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Alt 18.08.2009, 14:59
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Kritik am Verstorbenen?

Hallo an Alle!

Ich weiß nicht mehr wo ich es gelesen hatte, aber ich habe es nie vergessen, denke heute sehr oft darüber nach: Es ist ein Unterschied mit einem Lebenden zu leben oder mit einem Verstorbenen. Es ist wichtig und notwendig für das eigene Weiterleben, dem Toten einen „neuen Platz“ zu geben. Ich denke, diesen Platz zu finden, der dem geliebten Verstorbenen würdig ist und doch das eigene Weiterleben nicht verhindert gehört zu dem was wir Trauerarbeit nennen. Und den Platz kann man erst im Laufe der Zeit finden. Bis dahin durchleben wir so viele verschiedene Ebenen der Trauer so lange, bis unser geliebter Mensch ganz allmählich wieder komplett wird in unserer Erinnerung.

Ich persönlich habe nicht deshalb nicht schlecht über meinen Mann gesprochen, weil „man es nicht tut“, sondern weil mir zu Beginn tatsächlich nichts, aber überhaupt nichts Negatives in den Sinn kam. Ich habe ausschließlich seine positiven Eigenschaften gesehen und vermisst, hatte Panik davor wie ich eben genau ohne diese leben können soll. In meiner Erinnerung war ich alleine Schuld an allem was in unserer Ehe schief lief. Mein Mann war perfekt. Zahllose Gespräche mit anderen Hinterbliebenen, die mir auf meinem Weg der Himmel geschickt hat, veränderten auch die Erinnerungen, ließen im Laufe der Zeit meinen Mann wieder „ganz“ werden, d.h. mit all seinen guten Seiten, aber auch mit den Fehlern, die er zweifelsohne hatte. Kleinigkeiten, die mich in unserer Ehe wütend gemacht hatten, ganz allmählich wurden sie wieder lebendig und heute erinnere ich mich an meinen geliebten Mann mit all seinen Facetten, mit allem, was ihn ausgemacht hat. Er ist wieder komplett. Die Schubladen, die langsam in jedem Gespräch ein wenig mehr aufgegangen sind, die mich Päckchen packen ließen. Ein langwieriger Prozess.

Ich erinnere mich noch wie heute, als ich eines Tages meiner Freundin etwas Negatives über Claus erzählte. Als es mir bewusst wurde, war ich zunächst ziemlich erschrocken. Aber diese Wendung hatte etwas Befreiendes. Ganz allmählich bekam nämlich auch ich wieder die Stelle, die mir in meinem früheren Leben zustand. Nicht nur er hat mich glücklich gemacht, auch ich ihn. Nicht nur er hat den ein oder anderen Streit entschärft, auch ich. Nicht nur er war verantwortlich für das Gelingen unserer 28-jährigen Beziehung, sondern auch ich.

Heute, fast 5 Jahre auf meinem Weg, ist mein Mann in meiner Erinnerung wieder komplett. Hin und wieder „schimpfe“ ich mit ihm, oftmals lächle ich, wenn ich an seinen Blick denke, der mir all seine Verachtung ausdrücken konnte, wenn ich mich nicht so verhalten hatte, wie er es sich gerade in dem Augenblick gewünscht hat. Ich bin versöhnt mit ihm, das ist ganz wichtig. Und deshalb ist es mir auch erlaubt zu sagen: Mein Gott hat er mich manchmal genervt. Und ja, ich vermisse den ganzen Mann, den Mensch mit allem Guten, aber auch mit seinen Fehlern.

LG
Andrea
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες
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