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Alt 24.02.2007, 10:23
Chanie Chanie ist offline
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Standard AW: dinge, die mir angesichts des sterbeprozesses nicht aus dem kopf gehen

Hallo
Ich habe lange überlegt, ob ich das hier schreiben soll, aber irgendwie drängt es mich doch, zu erzählen, wie es bei uns war. Diese letzten Erinnerungen an meinen geliebten Schatz...sie drängen immer wieder nach oben. Es fällt mir schwer, darüber zu schreiben, aber irgendwie möchte ich das ein Stück weit teilen.
Das Sterben und der Sterbeprozess...ja... Also:
Mein Mann hatte Lungenkrebs mit Hirnmetastasen.
Er hat fast 2 Jahre damit gelebt (Bestrahlung war erst 5 Monate nach Bekanntwerden, da Ärzte geschlampt hatten), sogar gut gelebt. Im letzten Jahr hatte er dann am 18. Dezember den ersten und einzigen Ausfall. Er hat nach einem stressigen Tag (seine Mutter lag mit Wirbelsäulenmetastasen im KKH) plötzlich alle Namen in seinem Gehirn gelöscht. Er kannte alle Leute, nur keine Namen... als er mich auf der Rückfahrt fragte "sag mir doch mal bitte, wie du heißt" war es, als zöge man mir den Boden unter den Füßen weg. Wir sind direkt zum Arzt, dann gab’s Kortison (Fortecortin) kurzfristig hoch dosiert und am nächsten Tag war alles soweit wieder im Lot.
Da haben wir uns langsam und traurig das erste Mal mit dem Hospizdienst in Verbindung gesetzt. Gebraucht haben wir den aber erst wieder im August, kurz vor seinem Tod. Bis zum 6.Juni hatten wir völlige Ruhe von den Metas, konnten noch heiraten, glücklich sein, leben...dann starb seine Mutter und nach der Beerdigung hatte er einen epileptischen Anfall. Mit Blaulicht ins Krankenhaus. Kortison, Weihrauch, Ergenyl und es ging wieder etwas aufwärts. Eigentlich begann sein Sterben da...denn er bekam in dieser Zeit einen solchen Lebenshunger...ich glaube, er wollte noch so viel wie möglich erleben, sehen und vor allem schmecken...sein Geschmacksinn, der lange nicht mehr gut gewesen war und ihm jeglichen Genuß verdorben hatte, war wieder da. Er konnte Essen und sich daran erfreuen und es blieb drin, was wir auch seit Wochen nicht mehr kannten. Wir sind also Essen gegangen, fast schon zwanghaft...überall, manchmal 2x am Tag und er hatte einen Riesen Spaß daran. Zwischendurch hatte er Abscencen, konnte nicht mehr selbst trinken, aber immer mal wieder ging das alles...wir waren noch bei meinen Eltern eine Woche im Urlaub, wofür er alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, da ich eigentlich gar keinen Urlaub hatte...es mußte „jetzt“ sein und heute weiß ich, daß sie ihn sonst nie mehr gesehen hätten. So fuhren wir also hin, waren da im Kino, hatten gute und nicht so gute Tage (Abscencen), aber er konnte noch einigermaßen laufen, wenn auch sehr wackelig und war guter Dinge. Er genoß die Zeit und fühlte sich sau wohl. Es war eine schöne Zeit, auch wenn ich manchmal sehr traurig war, weil er nicht bemerkte, wie schlimm seine Abscencen zum Teil waren.
Lange Unterhaltungen hatten wir auch noch und ich erinnere mich soooo gern an all das, denn als wir heimfuhren (auf einer Raststätte) versagten plötzlich seine Beine, als führten sie ein Eigenleben. In der folgenden Woche ging Laufen dann immer schlechter, ich konnte ihn nicht mehr allein lassen, denn er vergaß, von der Toilette zurück zu kommen und stand dort, bis ich ihn abholte, oder er fiel einfach um...Absencen wurden länger und schlimmer. Der Hospizdienst half uns über die letzten 2 Tage...Mein Mann konnte nur einen Tag nicht mehr aufstehen, ansonsten hat er sich so so so tapfer aufrecht gehalten. Er wollte doch auch nicht gehen, aber es ging nicht mehr. Zwischendurch war er einen Tag wieder so fit, dass er ganz fröhlich meine Mama angerufen hat und wir waren so froh...drei Tage später starb er in meinen Armen zuhause ohne Schmerzen, ohne größere Medikamentengaben. Nur ein bisschen was zur Beruhigung und eine kleine Dosis Morphium in der Menge, wie er sie sonst als Tablette schon einige Wochen genommen hat, weil er Schmerzen im Gallenbereich hatte, aber niemand herausfinden konnte, woran die lagen.
Sterben war nicht so einfach, denn er wollte ja nicht gehen, hat gemotzt und sich geweigert, als er gehen sollte, doch ich hab ihn sanft weggeschickt, ihm erlaubt und ihn ermutigt, mich alleine zu lassen, wobei mir das fast das Herz rausgerissen hat, denn ich wollte ihn doch behalten, aber ich wusste auch, dass er so nicht leben wollte, nicht als Pflegefall, der nicht mehr aufstehen kann. Er wollte eigentlich immer schon in seinen Stiefeln aufrecht stehend sterben, aber das war nicht mehr ganz möglich...Die Vorboten des Todes, so wie andere sie beschrieben haben (blau geäderte Gliedmaßen) habe ich an ihm nicht wahrgenommen. Er hatte eine schöne Farbe, fühlte sich eigentlich sehr wohl, aber er kühlte langsam aus, die Gliedmaßen waren eiskalt und nur der Torso noch schön warm, schwitzte stark und er konnte nicht mehr richtig die Augen öffnen, bis zu seinem eigentlichen Sterben, da öffnete er sie wieder und schaute mit großen, staunenden Kinderaugen...aber darüber kann ich nicht schreiben, das ist zu nah, zu privat, zu schön und zu schrecklich, um es zu teilen. Er atmete die letzten Stunden seltener, dafür tiefer...eine richtige Schnappatmung war das nicht, aber ähnlich, er hatte das Gefühl nicht mehr, Luft zu bekommen, obwohl er merkte, daß er atmete...er fühlte es nicht mehr und atmete daher sehr bewußt ein und aus, als müsse er sich mit jedem Atemzug daran erinnern, was er da tat...Zunächst regte ihn das sehr auf, aber er vertraute mir, als ich ihm sagte, er bekomme genug Luft und solle sich nicht aufregen. Zusätzlich erhielt er vom Vertrauensarzt des Hospizdienstes ein leichtes Beruhigungsmittel unter die Zunge und dann wurde es besser.
Ich hab einen ganzen Tag mit ihm zusammen Abschied nehmen können, wir haben Musik gehört, ich hab ihm vorgelesen, den Schweiß getrocknet, die kalten Arme und Beine sanft mit wohlriechendem Öl abgerieben und massiert, kleine Schlucke seines Lieblingssaftes mit einem Löffelchen gegeben und ganz viel bei ihm gelegen und mit ihm gekuschelt. Dann ging das Sterben los, worüber ich nicht sprechen möchte, da mich das noch zu sehr mitnimmt, was da abgelaufen ist, doch jetzt weiß ich, dass es danach auf jeden Fall weiter geht. Kein Zweifel.
Er hat noch gesagt, dass er was schönes sieht und dann hat er langsam, Stück für Stück nicht mehr geatmet...es war wie eine Geburt rückwärts und ich betrachte diese Sterbebegleitung für uns beide als großes Geschenk. Dass er mit 47 Jahren nicht bereit war, zu gehen, und es erst mal nicht so friedlich war (einschlafen oder so) ist völlig klar, aber ich konnte ihn über die Schwelle hinüberstreicheln, ihn beruhigen und ihm meine Liebe geben bis ganz zuletzt. Dafür bin ich sehr dankbar. Kein Krankenhaus, keine Angst, keine Schmerzen. Ich konnte bei ihm liegen, erzählen, Gedankenreisen machen...wir waren zusammen, so wie immer und der Sturm draussen tobte, der Regen prasselte auf die Erde und der Himmel war dunkel und die schwarzen Wolken zerrissen, aber hin und wieder schien die Sonne und das Gras draussen duftete. Ich werde diesen Tag nie in meinem Leben vergessen.

Dies ist also grob mein Erfahrungsbericht.
Bis bald mal wieder,
Christiane
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Die Liebe meines Lebens

Es steht geschrieben,
dass die Hoffnung zuletzt stirbt.
Aber weißt du, wer ihr dabei zusieht?
Es ist die Liebe!
Die Liebe hält die Hoffnung in ihren Armen
Und wenn sie stirbt dann ist da nur noch Liebe

Petra Speth, (*1962 )
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