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Alt 27.01.2009, 08:08
gaertner gaertner ist offline
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Registriert seit: 15.08.2005
Ort: Saarland
Beiträge: 164
Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Hallöchen an alle,

ich habe die folgenden Zeilen gestern schon geschrieben, wollte es aber noch etwas „sacken“ lassen. Zwischenzeitlich hat @HelmutL ein paar Zeilen reingestellt .Wie immer passend und ruhig, so wie es deine geschätzte Art ist, Helmut. Mit meinen Zeilen möchte ich ebenso nur einen Denkanstoß geben ohne das eigentliche Thema allzusehr anzuheizen.


Die Phasen des Umgangs mit dem Verlust sehen bei jedem anders aus. Vielleicht einig in einem bestimmten Ablauf, je näher das Geschehen, desto stärker all die damit verbundenen Gefühle. Gefühle in einem selber, Gefühle für eine Person, die nicht mehr da ist. Klare Strukturen im Kopf, was will ich, was nicht und dann doch Barrieren, die einen Handlungsweisen aufzwingen, die andere und man selber nicht versteht.


Im Umgang mit dieser Situation hinterfrage ich mich immer wieder, was ist jetzt wichtig, für mich und andere sinnvoll. Was und wie viel gebe ich von mir tatsächlich preis in diesem Forum. Wenn ich dies mache, sollte ich gerade hier überlegen, was ich schreibe. Ein „normales“ Gespräch am Stammtisch gibt mir die Möglichkeit, mein eigenes „Dahergerede“ sofort im vertrauenvollen Konsens zu korrigieren, ist es erstmal geschrieben, kann ein „unbedachtes“ Wort zu schnell missverstanden werden.

Vor 4 Jahren habe ich einen Sohn verloren.
Wir hatten wenig Zeit über das Sterben zu reden. Drei Tage nach der endgültigen medizinischen Bestätigung starb er in der Klinik. Trotzdem blieb Zeit für ein Gespräch mit den Ärzten, mit dem Hausarzt, alle , die eventuell etwas dazu hätten beitragen können, damit das Sterben nicht in der Klinik stattfindet. Klare Aussage war, zu Hause kann er gehen, wenn die Zeit kommt, in der Klinik ist der Arzt/Personal angehalten, das Leben (und somit das Sterben) zu verlängern.
Gleichzeitig wurde uns nahe gebracht, in dieser Angelegenheit nichts zu überstürzen , da bei ungenügender Vorbereitung das Sterben zu Hause , die damit angestrebte Würde, das Gehenlassen, das Verabschieden in dem Kreis der Familie und Freunde auch sehr problematisch werden kann.
Dass Köperflüssigkeiten da eine Rolle spielen, war nicht das entscheidende. Entscheidend war, ob für meinen Sohn alles technisch vorbereitet war, ihm überhaupt diese Möglichkeit zu geben und dazu gehörte z.B. eine lückenlose Erreichbarkeit von Fachkräften, die starke Schmerzmittel verabreichen dürfen.

Um diese Problematik zu verstehen, muß mir niemand in aller Ausführlichkeit, Öffentlichkeit und detailgetreu erzählen, wie ein Sterbeprozeß im einzelnen abläuft.
Und dies ist ja wohl der Grundsatzgedanke, um den es hier geht.

„Indem wir über sie reden, bleiben sie lebendig“.

Dies möchte ich für mich. Ich will mich an die schönen Seiten erinnern, die ich vor dem Verlust hatte. Ich will daran glauben, dass nicht alles vorbei ist mit dem „körperlichen“ Dahinscheiden. Indem ich an diesem Punkt gekommen bin , gestehe ich mir auch ein, mein Sohn sieht mich jetzt, er kann auch noch immer zwischen gut und böse, Moral und Unmoral unterscheiden.
Deswegen möchte ich nichts von meinem Sohn erzählen, wovon ich denke, es ist einfach zu intim, dies anderen mitzuteilen.
Dass er gestorben ist, gibt mir noch lange nicht das moralische Recht dazu.

@stefans
Dies sind in meinen Augen sehr bedenkliche Aussagen Deinerseits
Zitat:
“ dass ich nicht verstehen kann, wieso das Sprechen über etwas, das völlig normal ist und zum Leben gehört, posthum die "Würde" desjenigen verletzen kann, der aus dem Leben geschieden ist“ .
Ok, kann ich nachvollziehen, ich versteh auch nicht alles, versuche es aber zu akzeptieren.
Doch davor die Zeilen.
Zitat:
„Die Würde deines Mannes kann es nicht mehr verletzen, wenn posthum über sein Sterben gesprochen wird. Zu dem Zeitpunkt war er schon tot und wird hier kaum mitlesen. Mag sein, dass es deine Erinnerung an ihn beschädigt - aber das ist etwas völlig anderes;…“
Wer gibt Dir das Recht , über die Würde eines Anderen, ob zu Lebzeiten oder nach dem Tod zu urteilen ?

Es gehört auch zum Leben dazu auf die Toilette zu gehen. Ich möchte Dein Gesicht sehen, wenn ich Dir anschließend haarklein erzähle, wie dieses Geschäft mal besser und mal schlechter verlaufen ist.
Und selbst wenn ich es DIR erzählen würde, weil Du mein Arzt oder sonst wie Vertrauter bist, welche Moral gibt Dir dann das Recht, es anderen weiterzuerzählen, ob vor oder nach meinen Tod ?

Es sei denn, die Person, über die Du erzählst, ist es Dir nicht wert. An diesem Punkt beginnen meine Bedenken. An dieser Stelle solltest Du auch die Zeilen von Helmut sehr ernst nehmen, denn ich weis auch nicht, was Dich zu manch scharfen Äusserungen treibt. Deshalb auch eingangs meine Zeilen über die Gefühle. Natürlich gehören sie zur Trauer und jeder hat das Recht sie auszuleben. Vielleicht helfen alle diese Zeilen hier, damit der eine oder andere sich klarer wird, woher die Gefühle kommen und schafft es dann, sich selber und anderen mehr zu verzeihen.


P.S.
Laut Wikipedia : Würde (von althochdeutsch wirdî; mittelhochdeutsch wirde) ist sprachgeschichtlich verwandt mit dem Wort „Wert“ und bezeichnete anfänglich den Rang, die Ehre, den Verdienst oder das Ansehen einer einzelnen Person.

LG
Gaertner
__________________
Jede Lebensphase hat ihren eigenen Wert

und ihr eigenes Glück.


daraus das Beste zu machen

ist der Schlüssel zur Zufriedenheit.

Geändert von gaertner (27.01.2009 um 08:17 Uhr)
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Alt 27.01.2009, 11:40
Geske Geske ist offline
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Registriert seit: 18.10.2007
Beiträge: 87
Standard AW: An alle Hinterbliebene...

Es geht mir nicht um das „Haar-kleine-Beschreiben“ körperlicher Vorgänge. Wie detailliert beschrieben wird, bleibt dem Einzelnen vorbehalten, dennoch bin ich der Meinung, dass das „Unter-den-Tisch-Kehren“ der physischen Seite des Sterbens nicht unabdingbar zur Würde gehört.

Diese einseitig Ausrichtung auf das Schöne in der Erinnerung, kann zur Belastung für Schwerkranke werden.
Ich habe meinen Mann zu Hause begleitet, die äußeren Bedingungen waren dafür vorhanden, es hätte sich niemand vor dem Ort (unserer Wohnung, komfortabel) fürchten müssen. Was ich (schmerzlich) vermisst habe, war die persönliche Anteilnahme von nahen Angehörigen.
Durch die Fokussierung auf das „Schöne in der Erinnerung“ besuchen einige ihren Kranken gar nicht mehr, um ihn „so wie er war“ in Erinnerung zu behalten. Es ist zweifelhaft, ob diese Ansicht dem aus dem Leben Scheidenden in seinen letzten Stunden hilft, bzw. dessen Würde unterstützt. Ich hinterfrage auch jetzt noch, was wichtig und sinnvoll für den Todkranken sein kann, der spätere Hinterbliebene ist an dieser Stelle noch nicht so wichtig.

Es gibt hier zahlreiche Threads, die sich auf die psychische Verarbeitung Hinterbliebener konzentrieren, aber nur sehr wenige Beiträge, die sich mit dem körperlichen Ablösungsprozess des Sterbenden auseinander setzen. Die Resonanz auf Stefans direkte Ausdrucksweise zeigt, dass klare Worte für die Aufmerksamkeit auf ein Tabuthema durchaus von Vorteil sein können.
Das Lesen hier im Thread ist freiwillig, jeder hat die Möglichkeit weg zu klicken. Das Thema zu ersticken, wäre meines Erachtens der falsche Weg um der Würde des Menschen gerecht zu werden.

Beste Grüße
Geske
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