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Alt 24.10.2003, 23:33
Gast
 
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Standard ich habe schuld

Liebe Margit,
ich habe zigmal angesetzt Deinen Brief zu beantworten. Jedesmal habe ich die Zeilen wieder gelöscht, weil sie nicht im entferntesten das wiedergaben was ich ausdrücken möchte.
Das was Du schreibst hat mich sehr stark erschreckt. Auf einmal waren all die Bilder wieder da, die Bilder, die ich glaubte verdrängen zu können.
Du schreibst das ich auf dem besten Weg
"ins Leben" bin.
Danke für den Zuspruch, es ist schön wenn man merkt das Andere mitfühlen und helfen.
Ich will auch wieder am Leben teilhaben, ich will raus aus diesem Loch, weg von diesen Depressionen, diesem fürchterlichen Grauen.
Ich will leben.
Ich weiss aber zur Zeit nicht ob ich es schaffe.
Es gibt Tage, da bin ich sehr zuversichtlich. Da kann ich sogar lachen. Aber jetzt habe ich auch wieder Tage, die ich eigentlich hinter mir dachte, an denen ich nur weine.
Das Schicksal das Dich getroffen hat ist furchtbar. Ich finde nicht die richtigen Worte um Dir zu sagen wie ich mit Dir fühle.
Aber ich fühle auch sehr viel für Deinen Vater. Nicht weil er auch Hep. C krank ist. Auch nicht wegen der Transplantation und der schlimmen anderen Erkrankungen. Nein, das ist es nicht.
Wir haben, glaube ich, das Gleiche erlebt. Und den Verlust eines geliebten Menschen durch diese verfluchte, furchtbare Krankheit zu verkraften ist fast unmöglich.
Meine Frau ist auch nur 55 Jahre alt geworden. Und sie hätte so gerne noch weiter gelebt. Auch ihre "Blutbildung" war zerstört.
Ich habe wieder wie damals die Hilflosigkeit gefühlt, wenn das Blut schwallartig aus ihrem Mund kam, weil Varizen im Hals geplatzt sind. Ich habe wieder die Angst in ihren Augen gesehen. Ich habe wieder gefühlt wie ich sie in den Armen hielt und versuchte das Blut abzuwischen. Diese Bilder hatte ich wieder ganz deutlich vor mir.
Wenn man merkt wie der geliebte Partner immer mehr verfällt und man nichts, rein garnichts dagegen machen kann, wenn man den Tod nicht aufhalten kann, dann kann man schon verbittert werden.
Man sucht Schuldige und gibt sich selber die Schuld.
Man will keinen um sich haben und sich in seinen Kummer vergraben.
Man will auch sterben, aber man bleibt leben.
Ich glaube ich verstehe Deinen Vater.
Ich war heute wieder stundenlang am Grab. Habe meiner Frau viel zu erzählen gehabt. Es hilft mir, ich fühle mich ihr dann ganz nahe.
Ich merke auch, ich bin noch nicht über den Berg. Ich arbeite aber daran und ich habe Hilfe.
Viele Grüsse
Rollo

Hallo liebe Anja,
ich habe Dich nicht vergessen. Ich war nur noch nicht in der Lage auf Deinen Brief zu antworten. Kommt aber ganz bestimmt noch
Ich denke viel an Dich und Deinen Tinnitus.
Bis bald,
Rollo
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