Thema: Es tut so weh
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Alt 17.06.2005, 09:17
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Standard Es tut so weh

Hallo Alle,

ich finde es Klasse, das wir uns hier alle getroffen haben, aber es wird auch immer schwieriger weil komplexer, zu antworten und auf alle einzugehen, finde ich. Und ich erkenne mich in so vielen Dingen wieder.

Ingrid, bei mir war es sehr ähnlich wie bei Dir, was die letzten Wochen meines Vaters anging. Wir sind uns vor allem körperlich nahe gekommen wie nie zuvor. Ich denke in letzte Zeit immer häufiger: was sind wir bloss für eine komische /bekloppte Familie. Viel Schweigen und gegenseitiges Übelnehmen, wieder Schweigen, alles unter den Teppich kehren, verhärtete Standpunkte, kein herzliches Miteinander weder in der Freude noch in der Not.

Ich denke, meine Mutter ist sich selbst ganz genauso im Weg wie Deine, sie tut sich auch sehr schwer mit anderen Menschen, hat an fast jedem was auszusetzen, es ist fast unmöglich es ihr recht zu machen. Seit meiner Teenager-Zeit versuche ich abwechselnd Dinge vor ihr zu verbergen (um ihr Missfallen bzw. ganz früher noch Verbote zu umgehen) oder eben es ihr recht zu machen, wenigstens nach aussen hin.

Aber ich analysiere schon so lange an meiner Mutter herum... Viv, Du meintest man könne ja schlecht über das Thema reden... mit den meisten Menschen ist es sicher so, aber ich hatte zum Glück seit meiner Schulzeit eine Freundin (immer noch) die auch ein problematisches Mutter-Verhältnis hat/hatte und auch darüber sprach...das Thema wälzen wir jetzt unter immer wechselnden Aspekten seit ca. 25 Jahren (Oh je...). Aber damit komme ich nicht weiter. Ich merke, das ich vor dem entscheidemnden Punkt noch immer weglaufe, nämlich mal nicht meine Gedanken sondern meine GEFÜHLE ihr gegenüber zuzulassen und zu betrachten.

Wenn ich meine Mutter sehe, tut es weh und sie tut mir leid weil sie so einsam und verbittert aussieht und fühle mich einerseits aus Mitleid (???) heraus zu ihr hingezogen, aber etwas viel stärkeres stösst mich zurück. Es sind keine warmen oder herzlichen Gefühle - was nicht heisst dass ich die nicht habe, vielleicht, jedenfalls kann ich sie nicht fühlen oder zulassen. Ich kann mir weder vorstellen meine Mutter in den Arm zu nehmen noch einfach mal herzlich mit ihr zu lachen. Wann habe ich sie das letzte Mal lachen sehen? Lange lange her, jedenfalls in meiner Gegenwart.

Beschämend... zweimal habe ich sie hier im Ort gesehen und mich schnell zurück gezogen, anderen Weg eingeschlagen, um sie nicht zu treffen, weil ich ihre negative bittere Art nicht ertragen kann, nicht mal ihr Aussehen, ich kann sie fast nicht richtig ansehen. Ist das nicht furchtbar?

Meine Mutter ist ein komplizierter Mensch, anscheinend sehr gefangen in ihren (selbst gesteckten ? anerzogenen ?) Grenzen. Ich bin auch eher kompliziert, denke ich ... Mein Vater war eher ein "simples Gemüt", so sagte er mal selbst über sich, zwar nicht so still wie Ingrids Vater, aber so gesehen auch eher am Rande der gesamten Familie in den letzten 20 Jahren da meine Mutter ihn erst nicht mehr so einbezogen hat und er dann nur noch hin + wieder dabei war nach der Trennung meiner Eltern. Aber er war erfolgreich im Job und ein ziemlicher workaholic. Aber eben nicht "intellektuell" oder reflektiert, er hat immer gern alles schwierige verdrängt.... so hatte er sich vor ca. 2,5 Jahren nicht getraut zu sagen dass er die zweite Frau nun geheiratet hatte, udn als ich es durch Zufall erfuhr und ihn darauf ansprach gab er schliesslich zu er sei "schon immer ein Feigling gewesen".... was ich für seine Verhältnisse schon ganz beachtlich fand. Mein Vater wirkte oft sehr flüchtig und oberflächlich, aber er war auch unkomplizierter als meine Mutter, indem er mich einfach mal loben konnte oder sich mit mir + für mich freute. Und wenn er nur mal sagte "das ist ja prima"... damals dachte ich oft "na toll war das jetzt alles?" aber inzwischen ist mir aufgefallen dass ich von meiner Mutter NIE sowas gehört habe, sie hat eigentlich immer nur ihren Senf dazu gegeben wenn es was zu bemängeln gab. Sie hat mich nie unterstützt oder einfach mal hinter mir gestanden, egal was für einen Mist ich gebaut habe. ich denke ich habe das als ziemlich herzlos empfunden, und so kommt es mir jetzt manchmal vor als würde ich ihr jetzt mit der gleichen Herzlosigkeit begegnen... späte Rache? Oder BIN ich auch ein bisschen wie sie? Warum kann ich sie nicht ertragen? Ist das nicht furchtbar?

Als mein Vater Anfang 2002 erstmals operiert wurde besuchte ich ihn im KH und war nicht vorbereitet darauf ihn ein paar Tage nach der Op noch so schwach zu sehen, er konnte kaum sprechen, mein Sohn sass auf dem einzigen Stuhl, ich musste mich auf die Bettkante setzen und er nahm meine Hand und ich fand das so furchtbar... ich ging nach ca. 10 oder 15 Minuten, meine Ausrede war mein Sohn der zu unruhig war, als ich draussen war schäumte es in mir und ich dachte voll Wut + Trotz wie kann er es wagen, nach 40 Jahren hier Händchen halten zu wollen, sich (praktisch) nie kümmern und durch die WEelt jetten udn wenn er krank ist soll ich Händchen halten?

Und 2 Jahre später, als er seine letzten 9 Wochen auf der Intensiv lag, da lernte ich es, da ging es, da konnte ich stundenlang bei ihm sitzen und seine Hand halten und streicheln. Wie sich das entwickelt hat bzw. möglich wurde, ist eine andere separate Geschichte, eigentlich durch meinen Thera der mir geholfen hat zu sehne dass ich ihn nur akzeptieren aknn wie er ist.... und am Ende WAR dann eben alles gut wie es war....

Also, es GEHT. Warum geht es nicht mit meiner Mutter? Zum einen, sie macht es einem schwerer als mein Vater, auf sie zuzugehen. Er war zwar flüchtig, aber hat mich nie zurück gestossen.

Aber ich KANN nicht. Ich will es versuchen, aber allesd drängt mich es zu vermeiden. Nur der Gedanke + die Gewissheit dass ich dafür nicht ewig Zeit haben werde, sitzt mir im Genick....

Puh das war jetzt lang. Könnte im Moment stundenlang weiter schreiben.

Kerstin
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