Thema: Es tut so weh
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Alt 24.06.2005, 14:22
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Standard Es tut so weh

Mein Papa


Komisch, Briele, daß du das Wort 'Papa' benutzt. So haben wir ihn genannt bis wir um die 20 waren. 'Vater' (spricht man bei uns Vaader) hat meine Mutter eingeführt. Und wir haben es übernommen. Das scheint manchen vielleicht als unwesentliche Kleinigkeit. Mir nicht. Es ist symptomatisch für so vieles.

Mein Vater war Maler (Handwerk, nicht Kunst) und Restaurator in einem kleinen Familienbetrieb. Er hat seinen Beruf geliebt und gut gemacht. Als er mit 65 in Rente kam, hat sein Chef ihn gefragt, ob er nicht weiterarbeiten wollte. Das hat er dann auch gemacht, Vollzeit, bis er 70 war.
Nach seinem Tod habe ich Fotos gefunden von ihm und drei seiner Kollegen, als sie Ende der siebziger Jahre in der Schweiz gearbeitet haben. Ich seh sie mir immer mal wieder an.Er sieht so lustig und übermütig aus. Gar nicht wie mein Vater, der zu Hause so oft grantig war, jedenfalls nie lustig oder übermütig. Wie auch, bei dieser Ehe?
Er war kein Mensch, der viel nachgedacht hat. Und ausser seinem Beruf hatte er weder Hobbies noch Freunde. Unsere Ausbildung wär ihm egal gewesen (Mädchen heiraten ja eh), es war meine Mutter, die uns gepuscht hat, daß wir aufs Gymnasium gehen und studieren. So sind wir auch heute noch die einzigen Akademiker in unserer Verwandtschaft. Und dafür bin ich ihr auch wirklich dankbar. Auch daß sie ein Haus bauen hat meine Mutter durchgesetzt, er wollte das eigentlich nicht. Dafür war es aber dann immer 'ihr' Haus. Daß er das Geld dafür verdient und auch viel drin gemacht hat, hat nie gezählt in ihren Augen. Aber sie hatte ja ohnehin niemals etwas gutes über ihn zu sagen. Nach seinem Tod meinte sie, es sei ihr ja jetzt erst gekommen, daß er sein Leben lang gearbeitet hat für uns. Nein, den Gedanken hatte sie vorher nie. Ich habs ihr zwar hundert Mal gesagt, wenn sie wieder über ihn hergezogen ist, aber das hat sie natürlich ignoriert. Auf ihren Wunsch hin war der Spruch 'in Liebe und Dankbarkeit' in seiner Todesanzeige. Ich habe heute noch ein komisches Gefühl dazu.

Seine Trauerfeier war wunderschön. Er wollte überhaupt kein kirchliches Brimborium. Aber für meine Mutter war es wichtig, und erstaunlicherweise bin ich alte Atheistin auch froh, daß wir das gemacht haben. Denn die Pfarrerin (ist sie eigentlich nicht, da katholisch) hat unter anderem gesagt, daß er mit seiner Arbeit Spuren hinterlassen hat. Diesen Gedanken hatte ich nie gehabt! Ein Mensch, der ihn im Leben nie gekannt hat, sagt etwas wichtiges über ihn worauf ich nie gekommen wäre.
Seither denke ich immer: und die Menschen, die in der alten Oper in Stuttgart die wunderschöne blaue Farbe bewundern, die aus echtem Lapislazuli hergestellt wird, wissen nicht, daß es ihn gegeben hat. Aber die Pinselstriche sind seine Spuren.

Er war übrigens auch ein schöner Mann. Das musste ich noch an seinem Geburtstag denken, als er einen seiner letzten 'guten' Tage hatte. Aber einen 'hässlichen' Mann hätte meine Mutter auch nie geheiratet. Dazu waren ihr Äusserlichkeiten immer schon zu wichtig

Er ist 11 Tage nach seinem 79sten Geburtstag gestorben. Fast auf die Minute genau 12 Stunden nach dem Papst. Ich sage das nur deswegen, weil die Schlagzeile auf unserer Sonntagszeitung an diesem Morgen natürlich war 'Ich bin froh, seid ihr es auch.' Das hat mein Gefühl sehr genau getroffen. Er ist nicht friedlich eingeschlafen.
Seine Diagnose hat er im Januar bekommen, als er wegen eines Darmverschlusses notfalloperiert werden musste. Verursacht durch eine der zahlreichen Metastasen eines Pankreaskarzinoms.

Danke fürs zuhören. Das war nur die Einleitung ;-)


Einen schönen Tag noch ihr Lieben. Ist richtig ruhig geworden auf unserer Couch...
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