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Alt 17.07.2003, 07:06
Gast
 
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Standard Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Liebe Inge,

bei Deinen Schilderungen kommen sehr viele Erinnerungen hoch, die ich zulasse, weil sie zu mir gehören. Ich wünsche Dir viel Kraft.

Tue das, was Dir deine Seele sagt, tue es spontan. Es wird richtig sein.

Ich bin neben den vielen Spazierwegen, den Besuchen am Grab auch nochmals in den Krankenhäusern und dem Hospiz gewesen, bin quasi nochmals mit meiner nicht mehr lebenden Frau von Stockwerk zu Stockwerk gegangen. Der Start jeweils dazu war schwer, danach ging es mir deutlich besser. Wichtig war für mich, was sich in meiner Seele tat, welcher Druck sich jeweils löste und was sich Schritt für Schritt in mir tat und veränderte.

In den 4.5 Jahren nach Krankheitsausbruch bei meiner Frau habe
ich alles getan, um ihr das Leben zu erleichtern. Erst zwei Jahre nach ihrem Tod konnte ich es zulassen mir einzugestehen,
daß auch ICH Ungeheures geleistet habe, obwohl ich das doch für
selbstverständlich hielt. Nicht nur SIE hat Wunderbares geschafft bis zu ihrem Tod, sondern auch ICH als ihr Lebensgefährte. Auch diese Selbsterkenntnis, dieses Eingestehen, Du hast alles getan, was Du konntest, Du hast es
sehr gut gemacht, tat meiner Seele sehr gut. Wieder konnte ich
damit ein Stück Abschied leisten, meiner Seele sagen: Es ist gut.

Es ist gut alles zuzulassen, was mit Trauer, Tod und Abschiednehmen zu tun hat. Es ist gut, der Seele Raum zu geben, denn sie hat während der Krankheit des Partners sich für ihn verzehrt. Es ist gut zu weinen und laut zu sprechen, es löst die Spannungen der Seele. Es ist auch gut zuzulassen, etwas Neues zu beginnen, jetzt wieder etwas zu geniessen. Es ist auch im Sinne des nicht mehr vorhandenen Partners.

Es ist gut, der Seele Raum zu geben, nach vorne zu sehen, das Leben neu zu ordnen und vielleicht sich auch wieder anderen zu öffnen. Seele und Gefühl werden signalisieren, was zu tun ist und wann es zu tun ist.

Meine Frau und ich haben uns sehr lange auf den Abschied vorbereiten können, schmerzlich war es, aber notwendig: das Loslassen.

Nach ihrem Tod befand ich mich im Zustand des Losgelassenseins, ein wenig hilflos, orientierungslos. Jede Frau, die mir begegnete, wurde mit ihr verglichen. Ich habe das zugelassen, weil es wohl gar nicht anders geht als derartige Vergleiche anzustellen.

Es hat eine Zeit gedauert, bis meine Seele akzeptierte, was mein Verstand schon eher wußte: Behalte deine Frau in Erinnerung, das kann Dir keiner nehmen. Es war einzigartig mit ihr. Nun lasse sie bitte auch gehen, denn sie hat einen Bereich betreten, der für Dich nicht erreichbar ist. Du lebst hier weiter, Du darfst es, Du sollst es, Du darfst sogar Freude am Leben haben. Nimm Dein neues Leben nun in die Hand. Tue das, was Du für richtig hältst, Du bist frei.

Mit lieben Grüßen
Shalom
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