Mein Vater

[Leuchtfeuer]

Liebe Annett,

oooh, erwischt... ich hatte mich wieder davongeschlichen...

Danke, dass Du mir die Süßigkeiten und Blumen dagelassen hast!

Es ist manchmal etwas schwer, sich genau hier aufzuhalten. Ich habe zwar hin und wieder mal einen Blick zum Fenster rein geworfen, aber diesen Raum nicht betreten mögen. Gerade jetzt denke ich nämlich oft daran, dass vor ziemlich genau einem Jahr alles anfing: eine Bronchitis, über die man sich ja keine ernsten Sorgen macht, dann plötzlich doch Krankenhaus und schon am Tag der Einweisung das Wort „Krebs“ . Die Falltüren (eine nach der anderen, aber wem erzähl’ ich das...), die meinem Papa danach geöffnet wurden (und auch mir), der Beginn der Behandlung. Wir haben doch „auf Sieg“ gespielt und nicht nur auf „Zeit“, weil wir so sehr auf einen Erfolg der Therapie hofften...WAS für einen hinterhältigen Gegner er hatte, haben wir (oder vor allem ich?) auch erst spät verstanden. Jetzt – hinterher – weiß ich natürlich, dass es nur ein Wunsch war... und doch bin ich froh, dass ich die 3 ½ Monate, die mein Vater noch lebte, hoffen durfte. Es ist unglaublich, an was für dünne Härchen man sich klammert, aber ohne jegliche Hoffnung zu leben, ist unvorstellbar.

Manchmal führt mich mein Weg an dem Krankenhaus vorbei, in dem Papa lag. Zur Chemo und ...zum Sterben. Auf der Straße ist immer noch eine Baustelle, der Radweg ist auch noch nicht fertig... ich bin ihn voriges Frühjahr so oft entlanggefahren ohne zu wissen, wie wenig Zeit mein Papa und ich noch zusammen haben würden. Es ist so lange her und fühlt sich so nah an. Ich frag’ mich, was ist „Zeit“?

Ich drück’ Euch alle, seid lieb gegrüßt,
Leuchtfeuer

[Leuchtfeuer]

Hallo Ihr Lieben,

ich muss mal ein paar Gedanken hier lassen...

...oh Mann, wie lange war ich schon nicht mehr auf dem Friedhof... vorhin wollte ich endlich die Winterabdeckung wegnehmen. Es wird langsam Frühling... Die Himmelsschlüsselchen hatten sich schon durch die Tannenzweige gekämpft und die Friedhofsgärtner haben rundherum Kahlschlag betrieben. Jetzt ist unsere Grabstelle nicht mehr so "versteckt" und sogar von einem angrenzenden Haus direkt einsehbar. Hmmm. (hoffentlich wächst das bald wieder zu).

Wie ich den Namen meines Papas auf dem Grabstein lese, spüre ich wieder (wie so oft) einen Stich im Herzen. Als ob ich es immer noch nicht wüsste! So ein für alle Zeit in Stein gemeißelter Schriftzug ist so deutlich, lässt keinen Zweifel . Ich glaube, in meinem Herzen hat sich ein Abbild davon eingebrannt... und tut weh. Heute wieder mehr...

Und dann komme ich heim und sehe meine schon überall für den Urlaub rausgekramten Sachen. Urlaub...wie schräg ist das denn??? Bin ich bescheuert? Dabei weiß ich, dass mein Papa jetzt auch aufgeregt gewesen wäre, weil ich wegfahre (Reisefieber). Und er hätte sich so sehr für mich gefreut (hat er immer getan , auch wenn er selbst ja schon lange nicht mehr so mobil war, selbst zu fahren - hauptsache ich, sein Kind, hatte Freude). Ich würde mir so sehr wünschen, dass er nun - losgelöst von seinem kranken Körper und Zeit und Raum auf Erden - mitkommen könnte, dass er dabei ist. Ich werde ihn in meinem Herzen mitnehmen...

...wünsche Euch allen ein schönes Wochenende, seid lieb gegrüßt!
Leuchtfeuer

[Leuchtfeuer]

...fast 1 Jahr...

Am Samstag ist es genau ein Jahr her, dass mein Vater starb. Ich schaue auf ein ganzes Jahr zurück und kann es gar nicht fassen. Vor einem Jahr habe ich ihn zum letzten Mal gesehen, mit ihm geredet, seine Stimme gehört, ihm Mut machen wollen... mir Mut machen wollen... habe seither nie wieder in seine Augen schauen können, er hat mir nie wieder zugewinkt. Ich sehe plötzlich wieder die angefangene Tüte mit Salzbrezeln auf seinem Tisch, den Fruchtsaft, den er nicht mehr ausgetrunken hatte .

Jetzt sitze ich hier... wollte schreiben... und ich finde doch nicht die richtigen Worte .

Es ist nicht mehr diese alles zerstörende Trauer... aber obwohl es mir zwischendurch sogar wieder richtig "gut" ging (wirklich!), merke ich doch gerade, dass es darunter noch nicht wieder "fest" ist.

Da ich hier ständig rumtippe und doch die Hälfte wieder lösche, verkrümele ich mich mal wieder.

Seid ganz lieb gegrüßt,

...ich denke öfter an Euch, als ich hier reinschaue...

Leuchtfeuer