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Alt 30.01.2009, 13:23
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Zuhause verstorben

Hallo,

meine Frau ist seit dem 3.01. tot, und sie war nur noch die letzten 15 Tage Zuhause. Ich beschreibe mal mit etwas Abstand diese Phase so, wie Geske es bei ihrem Mann getan hat...

Meine Frau wollte unbedingt Zuhause sterben, also war für mich klar, dass ich das möglich mache, wenn es irgendwie geht. Es ging, aber mit vielen Schwierigkeiten, die ich vorher völlig unterschätzt hatte. Hausärztin und ambulanter Pflegedienst waren super! Den ambulanten Hospizdienst hatte ich schon benachrichtigt, war meine Frau mit einverstanden. Aber bevor da jemand kommen konnte, damit meine Frau gucken konnte, ob sie mit dieser Person „kann“, war es schon zu spät. Ebenso für eine selbst bezahlte Teilzeit-Pflegekraft, die ich hier zur Unterstützung über längere Zeit dringend gebraucht hätte.

Als meine Frau aus der Klinik kam, konnte sie nichts mehr essen und kaum noch was trinken. Parenterale Ernährung hatte sie schon in der Klinik abgesetzt, weil ihr davon übel wurde und sie Bauchschmerzen und -krämpfe bekam. Sie bekam per Infusionssystem Morphium (portable Schmerzmittel-Pumpe), Flüssigkeit und 4 mal täglich/nächtlich Kurzzeitinfusionen mit anderem Schmerzmittel und Mittel gegen Übelkeit (Novalgin, Kevatril). Die schlimmsten akuten Beschwerden waren natürlich Schmerzen, dank Morphium gut im Griff, und extreme Übelkeit. Wohl eine Nebenwirkung des Morphiums, ebenso wie chronische Verstopfung und Harnverhaltung. Also alle 3 Tage Klistier und stundenlange Pinkel-Sitzungen (gewollt, aber nicht gekonnt, trotz Plätschern vom schnell gekauften Zimmerspringbrunnen) auf dem WC-Stuhl, letztlich Blasenkatheter. Körperlich hat meine Frau (in der Klinik schon) und dann Zuhause zusehends schnell abgebaut. Sie hatte über 25 kg Gewicht in 3 Monaten verloren, und mit Steigerung der Morphium-Dosis liess das Erinnerungsvermögen stark nach, das Kurzzeitgedächtnis war fast ganz weg, und die Worte / Begriffe gerieten immer mehr durcheinander. Wenn sie z.B. Schublade sagte, meinte sie Jackentasche. Das war nicht ständig so, sondern immer abhängig von der "Tagesform". Genau wie Konzentrationsfähigkeit und Müdigkeit. Manchmal ist sie nach 3 Sätzen eingeschlafen, manchmal konnte sie 30 Min. am Stück aufmerksam sein und sprechen.

Als sie nach Hause kam, ging es ihr für einige Tage deutlich besser als in der Klinik. Die Schmerzen waren geringer, sie war aktiver, und sie konnte Familie und Freunde nochmal sehen, was natürlich sehr anstrengend war - Mutter, Bruder, Neffe... aber es war ihr extrem wichtig. Ich weiss nicht, inwieweit die Besserung ihres Befindens in dieser Zeit daran lag, dass ihr ihr Herzenswunsch erfüllt wurde, nämlich Zuhause zu sterben. Ich denke aber mal, zu einem großen Teil. Sie war kurzzeitig wirklich nochmal "ein anderer Mensch", es ging ihr deutlich besser - bei unveränderter Medikation !!! - und sie hat nochmal alle Kräfte mobilisiert, um das zu erleben, was sie noch erleben wollte. Sie wollte nicht nur die Familie nochmal sehen, sondern v.a. Zuhause sein. In unserem Haus, im Wohnzimmer, mit dem bekannten Blick aus dem Fenster. Sie wollte "Alltag" haben. Die Katze, die auf ihrem Kopfkissen liegt und den Hund, der ihr die Hand abschleckt. Mich, wenn sie Gesellschaft wollte. Und ihre Ruhe, wenn sie allein sein wollte. Das alles ging nur hier, nicht in der Klinik, im Doppelzimmer, wo 20 mal täglich Schwestern, Ärzte, Putzkräfte, ungebetener Besuch usw. reinschneien.

Nachdem sie von lieben Menschen Abschied genommen hatte, ging es ihr körperlich schlechter; Besuch von Freunden vor Ort wurde deshalb immer wieder vertagt, weil sie den gerade nicht wollte. Ich dachte damals noch, dass sie sich nur erstmal ausruhen und etwas erholen muss... Aber dann ist sie sehr schnell gestorben, ohne dass ich das erwartet hätte. Am 2.01. mittags war noch eine gute Freundin da, und mit der hat meine Frau noch gescherzt über die high heels, die sie mit ihren geschwollenen Füßen gerade nicht tragen könnnte. Abends ging es ihr dann zusehends schlecht, sie konnte nicht mehr deutlich sprechen, so dass ich "vorsichtshalber" mal die Nacht aufgeblieben bin. Und am 3.01. morgens um 4 ist sie gestorben. Wenn mir das 12 Stunden vorher jemand gesagt hätte, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt :-( Sie hat sich sehr schnell von dieser Welt verabschiedet, und sie hat mir erlaubt, in ihren letzten Stunden bei ihr zu sein.

Wenn ich nachher von diesen letzten 2 Wochen erzählt habe, war die typische Reaktion der Menschen: das muss aber sehr belastend gewesen sein, einen geliebten Menschen Zuhause zu pflegen und zu begleiten. Nein, das war es nicht !!! Es war zwar für mich körperlich sehr anstrengend: mindestens alle halbe Stunde nach meiner Frau sehen, nachts eher 3 als 1 mal aufstehen, das Haus nicht verlassen können, und "nebenher" Tiere versorgen und Haushalt machen, einkaufen ... Klar, das geht allein nicht auf Dauer. Und der Pflegedienst war keine große Entlastung, weil der halt einen straffen Zeitplan hat. Der kann eben nicht stundenlang dabei hocken, wenn jemand auf dem WC-Stuhl sitzt, aber nichts kommt. Und der Kranke kann nicht "auf Kommando" auf's Klo gehen, nur weil gerade die Pflegekraft da ist. Ich war nichtmal eine Woche mit meiner Frau alleine hier. Vorher waren Schwester / Freundinnen rund um die Uhr hier, um mich zu entlasten. Aber nach ein paar Tagen allein mit meiner Frau war mit klar, dass ich das auf Dauer nicht schaffe - und habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um schnellstmöglich praktische Hilfe zu organisieren. Bei Pflege, im Haushalt, für's Einkaufen... Zum Glück konnten wir uns das leisten. Gute Freunde standen zwar zahlreich bereit. Aber Leute, die berufstätig sind, Kinder haben und nur manchmal stundenweise kommen können, wenn sie gerade Zeit haben - die waren in der Situation nutzlos.

Belastend war das für mich trotzdem kaum. Körperlich klar. Aber seelisch ging es mir wie meiner Frau sehr viel besser als in den Wochen vorher, als sie noch in der Klinik war. Weil ich fast immer bei ihr sein konnte, wenn sie es wollte, und nicht nur stundenweise als Besucher auf der Station. Ansonsten halt Zuhause rumhängen und nichts tun können als sich Sorgen machen. Oder stundenlang überarbeiteten Ärzten in der Klinik hinterherrennen, um vielleicht mit Glück mal eine kurze Info zu kriegen. Und Zuhause viel besser einschätzen konnte, wie es ihr gerade geht. Und weil ich für sie etwas tun konnte, statt hilflos zuzugucken, wie eine angeklingelte Schwester etwas anschließt / injiziert / rumstöpselt, von dem man nicht weiss, was es eigentlich ist.

Schwierig war die häusliche Versorgung v.a. aus technischen und formalen Gründen. Da muss jedes Hilfsmittel halt erst beantragt, bewilligt und geliefert werden, und das geht in D nicht ohne x Formulare und Dutzende von Telefonaten, nach denen man mit den Nerven völlig am Ende ist, ohne sich überhaupt um den zu Pflegenden gekümmert zu haben. Technisch war das schwierig, weil ich nunmal kein Krankenpfleger bin - und noch nie ein Infusionssystem gesehen hatte. Wie man einen Port durchspült, wie man steril arbeitet, welche Artikel man bei der Apotheke für die nächste Lieferung anfordern muss, warum das Intrafix Air mit 50 ml Flaschen oft nicht funktioniert, in welchen Punkten der Arztbrief aus der Klinik (auf den sich alle verlassen, von Hausarzt bis Pflegedienst) leider die völlig falsche Medikation angibt, usw... keinen Plan, woher denn auch.

Wenn ich da nicht professionelle Hilfe gehabt hätte, in der kritischen Phase auch rund um die Uhr vor Ort... von mehreren Krankenschwestern/-pflegern (meine Frau, meine Schwester, Freundin, Freund), hätte ich meine Frau einen Tag nach ihrer Heimkehr wieder zurück in die Klinik bringen müssen. _Das_ war extrem belastend. Auch, weil ich leider dazu neige, mich über formale und bürokratische Dinge schnell fürchterlich aufzuregen. Wieso ist es in D kein Problem, für 300 EUR pro Krankenhaustag dort zu sterben - aber wenn jemand "für den halben Preis" Zuhause sterben möchte, ist es plötzlich mit finanzieller und fachlicher Unterstützung aus? Der Hausarzt kann es nicht (nicht für 40 EUR pro Patient und Quartal inkl. aller Hausbesuche), der Pflegedienst kann es mangels Bezahlung nicht, die Angehörigen können es mangels Kompetenz nicht...

Das hängt mir immer noch bitter nach, wenn ich an die letzten Wochen meiner Frau denke. Nicht ihre Pflege und ihr Sterben Zuhause. Das war so, wie sie sich das gewünscht hat. Aber dass dem aus formalen und Kostengründen so viele Steine in den Weg gelegt wurden, dass es fast an ein Wunder grenzt, dass es trotzdem geklappt hat. Darüber bin ich immer noch entsetzt.

Viele Grüße,
Stefan
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