Einzelnen Beitrag anzeigen
  #14  
Alt 30.01.2006, 11:29
shalom shalom ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 25.08.2005
Ort: Baden-Württemberg
Beiträge: 222
Standard AW: Gemeinsame/einsame Wege bei Krankheit

Wie sehe ich nach mehr als fünf Jahren nach dem Tod meiner Frau die damalige Trauersituation ? Was ist mir aufgefallen ? Was habe ich beobachtet ?

Mir hat ECHTES Mitgefühl sehr geholfen, denn das gab mir die Basis mich verstanden zu fühlen. Mir hat ECHTES MITEINANDER SPRECHEN UND NACHDENKEN sehr geholfen, meinen EIGENEN Weg zu finden.

Letztlich wußte ich jedoch für mich, Du mußt Dir selber helfen oder Dir helfen lassen, denn die mühsame Trauerarbeit kann Dir niemand abnehmen.

Was ich gar nicht wollte: den Stimmungen hilflos ausgeliefert zu sein. Ich wußte, ICH MUSS an mir ARBEITEN, weder ein Therapeut noch eine einfühlsame Trauergruppe oder eine Kur kann mir die Hauptarbeit abnehmen.

Der Therapeut würde mir zuhören, MICH REDEN LASSEN, WAS ICH EMPFINDE. Den Arbeitsweg zur Bewältigung hätte er mir nicht abgenommen.

Eine Trauergruppe wäre für mich wichtig gewesen, wenn ich meine Gefühle nicht hätte ausdrücken können und keine lieben Freunde gehabt hätte, um mich auszutauschen. Beide Dinge aber waren bei mir gegeben, sodaß ich mich mitten in meiner eigenen Trauerarbeit noch zusätzlich mit dem Leid anderer hätte intensiv auseinandersetzen müssen. Das wäre vielleicht gut gewesen, um meinen Gefühlsstand einordnen und mit anderen vergleichen zu können.

Dieses Forum hier hatte damals eine gewisse Funktion für mich, um zu sehen, wie andere Betroffene mit Trauer oder Krankheit umgehen. Das Forum ist für mich sehr wertvoll geworden. Was ich beim Forum nicht kann/konnte: Gefühls-Hopping durch die unterschiedlichen Threads. Mich haben ganz wenige Threads angesprochen und wenn ich meinte, etwas beitragen zu können, so habe ich einen Beitrag geleistet.

Jetzt habe ich die "Fremdhilfe" (Therapeut, Trauergruppe, Forum) angesprochen.

Was blieb nun für mich in meiner Situation übrig ?
(in eine Kur wollte ich nicht und brauchte sie vielleicht auch nicht)

Ich war bereit mich der neuen Situation zu stellen, aber wie ?

Ich kannte das große SCHWARZE LOCH, in das ich kurz nach dem ersten Krankenhausaufenthalt meiner Frau fiel. Ich wollte keine SCHWARZEN LÖCHER mehr haben, keine Ängste mehr vor der mit lieben Dingen meiner Frau gefüllten Wohnung, den geliebten gemeinsamen (zum Schluß sehr schweren) Spazierwegen.

Wäre ich meinen Ängsten nachgegangen, hätte ich unsere langjährige Wohnung verlassen müssen, ich hätte wegziehen müssen, um nicht auf Schritt und Tritt geliebte Wege betreten zu müssen, oder Bekannten antworten zu müssen.

Ich wollte NICHT, dass die Angst gewinnt.

Also habe ich versucht, die Angst beim Schopf zu packen und zu schauen, was die Angst mit mir macht.

Für Freunde und Bekannte hatte ich mir Sätze überlegt, mit deren ich fair und punktgenau auf die Standardfrage "Wie geht es DIR" antwortete. Ich bin dabei niemandem ausgewichen. Meist habe ich ich bei Interesse gefragt, was denn genau erzählt werden soll. Ich wollte mich schützen vor meiner eigenen Offenheit, um mich nicht verletzt zu fühlen.

Die ganze Wohnung war voller lieber Erinnerungen an meine Frau - überall - vor allem viele Bilder und Gegenstände unserer zahlreichen USA Reisen.

Was mir besonders nahe ging, waren die Kleider (Schuhe usw.), die noch ihren Geruch trugen. Ich wollte die wunderbaren Erinnerungen an Sie (meine Frau) behalten, mich aber von den stets Schmerz zufügenden Dingen trennen. Die beste Freundin meiner Frau hat dann kurz nach dem Tod meiner Frau die Kleider in Kisten gepackt und ich habe die verschlossenen Kisten an die Diakonie übergeben. Ich habe ihr Zimmer umgeräumt und eine leicht andere Gestalt gegeben, um nicht jedes Mal schmerzlich an die schweren Krankheitstage erinnert zu werden.

Die gemeinsamen Spazierwege habe ich fast alle nochmals alleine beschritten, es war mit viel Weinen, lautem Sprechen mit meiner verstorbenen Frau, auch mit Klagen (WARUM WIR usw.) verbunden. Jedes Mal habe ich mich NACHHER entlastet gefühlt. Ich bin nach Freiburg in die Klinik gefahren, wo sie AHB Maßnahmen erhielt, um die Krankenhausgänge zu durchlaufen. Ich bin an unserem Wohnort in die Klinik gefahren, in der sie ach so oft in fast jedem Zimmer der Onkologie lag. Ich habe dort im Laufe von Monaten mehrfach geschaut, was meine Seele sagt, wenn ich mich dort aufhalte. Ich bin an einem der Todestage in das Hospiz gefahren, in dem sie 2 Tage war, bevor sie starb.

Alle diese Gänge waren schwer, aber gut für meine Seele, denn ich wollte nicht, dass die Angst gewinnt.

Durch den Tod meiner Frau habe ich die Angst vor dem Sterben und dem Tod verloren. Ich bin dankbar, dass ich sie ein paar Wegschritte begleiten durfte. Es ist eine Bereicherung für mein Leben.

Ich habe vieles neu lernen müssen:

- Geduld mit mir selbst zu haben

- Unterscheiden zu lernen, wer wirklich mitfühlt /mittrauert

- Unterscheiden zu lernen bei Nachfragen wie es mir geht (Rein rhetorische Fragen, Höflichkeitsfragen, Interessensfragen)

- einzugestehen, daß ich selbst bis an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeiten gegangen bin und tatsächlich viel geleistet habe (das in mir zuzulassen hat etwa 2,5 Jahre gebraucht; ich war nur für meine Frau da, habe nur funktioniert, um alles für sie Erdenkliche zu tun; ich habe mich dabei selbst gar nicht wahrgenommen)

Shalom

Geändert von shalom (01.02.2006 um 19:20 Uhr)
Mit Zitat antworten