Auch meine September sind seitdem andere.

Die „September“ waren meine Monate gewesen. Monate, die einen Ausklang, einen neuen Beginn mit sich brachten. In Kinder und Jugendjahren, das Ende der langen Ferien, Beginn des neuen Schuljahres. Ich ging nicht ungern in die Schule, vor allem im September nicht. Ich freute mich auf die neuen Bücher, so viele gab es ja nicht, die neuen Hefte, zum Anziehen war auch was dabei.

Nach der Schulzeit waren es einige September, in denen ich ins Ausland ging und dann, im Berufsleben, waren in den Septemberwochen über viele Jahre immer die highlights des Jahres. Konferenzen, Kongresse, bei denen ich richtig wichtig sein konnte.

Ein neuer Beruf brachte es in den letzten zwei Jahrzehnten mit sich, dass der September das Ende der Saison einläutete, ich mein Geld zählte und hoffte, damit gut über den Winter zu kommen, viel von dem tun zu können, was ich mir ausgesucht hatte.
Es war der Monat, in dem ich mir alle Kataloge für Kurse, Seminare usw. zuschicken ließ, in dem ich das nächste halbe Jahr plante.

Dann kam der September 1999. Im August war es Mama nicht gut gegangen, aber das war schon öfter gewesen, ein paar Tage nicht gut, dann wieder besser. Sie war immer auf. Tat, was sie immer tat, also viel.
Abends, um 19.00 gab es eine regionale Sendung im Fernsehen, die Papa gerne sah. Zu Beginn und am Ende der täglichen Sendung war immer ein Bambambambam Ton und dann hieß es: noch 129, noch 128 .... Tage bis zur Jahrtausendwende. Jeden Tag ein Tag weniger.

Mama badete gerne. Lag eine Stunde in der Wanne und las. Wenn sie raus kam war sie nicht rot verschrumpelt. Nun bereitete ich jeden Abend das Badewasser für sie vor. Gab ein wenig von ihrem Diorschaumbad hinein, dann Muskatellersalbeiöl, Lavendelöl. Den Duft hab ich noch in der Nase. Ich kniete dann vor der Wanne, legte meine Hand auf ihren Bauch, in dem das Ungeheuer saß.

Als ich am ersten Sonntag im September ins Haus kam, lag auf dem Küchentisch ein Zettel. „mir ist gar nicht gut“ stand drauf. Sie hatte ihn geschrieben, weil sie wußte, dass ich früh kommen, sie aber nicht wecken werde. Ich hatte den Zettel in der Hand und dachte, dass ist die letzte schriftliche Nachricht meiner Mama an mich. Die letzte. Nachdem wir mehrere tausende Briefe gewechselt hatten. Ich zerknüllte ihn und warf ihn weg. Ging in Mamas Schlafzimmer. Sie sagte, es sei eine schreckliche Nacht gewesen, sie habe zweimal unglaubliche Mengen Flüssigkeit erbrochen. Habe Schmerzen, sei schwach. Möchte baden. Wir zelebrierten unser Baderitual. Anschließend übergab sie sich wieder. Wir waren beide fassungslos über die Menge.

Mein Bruder fuhr mit ihr ins Krankenhaus. Ich ging mit ihr hinaus aus ihrem Haus, durch ihren Garten, in dem noch viele ihrer Blumen blühten. Es war ein schöner, heißer Spätsommertag. Sie hatte eine beige Hose an, ein weißes Oberteil. Der Schweiß stand ihr auf der Stirne, die Hände waren kalt. Ich sollte bei Papa bleiben, dem es auch nicht gut ging.

Am frühen Nachmittag legte ich mich ins Bett. Mein Bruder rief mich an, sagte, es sieht nicht gut aus. Es gäbe keine Operation mehr, keine Therapie. Man werde sie mit nichts mehr plagen, auch keinen weiteren Untersuchungen, wolle versuchen sie schmerzfrei zu halten. Ich legte auf und wußte, nun beginnt das Sterben. Kurz darauf rief Mama an. Sie fühle sich bereits sehr gut, eine Infusion hängt, bestimmt würde sie bald wieder daheim sein. Heute soll ich nicht kommen, sie möchte schlafen.

Es ist sechs Jahre her. Manchmal mache ich am Sonntag ein Nickerchen. Immer wenn ich es tu, sind die Gefühle von damals da.

Und dann begann ein September, der wie alle meine September Ausklang und Neubeginn bedeutete. Aber mein Gott, mit welchem Schmerz, welchem Entsetzen, welcher Verzweiflung.

Die Tage begannen nun sehr früh für mich, endeten spät. Ich übernahm alles was sie getan hatte. Die Nachmittage gehörten Mama und mir. Ich habe kein Auto und fuhr die 30km mit dem Bus zu ihr. Wenn der Bus noch 15 Minuten vom Bahnhof der Kleinstadt entfernt war, wenn er sich so die Bergstraße talabwärts schlängelte, dann sah ich schon die Gebäude des Krankenhauses und ich sah auch meine Mama, wie sie da lag mit ihrem ständigen Begleiter, dem Infusionsständer.

In der ersten Zeit haben wir noch viel gesprochen. Es wurde immer weniger. Viel Morphium. Einmal sagte sie zu mir, weißt du, die tun hier alles für mich, aber irgendwie machen sie mich fertig. Ich kann nicht mehr reden. Mich nicht mehr mitteilen. Ich sagte, Mama, was möchtest du mir sagen. Und sie sagte, mit einer Sehnsucht in der Stimme, die ich nie vergessen werde, ach, so vieles! Und ich sagte, Mama, wir haben doch alles gesagt, und sie meinte, da hast du auch wieder recht.
Nun gab es kaum mehr eine Tätigkeit die ich für sie machen konnte. Ganz weniges:
Ihre Wäsche machen, etwas bringen. Es gab keinen Saft, keinen Tee, den ich nicht brachte. Es schmeckte ihr nichts. Nachdem alle Lutschbonbons dann doch nicht so waren, meinte sie, vielleicht solche, die man früher hatte, die wie kleine Zitronenspalten aussehen und gelb und orange sind. Nach vielen Telefonaten hatte ich sie, aber sie waren auch nicht gut.

Das „Tun“ war zu einem Ende gekommen. Wir waren zurückgeworfen auf unser „Sein“.

Ich wollte, dass sie heimkommt. Zweimal, mit viel Aufwand, viel gutem Willen einer Ärztin geschah es. Sie war lieber im Krankenhaus. Es war dort wie in einem Hospiz, ich werde den Leuten dort bis ans Ende meiner Tage dankbar sein.

Es kam die Zeit, da gab es wirklich gar nichts mehr zu tun. Ein Fenster aufzumachen, oder zu schließen. Eincremen. Wir waren einfach da und warteten auf den Tod. Sie lag, ich saß, Hand in Hand, die meiste Zeit hatten wir beide die Augen geschlossen, manchmal tauchten unsere Blicke ein in den anderen. Ich streichelte sie, ich legte meine Wange an die ihre. Wenn ich etwas bedaure, dann, dass ich nicht einfach das andere Bett an ihres geschoben habe, um mich hineinzulegen und ihr noch näher zu sein.

So wenig wir sprachen, um einen Satz bin ich so dankbar. Als ich wieder einmal zu ihr sagte, Mama, ich hab dich so schrecklich gern, da sagte sie, ich dich auch, daran wird sich auch nie etwas ändern, du musst dir das merken, das wird immer so bleiben.

Tag für Tag war dieser September ein schöner, sonniger, warmer gewesen. Tag für Tag fuhr ich mich dem Bus hinaus, saß vier Stunden bei Mama, dann ging ich. Oft sagte ich zu ihr, heute schlaf ich hier und sie schickte mich heim zu Papa. Ich ging zum Bus, kaufte mir eine Tüte Eis und fuhr wieder zurück. Der Bus fuhr langsam die gewundene Straße bergauf und nach 20 Minuten sah ich hinunter auf die Stadt, auf das Krankenhaus, in dem meine Mama lag. Und immer dachte ich, dort liegt meine Mama auf ihrem Schmerzenslager. Auch wenn sie keine Schmerzen hatte. Ich war immer froh wenn kein Mensch mitfuhr der mit mir reden wollte, mich fragen wollte.

Auch heute, sechs Jahre später, ist mein erster und letzter Blick auf den Krankenhauskomplex, wenn ich die Straße runter und dann wieder rauf fahre.

In mir war ein ständiges Zittern. Ich saß neben Mama und merkte wie ihre Hand, ihr Arm von Tag zu Tag leichter wurde. Trotzdem war sie noch immer rund.
Sie sah so lieb aus, wie sie immer ausgeschaut hatte, sie roch so gut wie immer. Ich nicht mehr, ich konnte mich so oft waschen und dauernd frisch anziehen wie ich wollte, ich roch. Nach Angst. Ich war entsetzt, verzweifelt über die Gegenwart und ich hatte schreckliche Angst vor der Zukunft, auch davor, dass ich nicht bei ihr bin wenn sie stirbt.

Es ging sich aus. Ich war bei ihr. Wir hatten das Glück. Vielleicht schreibe ich darüber im Oktober.

Heute vor sechs Jahren begann ein September an dem jeden Tag Karfreitag war. Seit sechs Jahren sage ich mir, wir müssen das alles nicht noch einmal durchleben. Mama nicht. Ich nicht. Wir haben es schon durchlebt, wir haben es vollbracht.

Briele
  #857  
Alt 04.09.2005, 23:03
Alina Alina ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Briele !

September ist der Monat für mich, der den Sommer mit seiner Unbeschwertheit, seiner reichen Ernte und der Wärme beschließt und langsam überleitet zu kürzeren Tagen, Kühle und beginnendem Sterben in der Natur. Deine Mama hat ihren Abschied nach dem Sommer begonnen, nach der Zeit der Erntefülle. Nach allem, was du erzählst hast von Midi,bin ich mir dessen gewiß, dass deine Mama ein Leben der Fülle und Intensität hatte.Wenn ich einmal sterbe und ich könnte wählen, so würde ich es gerne so wie deine Mama machen, nämlich zu dieser Zeit,nach dem Sommer der Fülle meinen Abschied nehmen.
Briele, deine Sätze lassen mich die Nähe und Zärtlichkeit zwischen Midi und dir einmal mehr ahnen.Sie muss schön gewesen sein, diese körperliche Vertrautheit und Nähe zwischen euch, neben eurer seelischen und geistigen Verbindung.
Nach dem Lesen deiner Zeilen dachte ich:" Ach, es war gut ! Sie haben sich alles gesagt, obwohl sie nichts lieber gehabt hätten, als ihren lebenslangen Dialog fort setzen zu können.Briele hat ihre Mama, ihren Lebensmenschen bis zur Schwelle begleitet"
Ich denke es wirklich, Briele, meine Freundin, wie könnte diese gesamte Liebesenergie einfach nur verschwinden, sich in Nichts auflösen ? Unser Leben ist weniger geworden, beraubt um die körperliche Nähe und des hörbaren Dialogs mit unseren Müttern. Aber, deine Mam hat es gesagt, an der Tatsache der Liebe kann auch der Tod nichts ändern.
Sie werden uns einmal erwarten, lächelnd und voller Zärtlichkeit, das glaube ich.

Heute brennt eine Kerze bei mir für deine Mama, die ihren Abschied zu dieser Zeit begonnen hat.

Ein Gedicht ist mir noch eingefallen, zum September, zum Herbst( du wirst es wahrscheinlich kennen?!)

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmel ferne Gärten.
Sie fallen mit verneinender gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: Es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
( Rilke)

Liebe Briele, ich wünsche so sehr, dass unsere Mamas sanft aufgefangen wurden !

Deine Alina
  #858  
Alt 05.09.2005, 00:08
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Meine liebe Alina,
liebe Freundin,

hab Dank! Seit fast einem Monat haben wir eine andere Form der Kommunikation, aber heute find ich es schön Deine Antwort hier zu bekommen, wo wir einander vor fast einem halben Jahr kennenlernten.

Du weißt weshalb ich heute im Forum schrieb. Weil außer mir kein Mensch daran denkt was heute vor sechs Jahren war. Zum Schluß bleiben für ein paar noch die Geburts- und Todestage übrig, mehr nicht.

Meine Mama hätte diese Art von performance befremdlich empfunden, mir tut es gut.

Ich werde nun versuchen diese Septembertage und dann auch die im Oktober mit einem leichten, frohen Herzen zu erleben. Denn: ich bin ja froh! Froh, daß es mit Mama und mir so gut war, wir einander hatten, sie war das Beste in meinem Leben, und ich bin auch froh, daß sie dann gut sterben konnte.

Sie sind bestimmt gut aufgefangen, unsere Mamas.

Hab Dich gern, Alina!
Deine Briele
  #859  
Alt 05.09.2005, 08:30
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

auch ich hatte gestern deine Zeilen gelesen. Auch ich habe sie gespürt, diese Nähe und Liebe, diese Vertrautheit, die zwischen dir und deiner Mama vorhanden war. Und meine Gefühle waren sich nicht ganz einig beim Lesen deiner Worte, wollte ich nun weinen oder lächeln. Warum weinen? Weil es so traurig ist, dass Menschen, die einander so viel bedeuten getrennt werden, weil andere, die nichts aus ihrem Zusammensein machen, scheinbar mehr Zeit haben? Zeit an Jahren, vielleicht. Aber nicht mehr Zeit an Inhalt. Ihr habt eure Zeit so wunderbar genutzt, so ausgefüllt mit Liebe und Gesprächen, dass das Lächeln übrig bleiben sollte. Lächeln aus Freude, dass es euch so gut gelungen ist.

Und ich bin mit Alina ganz einig. Die Liebe wird überleben, sie wird sich nicht in Nichts auflösen. Sie gibt uns jetzt und hier die Kraft mit einem Lächeln weiterzugehen und sie gibt uns die Gewissheit auf ein Wiedersehen.

Der September, vielleicht ein trauriger Monat, ein Umbruch, ein Erahnen des Endes. Aber für mich wird der September immer auch mit einem Anfang in Verbindung stehen. Mit dem Beginn einer großartigen Zeit. Am 18. September haben Claus und ich geheiratet. Der Anfang einer wunderbaren Ehe, von der ich heute noch keinen Tag missen möchte. Das Sterben meines Mannes hat den September noch überdauert, noch einmal Hochzeitstag, um dann sein neues Leben zu beginnen. So lassen wir ihn denn stehen, den September, nicht als Ausklang, sondern als Einläuten einer großartigen, neuen Zeit....

LG
Andrea
__________________
Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
  #860  
Alt 05.09.2005, 13:42
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Andrea,

ich danke Dir sehr für Deine lieben Zeilen. Es ist alles so wie Du schreibst, und doch

....ach, schrittst du durch den Garten
noch einmal im raschen Gang.
Wie gerne wollt ich warten,
warten stundenlang.

Th. Fontane

Meine Mama lächelt in mir und ich lächle zurück. Das ist etwas was ich mir gewünscht habe, manchmal hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, dachte, es ist nun für immer das Weinen in mir.

Andrea, Du schriebst unlängst, dass Du wieder in ein Trauerloch gefallen bist. Als Dich jemand ansprach, der nicht wußte, dass Claus gestorben ist.

Ich habe darüber nachgedacht wie es kommt, dass die meisten von uns die wirklich schrecklichen Tage besser überstehen als befürchtet und einem anderes richtig umhaut. Vielleicht muß alles, wirklich alles im Leben den Anteil bekommen, der ihm zusteht, egal was es ist, sei es Aufmerksamkeit, Tränen, Liebe, Mitleid, Trauer, auch Wut. Bevor unsere Liebsten wirklich starben, sind wir ein paarmal fast mitgestorben, das Begräbnis erschien als kaum bewältigbar, das erste Jahr mit all den Jahrestagen ein einziger Schrecken. Und doch, in den meisten Fällen stellt man am Ende des jeweiligen Tages fest, dass es besser ging als gedacht.

Und dann kommt so etwas wie die Frau, die nach Claus fragte. Es wird noch öfter so etwas kommen, Andrea.
Nie vergessen werde ich ein Erlebnis an einem Spätnachmittag im Winter. Es war dunkel, ich stand an einer Kreuzung als sich von hinten eine Hand in meinen Arm schob und eine Stimme sagte, da bist du ja, ich hab dich überall gesucht. Als ich mich halb umdrehte, stand hinter mir eine ältere Frau, ich blickte in ein liebes Gesicht und sie sagte, ach Entschuldigung, ich dachte, sie sind meine Tochter!
Ich hab dann ewig lang geweint, es dauerte Tage bis ich mich wieder auf die Reihe brachte, das Hämmern .... ich bin keine Tochter einer Mama mehr .... in mir wieder verstummte.

Ein anderes Mal saß ich im Wartezimmer eines Arztes, auf den Knien ein Buch, ich las vornübergeneigt. Als ich geradeaus blickte, sah ich zwei warme Winterstiefel, darin steckten zwei Beine in Wollstrümpfen. Mamas Beine, Mamas Stiefel. Ich musste gehen.

Wenn man vorbereitet ist, dann leistet man Vorarbeit, man wappnet sich, man kann sich schützen. Aber das Unerwartete trifft einem schutzlos und dann dauert es. Man hat das Gefühl zurückgeworfen zu sein, aber ich glaube, das ist nicht der Fall. Es gehört einfach dazu, zu diesem langen Weg.

Nun möchte ich Dir noch etwas aufschreiben, aus „Gefährtin im Exil“ von Molnar.
Den ersten Teil kennst Du bestimmt, ich schreib ihn trotzdem.

.....es ist die Geschichte von Philemon und Baucis. Ovid schrieb diese Legende ungefähr zur gleichen Zeit, in der Jesus geboren wurde. Sie gehört zu seinen Metamorphosen.
Philemon und Baucis, ein phrygisches Ehepaar, gaben verschiedenen Göttern, die Phrygien als arme, einfache Wanderer durchzogen, Nahrung und Unterkunft.
Juptier belohnte sie, indem er ihnen die Erfüllung eines Wunsches versprach. Da sich die beiden innig liebten, baten sie darum, genau im gleichen Augenblick sterben zu dürfen. So geschah es.

Und dann schreibt Molnar weiter ......
Diese zeitlose Geschichte ist die Grundlage für meine oft wiederholte Klage, das schlimmste im Leben liege nicht darin, dass die Menschen einander hassen, einander töten, sondern dass Menschen, die einander lieben zu verschiedenen Zeiten sterben müssen.

Darüber könnte man lange philosophieren – ich lasse es jetzt einfach so stehen.

Ich hoffe es geht Dir wieder besser.
Liebe Grüße
Briele
  #861  
Alt 05.09.2005, 18:49
Benutzerbild von Petra11
Petra11 Petra11 ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Briele,

wieder bewegen mich deine Worte sehr und ich bin so froh das du weiterhin hier präsent bist.

Die Monate in denen uns der Abschied nah war, haben sich verändert im Gegensatz zu früher...ich weiss noch nicht wie es ist...früher habe ich den Oktober immer gemocht...der goldene Oktober mit all seinen Farben...wenn ich jetzt an ihn denke, sehe ich ihn grau!!

Du schriebst: "... ich bin keine Tochter einer Mama mehr ..." - doch das bist du und das wird immer so sein...glaube mir du bist du - und deine Mutter ist deine Mutter - und das wird sich nie ändern!!

Ich kann mich nicht so schön ausdrücken wie ihr...hoffe es kommt trotzdem über...

In Gedanken im September...
Petra
  #862  
Alt 06.09.2005, 14:30
Briele Briele ist offline
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Hallo, Ihr Lieben, die Ihr noch da seid ! ?

LIEBE ISA, liebe Freundin, ich möchte Dir hier danke sagen für all Deine Worte die Du an anderer Stelle immer für mich hast, Du und Alina.

Isa hat mir etwas von Rilke geschrieben, das möchte ich hier reinsetzen, vielleicht kennt Ihr es, - für mich war es neu:

Wäre es möglich, weiter zu sehen,
als unser Wissen reicht,
vielleicht würden wir dann unsere Traurigkeiten
mit größerem Vertrauen ertragen,
als unsere Freuden.

Denn sie sind die Augenblicke,
da etwas Neues in uns eingetreten ist,
etwas Unbekanntes.

Unsere Gefühle verstummen in scheuer Befangenheit,
alles in uns tritt zurück,
es entsteht eine Stille, und das Neue,
das niemand kennt,
steht mitten darin und schweigt.


LIEBE PETRA, danke für Deine lieben Zeilen. Du hast recht, ich werde immer Mamas Tochter bleiben, ihr liebes Madele, wie sie manchmal zu mir sagte. Daran kann sich genauso wenig etwas ändern, wie an der Tatsache, dass sie meine Mama bleibt. Das war eigentlich klar, aber eine dicke Schicht Selbstmitleid hat sich über diese Erkenntnis gelegt und ich bin froh, dass Du diese Schicht herunter gezogen hast.

Petra, ich lese ja in Deinem thread „die Hoffnung stirbt zuletzt“ mit, weiß aber erst seit kurzem, dass Du die bist, die auch meine Nachbarin hier war. Da kommt ganz viel an inniger Liebe herüber!

Ich freue mich immer wenn ich von Dir lese – wo auch immer!


LIEBER GÄRTNER, ich kann es kaum fassen, dass man so lange auf Termine bei einem Therapeuten warten muß. Wie gut, dass Du Dir mit Medikamenten helfen lässt, Dir hilfst. Schon allen schlafen zu können, ausgeruht sein, gibt ein gutes Gefühl. Auch wenn ich Dir rasend auf die Nerven falle – ich schreib es wieder – verspreche aber, dass ich dann nicht mehr tu: denk einmal an eine Selbsthilfegruppe!

Ich wünsch Dir alles Gute, Dir und Deiner Familie.


LIEBE HEIKE, ich erinnere, daß Du daheim keinen Computer hast. Vielleicht liest Du noch mit, kannst aber nicht schreiben. Ich möchte Dir nur sagen, wir haben Dich nicht vergessen! Ich wünsch Dir alles Gute und schicke liebe Grüße!

Briele
  #863  
Alt 07.09.2005, 10:43
Heike3112 Heike3112 ist offline
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Hallo Briele,

Du hast vollkommen recht, ich bin noch immer als stille Leserin hier unterwegs. Meistens fehlen mir einfach die Worte, hier zu schreiben. Meine Mutti liegt noch immer im Koma. Es hat sich nichts verändert. Viel lese ich im Hirntumorforum mit und wenn mir eins klar geworden ist: Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, nie würde ich einer OP am Gehirn zustimmen. Seit alle lieb gegrüßt

Heike
  #864  
Alt 12.09.2005, 08:25
viv viv ist offline
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Hallo ihr Lieben,
Back home.
Die Ferien waren ok, bin aber froh wieder zu Hause zu sein. Ich hoffe es geht euch allen gut.
Gestern war der 5 te Jahrestag meines Vaters, war schon ganz schön wehmütig. Dann noch dabei der 11 September.
Habe euch sehr vermisst
Eure Viv
  #865  
Alt 12.09.2005, 14:08
Briele Briele ist offline
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Liebe Viv,

ich hab mir gedacht, dass Du nun bald wieder hier sein wirst. Du siehst, hier in diesem thread gibt’s ein Auf und ein Ab, aber das ist normal. Vielleicht bist Du nun mit so viel Power ausgestattet, gut erholt, und erzählst uns Urlaubsgeschichten. Wenn nicht unter dem Kastanienbaum, dann in Alinas Küche.

Viv, ich habe leider Sorgen. Die Strahlentherapie hat bei Werner nichts gebracht, der PSA Wert ist sogar gestiegen. Ich weiß natürlich, dass man auf Gefühle nicht so viel geben braucht, aber ich hatte eben ein echt gutes Gefühl, er war gut drauf, die Ärzte zuversichtlich, ich hab überhaupt nicht damit gerechnet.

Nun muß sich erst alles einmal ein bisschen setzen – auch in mir. Dazu werde ich nun knietief in Arbeit und Erledigungen stecken um alles auf die Reihe zu kriegen und dann schnell an seine Seite zu eilen. Wahrscheinlich werde ich erst einmal nicht dazu kommen viel zu schreiben. Aber ich versuche zu lesen.

Machs gut, alles Liebe
Briele
  #866  
Alt 12.09.2005, 14:43
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Petra11 Petra11 ist offline
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Hallo liebe Briele,

ich lese gerade deine Nachricht an Viv.

Es tut mir leid, das die Strahlentherapie bei deinem Werner nichts gebracht hat. Ich drücke euch die Daumen!

Wünsche euch alles erdenklich Gute!!

Drück dich!

Petra
  #867  
Alt 12.09.2005, 23:02
Briele Briele ist offline
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Liebe Petra,

danke, Du Liebe, für Deine Worte und auch für das Drückerchen!

Briele
  #868  
Alt 15.09.2005, 00:19
gaertner gaertner ist offline
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hallöchen, zaghaft leise.

irgendwie habe ich (trotzdem hier kein zwang ist), doch den eindruck, ich habe etwas vernachlässigt. hoffe , nein eigentlich weiß ich, das dies hier mir keiner verübelt. bin zur zeit ruhig. entschlossenen mein leben "vor dem ereignis" , dem verlust von robert , weiter zu leben.
trotzdem unentschlossen ,weiß immer noch nicht wie .
Hatte heute nochmal termin bei der neurologin.
diese war genau so erstaunt wie ich, das die medikamentöse behandlung so schnell angeschlagen hat. komischerweise hat mich dies dann doch eher beunruhigt. zeigt es mir doch, das ich wohl doch , wie soll ich sagen, doch eher im kopf ein größerers problem habe. irgendwer (briele?) hat mir glaub ich mal geschrieben, ich soll nicht aufhören die medikamente zu nehmen, auch wenn ich glaube , es geht mir besser. ich weiß immer noch nicht, was das medikament eigentlich bei mir bewirkt. es ist antidepressiv und schlaffördend , sagt die ärztin auf mein anfragen.
unterm strich ist momentan es so, das ich seit dem ich bei der ärztin war , keine "flashs" mehr hatte, keine "heulanfälle", keine angstattacken, und ganz wichtig, kann ins bett , schlafen und durchschlafen die ganze nacht.
achja , früh habe ich eine ganz trockenen mund, wie nach einer durchzechten nacht. dies wäre eine nebenwirkung des medikamentes, sagt die ärztin, hat es also doch eine wirkung ?

ich glaube , eine "klärung " dieser frage kann mir doch wohl eher ein ausgebildeter psychologe vermitteln.

ich habe die letzten tage immer still mitgelesen und auch mitgefühlt. ich möchte , nein ich will hiermit auch alle schreiber und stillen mitleser an mein herz drücken ,mut machen und das Beste wünschen.


Die beste Barriere gegen das Lernen ist die , daß man etwas zu Wissen glaubt.
(frank herbert, dunezyklus).


Für mich bedeutet dies, anzufangen aufzuhören , aufzuhören nachzudenken , nachzudenken warum es so ist wie es ist.
ich muß es einfach aktzeptieren ,das es jetzt so ist, wie es ist.

Jede art von anfang ist schwer.(ebenda,f.herbert)

man glaubt gar nicht, was man aus in den 60-70-ziger Jahren geschriebenen büchern für anregungen und weisheiten(?) erfahren bzw. erlesen kann.



lg gaertner
  #869  
Alt 23.09.2005, 22:18
Isa1 Isa1 ist offline
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Lieber Gärtner,

du siehst ja, wie wir diesen thread vernachlässigen.
Du hörst dich richtig positiv an! Wie schön! Auch wenn der Berg noch hoch ist, ich glaub, du hast die ersten Schritte bewältigt.

Alles Liebe, alles Gute wünscht dir Isa
  #870  
Alt 26.09.2005, 19:59
gaertner gaertner ist offline
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hallo isa, danke für den mut, den deine nachricht gibt.

ich freu mich riesig, das der chat wieder auf ist. ich glaube das geht vielen so und es ist nur natürlich, das es im forum etwas ruhiger werden wird.

lg gaertner
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