Einzelnen Beitrag anzeigen
  #12  
Alt 13.10.2008, 11:34
Hazel Hazel ist offline
Neuer Benutzer
 
Registriert seit: 29.09.2008
Beiträge: 9
Standard AW: Die Zeit danach

Liebe Sidonie,

auch wenn wir uns über einen anderen Beitrag kennengelernt haben, möchte ich dir doch hier antworten.

Ich denke, dass deine Entwicklung ganz normal ist. Die Diagnose Krebs ist definitiv ein Trauma, vor allen Dingen für einen jungen Menschen, der ganz andere Pläne macht. Und auch, wenn du das alles "relativ" unbeschadet überstanden hast, so hat es doch deine Psyche und deine Seele verändert. Die heile Welt, die es bislang gab, wird für deine Seele nie wieder existieren und von daher kannst du das "leichte Leben" nichtbetroffener Altersgenossen nicht mehr führen. Das ist mit allen existentiellen Lebenserfahrungen so und oft ist es daher notwendig, den Freundeskreis neu zu definieren.

Mein Leben war eigentlich nie unbeschwert. Und ich habe mich oft gefragt, was mich von vielem trennt, bis ich begriffen habe, dass ich mit den Menschen gut klar komme, die meine Realität kennen, sprich mit Menschen, die nicht nur die Sonnenseite im Leben kennengelernt haben. Es ist einfach ein anderes Verstehen und eine andere Tiefe.

Hinzu kommt sicherlich auch, dass unsere Kultur in Deutschland auf Konsum, Spaß, Leistung und Wachstum ausgerichtet ist. Negative Themen wie Tod, Einsamkeit und Krankheit werden möglichst ausgeklammert - dafür gibt es wenig Raum hier. Wir sind ja auch von Terror, Krieg, Hunger usw. verschont, sodass das "leichte Leben" hier noch immer leicht fällt.

Zu dem Thema Tod möchte ich dir noch folgende Geschichte erzählen:
Im Alter von 23 Jahren wollte ich unbedingt Mutter werden und wurde auch bald schwanger. Ich freute mich riesig auf dieses Kind und hätte Bäume ausreißen können vor Freude. Im dritten Monat verlor ich dieses Kind wieder. Ich hatte es nie kennengelernt und war trotzdem am Boden zerstört. Der Tod war etwas unbegreifliches für mich, aber aus Rücksicht auf andere erlaubte ich mir keine Trauer. Ich wurde wieder schwanger, aber es trat keine Freude ein. Die Angst, dass sich dieser Verlust wiederholen könnte, stand allem im Wege. Das änderte sich auch nach der Geburt meines Sohnes nicht... Als er fünf Monate alt war, erkrankte meine Mutter, die weit weg wohnte, an Krebs. Sie starb acht Wochen später und ich war drauf und dran in eine tiefe Depression zu versinken, zumal mein Kind ein Schreikind war und mir jede Kraft nahm. (Er sorgte dafür, dass ich ihn nun endlich zur Kenntnis nahm )
Was mich (und meinen Sohn) in dieser Situation gerettet hat, war die einfache Tatsache, dass ich erkannte, dass jedes Leben mit der Entstehung unaufhaltsam auf seinen Tod zugeht. Der Zeitpunkt dafür wird an höherer Stelle entschieden und alles was wir tun können ist, die Zeit dazwischen mit Leben zu füllen und die Aufgaben zu bewältigen, die uns gestellt werden.

Was ich dir damit sagen möchte ist, dass du das Thema Tod nicht ausklammern solltest, nur weil andere es tun. Wenn du den Tod als Bestandteil des Lebens wirklich akzeptiert hast, wird das Leben wieder viel leichter. Kraft kostet es, den Tod als Möglichkeit auszuklammern, obwohl er schon vor der Tür gestanden hat, bei anderen Menschen anklopft oder bereits zu Besuch war.

Wenn es schlimmer wird, solltest du vielleicht gucken, ob du eine Therapeutin findest, die sich auf Tod und Traumafolgen spezialisiert hat. In einer Therapie hättest du nicht das Gefühl, auf andere Rücksicht nehmen und dich anpassen zu müssen.

Alles Liebe

Hazel
(ich finde es toll, dass du die Herbstblätter bemerkst - wer tut das schon? )
Mit Zitat antworten