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Alt 27.01.2010, 15:17
Mariesol Mariesol ist offline
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Standard AW: Die Reise nach Hause....

Liebe Ulli,

ich verstehe Dich sehr gut....weiss ganz genau was Du meinst.
Diese Veränderung ist eine Entwicklung...durch unterschiedliche Ereignisse hervorgerufen.
Ich habe schon sehr viel erlebt...so war ich vor 13 jahren in St. Petersburg in Russland. Ich bin einer abgeschobenen Familie nachgereist um ihnen ihre privatesten Dinge zu bringen, die sie zurücklassen mussten, als sie von der Polizei mitten in der Nacht aus den Betten gerissen wurden. Ich habe mich geschämt...für die Art und Weise wie in Deutschland mit Menschen umgegangen wird. Auch dieses wegreißen...alles nehmen...abschieben hat für mich noch immer diesen Nazideutschland - Geschmack.
So bin ich nach Russland gekommen. Es war März und bitter kalt. Vor der Eremitage tummelten sich Touristen und auch auf den Prachtstrasse wo schon damals von Gucci bis Prada alles zu haben war.Ich selbst blickte in die Seitengassen. dort lagen Menschen auf der Strasse...einfach erfroren...oder verhungert. Andere standen im U-Bahn Schacht...keine Hoffnung, keine Arbeit keine Perspektive....wenn einer von ihnen Krebs bekommen hätte....hm es wäre ganz einfach kein Geld da gewesen um ihn zu behandeln.Als ich weg flog...mit meinem guten deutschen Pass....und meine Schützlinge dort lassen musste war ich verzweifelt. Hier in Deutschland angekommen, war das Haupthema...eine Baustelle auf der Autobahn.....10.-€ Praxisgebühr zahlen müssen....wie das neue Modell von Audi aussehen wird.
Ich habe es einfach nicht mehr verstanden...ich hatte mich verändert und entwickelt.Es gab noch viele Ereignisse in meinem Leben in welchen ich mich selbst nochmal genau angesehen habe und natürlich auch die Menschen die mich umgaben.

Lieber Michael,

Du beschreibst diese Rituale in einer sehr warmen Art. Ich kann fühlen, wie viel Dir dies alles bedeutet hat.Wir haben gute und heilende Rituale...aber unsere gesellschaft gibt diesen kaum Platz und schon gar keine Zeit. Es ist an uns diese zu bewahren und weiter leben zu lassen.
Ja, ein toter Körper verändert sich sehr schnell.....ein unaufhaltsamer Prozess.
Ich habe sehr lange im Raum der Stille neben meinem aufgebarten Vater Abschied genommen. Der Pfleger fragte mich ob ich einen Wunsch hätte was mein Vater für Kleider tragen soll. Ich habe mich auch für bequeme Kleider entschieden...aber es war mir nicht so wichtig. Ich habe lange seine entspannten Wangen gestreichel...mich gefreut, dass sie ihm Mohnblumen in die Hand gegeben haben.Ich habe sehr schnell gemerkt, dass er nicht mehr da ist. Er war dann einfach weg. Er war in seinem Haus ich bin ganz ganz sicher. Ihn dort aufbaren wäre mir nicht in den Sinn gekommen.Zumal wir einige km von seinem Haus entfernt leben. Es wäre ja keiner bei ihm seinem Körper gewesen. Aber er selbst, ihn habe ich bei mir gefühlt, gerochen...er war zwei Tage da...er hat mich getröstet. Noch immer habe ich das Gefühl er hält seine Hand über mich. Alles wovor ich Angst hatte regeln zu müssen...hat sich fast ohne Mühe versebständigt. Meine Trauer hat viele Facetten. Das Vermissen ist sicher ganz oben auf der Liste. Die Frage ob ich hätte noch mehr tun können, die Dankbarkeit das dieser besondere Mann mein Papa war,das Glück ein so intensives Jahr mit ihm gehabt zu haben.
Mein Mann versteht vieles nicht was ich gerade durchleide. Er reagiert fast ein wenig eifersüchtig...weil ich so viel über den Papa sprechen muss.Wir haben uns gestern gestritten...weil ich ihn als kalt empfinde und er meint ich steigere mich hinein. Schade...wir sprechen gerade nicht die selbe Sprache.
Das führt dazu, das ich mich total zurücknehme und meine Wunden heimlich und ganz alleine lecke.Es tut mir gut hier zu schreiben. Ich habe das Gefühl, dass IHR mich versteht...weil ihr ja auch Eure Trauer lebt...immer noch zulasst und auch hier darüber sprecht.Ich habe heute alle Beileidskarten weggepackt...auch Papas persönliche Dinge die daneben lagen...die verblühten Tulpen weggeworfen. Ich habe noch sein Hörgerät in der Tasche...immer noch. Ich streichle die Hülle..und weiss er kann mich hören...ich streichle über sein Foto in meiner Tasche und weiss er lebt in mir weiter...ich bin ein Stück von ihm.

Ich grüße Euch Mariesol
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