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Alt 03.03.2006, 17:27
Michael_D Michael_D ist offline
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Registriert seit: 28.11.2005
Beiträge: 200
Standard Psychoonkologie

Liebe Forumsteilnehmer und stille Lesende,

des öfteren sind in Beiträgen im Lungenkrebsforum, die ich verfolge, Fragen nach psychologischer Unterstützung aufgekommen. Ich halte es daher für sinnvoll, einen eigenen Thread zu diesem Thema an dieser Stelle zu eröffnen. Ich schreibe dies als Angehöriger einer nunmehr seit über zwei Jahren von Lungenkrebs Betroffenen.

Grundsätzlich bin ich der Ansicht, daß jeder, der von dieser schrecklichen Erkrankung betroffen ist, Unterstützung braucht. Diese Unterstützung kann durchaus unterschiedlicher Art sein und muß nicht von einem Psychologen durchgeführt werden: manchen hilft z.B. auch das Gespräch mit einem Seelsorger. Doch auch Angehörige leiden extrem unter der Erkrankung eines Familienmitglieds.

Den vielen Schilderungen entnehme ich, daß einige Patienten/Angehörige ungefragt von einem Psychologen/einer Psychologin kontaktiert werden; andere wiederum erfahren erst durch das Forum, daß es "so etwas gibt". Nach meinem Dafürhalten müßte es Standard sein, daß grundsätzlich jeder ein Angebot zur psychologischen Unterstützung erhält. Doch leider, leider wird in Deutschland auf diesen Bereich zu wenig Wert gelegt; es gibt zuwenige Psychologen mit onkologischem Schwerpunkt (wie auch die Betreuung durch Diätassistenten, Physiotherapeuten usw. auch zu wünschen übrig läßt).

Es ist sicher ein fundmentaler Unterschied, ob Aussicht auf Heilung besteht oder nicht. In beiden Fällen ist Unterstützung angeraten. Als es bei meiner Mutter losging, wurde sie zunächst in kurativer Intention operiert. Wir hatten ein Gespräch mit einem Psychologen, der die Simonton-Methode propagierte. Auf Ängste und Befürchtungen meiner Mutter wurde eher wenig eingegangen. Die Besuche bei diesem Psychologen wurden von uns als als wenig ergiebig erachtet und relativ schnell beendet. Allerdings haben wir brav die beiden (gängigen) Bücher von Simonton gekauft nebst CD. Ich habe sie, wie meine Mutter natürlich auch, gelesen, gehört und gedacht: nun ja. Schaden wird's wohl nicht.

Die Aussicht auf Heilung hatte sich bei uns ziemlich schnell zerschlagen, und dies bedeutete auch eine wesentliche Änderung der psychischen Situation. Ich hatte mich seit Beginn der Erkrankung intensiv über das Krankheitsbild sowie alle möglichen Behandlungsoptionen informiert. Meine Mutter wollte auch "informiert" sein - was durchaus nicht bei jedem Patienten der Fall ist und was man auch entsprechend respektieren sollte. Insofern wußten wir, daß Lokalrezive ein halbes Jahr nach OP und massiver adjuvanter Behandlung eine ziemlich miese Sache sind.

Wir haben dann keine weitere psychologische Unterstützung gesucht (es wurde uns auch keine angeboten). Wir kamen in eine Phase, in der wir sozusagen leben wollten "um jeden Preis". Meine Beschäftigung erlaubte mir die freie Zeiteinteilung, und so konnte meine Mutter und ich (der letzte verbliebene Angehörige) das Projekt "Leben genießen" in Angriff nehmen, neben einer Zweitlinien-Chemo. Wir sind ausgesprochen viel in Urlaub gefahren und haben es uns einfach richtig gutgehen lassen.

Trotz der ständigen Bedrohung durch die Erkrankung war das eigentlich eine ziemlich gute Zeit. Doch leider schritt die Erkrankung voran, und sowohl die Zweitlinen-Chemo als auch ein Versuch mit Iressa fruchteten nicht. Es erfolgte eine Pleurodese im Mai 2005; die Ärzte, mit denen ich sprach, hatten so eine "das wird nix mehr"-Haltung.

Wurde es aber doch. Ein Versuch mit Alimta ("Versprechen Sie sich nicht mehr zuviel davon!") schaffte es erneut, die Erkrankung zu stabilisieren. Wir traten sozusagen in eine neue Phase der Erkrankung, die bis heute glücklicherweise anhält.

Wenn ich heute auf diese Jahre zurückblicke, dann muß ich vor allem feststellen, daß uns die Krankheit niemals, zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Verschnaufpause gelassen hat. Wenn man vor schwierige Herausforderungen gestellt wird, dann wachsen einem schon manchmal besondere Kräfte zu.

Doch zugleich schwanden bei mir merklich die Kräfte; schleichend, doch immer deutlicher. Wir haben zwar gute Freunde, doch grundsätzlich lastete alles auf meinen Schultern. Im Laufe der Monate und Jahre wurde es immer mehr; ich litt an Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen - alles Streßsymptome. Zusammengefaßt bin ich bei jeder Chemo meiner Mutter dabeigewesen, habe sie bei keiner Bestrahlung allein gelassen, kein Tag, den sie im Krankenhaus war ohne mich. Auch heute noch gehe ich mit zu jeder Therapie und jeder Untersuchung.

Als ich im letzten Jahr noch eine neue Partnerin gefunden hatte, wurde das Verhältnis mit meiner Mutter auch wiederum schwieriger - nicht aus Egoismus ihrerseits, jedoch sich einfach aus der Situation ergebend, daß da jetzt noch jemand ist und ebenfalls Bedürfnisse hat.

Erst seit ein paar Wochen haben wir Kontakt mit einer Psychoonkologin, die sich unsere Probleme und Schwierigkeiten ernsthaft anhört. Mir tut das ausgesprochen gut. Ich kann mein schlechtes Gewissen bekämpfen, wenn ich meine Mutter mal für ein Wochenende allein lasse, und meine Mutter erfährt, daß das auch in Ordnung ist. Ich kann daher vor allem auch den Angehörigen raten, sich rechtzeitig um Beistand zu bemühen. Früher oder später, vor allem, wenn so eine Erkrankung chronisch wird, erreicht jeder den Punkt, an dem er einfach nicht mehr kann. Es ist meines Erachtens wichtig, sich durchaus auch Freiräume zu schaffen und nicht ständig über die eigene Belastungsgrenze zu gehen.

Ich würde daher dringend den Rat geben, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, daß man selbst Streßsymptome entwickelt. Ich habe mich mit meiner Mutter in der letzten Zeit oft gestritten - das wäre vor einem Jahr oder auch einem halben für mich noch völlig undenkbar gewesen. Doch irgendwann ist der Akku leer und die Nerven liegen blank.

Und um wieviel schwieriger ist die Situation für die Betroffenen selbst! Sie sind diejenigen, deren Leben akut bedroht ist. Ich bin mir heute sicher, daß kaum ein Betroffener dies allein durchsteht. Und auch die Betroffenen müssen mit den Kräften ihrer Angehörigen sparsam und verantwortungsvoll umgehen. Es ist daher wichtig, schon früh gewisse Dinge zu lernen beziehungsweise sie von einem neutralen Dritten gesagt zu bekommen: das es zum Beispiel wichtig ist, offen zu sein, daß jeder seine Bedürfnisse artikuliert, und das es in Ordnung ist, sich auch einmal abzugrenzen und zu sagen: "bis hierher und nicht weiter".

Das Verhältnis zwischen Therapeut und Patient/Angehörigen ist meines Erachtens diffizil. Man muß einfach "miteinander können", die Chemie muß stimmen. Man muß demjenigen auch vertrauen und sich öffnen können. Bei unserem ersten Psychoonkologen war dies nicht der Fall, bei der zweiten jedoch schon. Vermutlich muß man das einfach ausprobieren.

Ansonsten bleibt nur die Aufforderung, daß Leben möglichst lange zu genießen. Dies gilt allerdings in jedem Fall, ob man sich in einer kurativen oder palliativen Situation befindet. Meine Mutter und ich sind gut damit gefahren, uns gewisse Fixpunkte zu setzen. Einen Ausflug, den wir planen, einen Urlaub, den wir vorbereiten. Das rettet uns sozusagen über die Zeit. Auch empfehle ich nachdrücklich die Kunst der Verdrängung. Wenn man stets nur an Krankheit, Tod und Verderben denkt, dann endet man früher oder später als psychisches Wrack. Für mich ist die Krankheit trotzdem immer präsent - jedoch gelingt es mir ab und an, sie auszublenden, weil ich sonst überhaupt nicht mehr zurecht käme.

Abschließen möchte ich noch mit einer Bemerkung zu Simonton. Zunächst habe ich gedacht, daß es nicht schadet; dessen bin ich mir heute allerdings nicht so sicher. Die Gefahr bei solchen Techniken wie der "Visualisierung" ist stets, daß sie bei Mißerfolg immer auf den Betroffenen selbst zurückfallen. Mir ist der Anspruch von Simonton zu radikal, zu umfassend. Ich bin zwar der Auffassung, daß eine positive Grundeinstellung dem Heilungsprozeß bzw. dem Verlauf sicher zuträglich ist. Jedoch kommt man, wenn man die Simonton-Methode anwendet, bei Rückschlägen schnell in so eine Situation: "bin ich jetzt schuld? Was habe ich falsch gemacht?" Das kann in vielen Fällen ausgesprochen kontraproduktiv sein. Ich würde heute, von meinem jetzigen Standpunkt aus, niemandem die Simonton-Methode empfehlen, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen.
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