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Alt 18.07.2005, 21:44
Gast
 
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Standard kämpfen.....??

Hallo lieber Bernd!

Du schreibst:
Endlich strenge ich mich nicht mehr an, so zu sein, dass Andere mich toll finden.
Meine Familie sieht sehr erschrocken auf mich und hat Angst, dass ich mich völlig verändere, dabei merken sie gar nicht, dass ich endlich auf dem Weg zu mir selbst bin.

Genau das fühle ich auch.Im Moment kostet mich meine Therapie sehr viel Kraft, denn ich bin an einem Punkt,wo ich nicht mehr "herumschwafeln" oder theoretisieren kann, sondern wo meine Gefühle langsam herauskommen (müssen). Wie Schalen einer Zwiebel habe ich vieles abgelegt und jetzt ist der Kern zu sehen, verletzlich und noch ungeschützt.

Es ist sehr ungewohnt für mich, über meine Gefühle nachzudenken. Als hätte ich es noch nie getan, und so gesehen, habe ich es auch noch nie getan. Ich habe es nicht gelernt. War (und bin) auch immer so, dass andere mich toll finden.

Selbstbewusster bin ich geworden, auch streitsüchtiger. Ich habe weniger Geduld als vorher. Habe aber auch weniger Zeit als vorher. Kann nicht warten. Will JETZT noch was machen.

Das erschreckt andere. Nicht mehr sanftmütig,nicht mehr immer nur für andere Halt geben, sondern selbst Halt fordern, für sich in Anspruch nehmen. Das kennen sie eben nicht.

Natürlich erschreckt das andere, denn wir "fallen aus der Rolle", im wahrsten Siinne des Wortes.

Habe heute ein Gedicht gefunden von Katja Ruhland, eben gerade, und es passt jetzt gerade so gut hierher:

Die Figur

Ich existiere,
schwebe auf den Bahnen meines Seins,
stehe neben der Figur,
die schon seit Jahren
meine Lebensrolle spielt.
Ich sehe das Gesicht der Figur,
aber ich sehe nicht mich darin.
Vielleicht bin ich verschwunden,
unter der Maske,
die die Gesellschaft für mich
ausgesucht hat.

(Katja Ruhland)

Die Familie ist ein Rollengeflecht, jeder hat da seine eigene "Rolle" und alles Verhalten ist interaktiv. Verändert sich ein Mitglied der Familie, gerät das ganze Gefüge ins Schwanken. Rollen müssen dann neu definiert werden, das schafft erstmal Verwirrung und Angst und kostet - für Dich - besonders viel Kraft.

Oft halten Familien auch an kranken Interaktionen fest, nur um das Rollengefüge nicht durcheinander zu bringen. Bei Alkoholikern in der Familie z.B. spricht man von Co-Abhängigkeit: Der unbewusste Wunsch, den Partner so zu "behalten" wie er ist, wohlwissend, dass es vielleicht nicht gut ist, aber eben das alte Gefüge nicht aufgeben wollend. Das ist oft unbewusst, dieses Verhalten, diese Angst.

Bei MIR hat es geholfen, über mein verändertes Leben zu sprechen, nichts unter den Teppich zu kehren und neue Bedürfnisse auch einzufordern.Das ging noch relativ leicht, weil ich zum Teil auch gar nicht anders konnte.

Dass ich aber auch vor MIR selbst nun meine Gefühle eingestehen muss und auf sie besser achten muss, ist ungleich schwerer. Das lerne ich gerade.

Sag ihnen, dass Du Dich mit Deinem neuen Verhalten nicht gegen sie richtest, sondern es für Dich brauchst.

Dir alles Liebe!

LG Tine
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