Thema: Stammtisch
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Alt 20.04.2006, 22:46
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AndreaS AndreaS ist offline
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Standard AW: Stammtisch

Dieser Beitrag ist von Briele, sie hatte wohl "Ladehemmungen" - das Forum lief heute auch zeitweise sehr schlecht, deshalb übernehm ich das jetzt mal für sie:

Hallo an alle!

ich möchte Euch von einem Erlebnis erzählen, das ich vor ein paar Tagen hatte und von meinen Gedanken dazu:

Seit einem halben Jahr besuche ich einen Kurs, die meisten Teilnehmer kennen sich schon sechs Jahre. Ein Herr ist schon länger nicht mehr dabei, er ist ziemlich krank, ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, seine Frau sitzt im Kurs neben mir.

Eine schwierige, auch gefährliche Operation soll gemacht werden, der Termin wurde bereits dreimal verschoben und die Dame war dann auch nicht mehr im Unterricht. Als mir klar wurde, daß vom Kurs keiner bei ihr nachfragt, hab ich ihr vor ein paar Wochen einen Brief geschrieben. Sie hat gleich angerufen, sich bedankt und gesagt sie habe vor Rührung geweint.

Dann hab ich noch zweimal angerufen, natürlich immer gefragt ob ich störe, und hatte das Gefühl das war keine so gute Idee.

Am Dienstag war sie wieder da. Nach und nach trudelten alle ein, jeder erkundigte sich wie es geht, jeder bedauerte, daß sie noch immer auf der Wartebank sitzen. Zwischendurch wandte sie sich mir zu und flüsterte, das ist entsetzlich, wär ich nur nicht gekommen, diese Fragerei!

EINE sagte nur, guten Tag Frau X. schön, daß sie wieder da sind.

Nach dem Unterricht stand ich mit ihr vor dem Gebäude, wir sprachen noch ein wenig und als die Dame vorbeiging, die nichts gefragt hatte, meinte sie: sie hat mich überhaupt nicht gefragt, das hätt ich nicht von ihr gedacht.

Seitdem denk ich über dieses Thema immer wieder nach.

Von mir selbst weiß ich, daß es mir kaum einer recht machen kann, wenn ich in Angst, Sorge, Trauer bin.

Als mein Mann im vergangenen Herbst die schlimme Diagnose erhielt, bin ich fast jedes Mal in Tränen ausgebrochen, wenn mich Nachbarn darauf ansprachen. Oft dachte ich, ach wenn doch keiner Notiz von mir nähme! Ging einer an mir vorbei und sagte nur Hallo, dann passte es mir auch wieder nicht.

Manchmal wollte ich darüber reden und klagen, manchmal wollte ich lieber, daß man mir was erzählt. Nur, wie sollen das die anderen wissen?

Wenn einem ein lieber Mensch gestorben ist, dann findet man den Satz DAS LEBEN GEHT WEITER nicht nur unnötig wie einen Kropf, man findet ihn beleidigend, gedankenlos, alles Mögliche.

Ich glaube man findet ihn deshalb so schrecklich, weil man es selbst nicht fasst, daß das Leben weitergeht. Wie kann das sein? Warum erlischt die Sonne nicht, zerreißt es den Himmel nicht, warum steht die Erde nicht still? Der Mensch hat nicht mehr eingeatmet und ich atme weiter, draußen fahren die Autos, singen die Vögel, hier und überall.

VON GOETHE.

EINES MORGENS WACHST DU NICHT MEHR AUF;
DIE VÖGEL ABER SINGEN WIE SIE GESTERN SANGEN
NICHTS ÄNDERT DIESEN NEUEN TAGESABLAUF
NUR DU BIST FORTGEGANGEN.
DU BIST NUN FREI UND UNSERE TRÄNEN WÜNSCHEN DIR GLÜCK.

Ich habe hier im Forum viele Klagen gelesen über das Verhalten von Menschen einem Trauernden gegenüber. Manchmal hab ich zurück gedacht an die Zeit, als ich noch keinen schmerzhaften Verlust hab erleiden müssen. Da hab ich leider arg viel versäumt, mein Benehmen, mein Verhalten war mit Sicherheit wenig hilfreich.

Weiß schon, es gibt in dieser Beziehung ja eine weitreichende Skala. Es gibt ausgesprochene A.L. Und es gibt die Ängstlichen, die Feigen, die Unwissenden, die Hilflosen. Leider auch die Gedankenlosen und die Trampel.

Manchmal denke ich, nun mit meiner eigenen schmerzhaften Erfahrung, kann ich besser auf Trauernde eingehen, sie besser verstehen und vielleicht auch ein wenig trösten. Aber eigentlich fühle ich mich nach wie vor ziemlich unsicher auf diesem Gebiet. Früher hatte ich fast Angst vor einer Begegnung mit einem Trauerndem, heute denke ich vielleicht einen Tick zu kompliziert. Durch das viele Lesen im Forum weiß ich was für eine heikle Sache das ist – daß ich, meine Person, zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Tonlage, die richtigen Worte finde.

Ich weiß nicht ob ich es in diesem thread, oder in einem anderen gelesen habe, auf jeden Fall schrieb jemand, sie kann es nicht leiden, wenn sie im Chat gefragt wird, wie es ihr gehe. Einerseits verstehe ich, daß einem die Frage auf den Geist geht, denn wie soll es einem schon gehen, andrerseits denk ich dann gleich, meine Güte, als ich noch manchmal in chat war, da hab ich auch gefragt – wie geht’s dir denn?

In der Summe des Ganzen glaube ich, daß das Trauern nicht nur schmerzhaft und schwierig ist, es ist auch eine einsame Sache. Wenn einem hie und da eine/r über den Weg läuft, die/der einem gut tut, dann ist das schon ein Hit.

Macht es gut – seid gut zu Euch.

Liebe Grüße

Briele
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Που να 'σαι τώρα που κρυώνω και φοβάμαι
και δεν επέστρεψες

Geändert von AndreaS (20.04.2006 um 23:00 Uhr)
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