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Alt 18.10.2004, 10:22
Gast
 
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Standard Nun bin ich Witwe

Ihr Lieben,
gerade habe ich die Worte von Andrea gelesen und trotz allem Leid, was wir alle zu tragen haben, gehen sie mir sehr nahe. So ähnlich wie die Schicksale unserer Lieben sind, so unterschiedlich sind doch auch alle. Überall war der Krankheitsverlauf anders, jeder unserer Männer ging anders damit um. Es ist alles schlimm und ich muß Euch alle bewundern, mit wieviel Kraft Ihr es schafft, Euer Schicksal zu meistern und Du, liebe Andrea, es schaffst, mit Deinen Kindern weiterzu leben.
Die Nacht ist jetzt um und eine neue Woche hat begonnen. Wieder eine Woche ohne unsere Geliebten, wieder eine Woche hadern, wieder eine traurige, einsame Woche, wieder eine Woche, in der mich die Selbstvorwürfe nicht loslassen. Habe ich wirklich alles getan, um Uli das Leben, solange es ging, lebenswert zu erhalten? Hätte ich ihm von der letzten Chemo oder den Bestrahlungen im August, die ihm den letzten Rest Kraft geraubt haben, abraten müssen, statt ihm die Entscheidung zu überlassen? Wäre ich besser stattdessen nochmals mit ihm nach Brandenburg an seinen geliebten See gefahren? Nachdem er Anfang September mit Vergiftungserscheinungen (zu viel Calcium im Blut) 4 Tage ins Krankenhaus musste, war ich mir in der letzten Woche, die er erlebte, fast sicher, dass da auch wieder eine Vergiftung eine Rolle spielte. Diesmal wahrscheinlich eine Amoniak-Vergiftung, weil sich die Leber auflöste bzw. nicht mehr richtig arbeitete. Vielleicht hätte ich ihm noch ein oder zwei Wochen das Leben verlängern können, wenn ich ihn ins Krankenhaus gebracht hätte. Aber er wollte nicht und ich habe seinen Wunsch akzeptiert. Jetzt frage ich mich, ob alles so richtig war. Da er sich auch in den letzten drei Tagen nicht mehr äußern konnte und auch nicht mehr in der Gegenwart lebte, konnte ich ihn auch nicht fragen, und so werde ich nie eine Antwort bekommen. Die Wut, die ich in der letzten Woche im Bauch hatte, richtet sich jetzt gegen mich selbst. Könnte ich doch die Zeit um wenigstens ein Jahr zurückdrehen, wie anders würde ich versuchen, Ulis Entscheidungen zu beeinflussen. Du hast recht Thekla, lieber einige Monate lebenswert und unbeschwert verbringen als neun Monate in ständiger Angst, was der nächste Tag bringen wird. Eine Krankenschwester hat mir Anfang Januar, ganz am Anfang von Ulis Erkrankung gesagt, uns bliebe zwar nur noch eine kurze Zeit zusammen aber diese Zeit würden wir intensiv nutzen und ich könnte später viele schöne Erinnerungen daraus schöpfen. Mir fällt nicht eine schöne Erinnerung ein, nur dieser ständige Kampf mit den Schmerzen, die er hatte und den Folgen der Chemo und der Bestrahlungen. Habt Ihr noch schöne Erinnerungen an die letzten Monate oder Wochen? Ich wünsche es Euch so sehr damit Ihr wißt, dass der Kampf doch nicht so ganz vergebens war.
Liebe Andrea, jetzt hast Du zwei schwere Tage vor Dir. Heute hätte Dein Claus Geburtstag gehabt. Sicher würde er sich freuen, wenn Du und Deine Kinder irgendetwas unternehmen würdet, was ihm besondere Freude gemacht hätte, und vielleicht lenkt es Dich ein wenig ab. Morgen ist dann seine Beisetzung. Ich werde ganz fest an Dich denken und hoffe, dass Du diesen schweren Tag gut überstehst. Ich habe ihn in der nächsten Woche noch vor mir und mir graut schon jetzt davor, zumal wir es nicht im kleinen Kreis machen können, es wollen seine Kollegen, seine Fischerei-Freunde und viel, viel Familie kommen. Schlimm ist danach dann der Leichenschmaus, wo es gar nicht lange dauern wird, bis alle lustig sind und man den Eindruck hat, sie vergessen zu schnell, weshalb sie überhaupt da sind. Du hast Dir und Deinen Kindern das erspart und im Grunde finde ich es richtig so. Mir bleibt leider keine Möglichkeit, es Dir gleichzutun.
Alles Liebe
Beatrix
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