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Alt 22.03.2005, 14:05
Gast
 
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Standard Meine Mutter hat krebs

Hallo Thomas,

natürlich ist das eine sehr schwere Zeit und es ist anders und schwerer als man es sich je hätte ausmalen können, so war es für mich.

Jeder empfindet die Dinge anders aber ich will dir trotzdem sagen was ich im Nachhinein am meisten bereut habe: vor allem meinen Impulsen nicht oft genug gefolgt zu sein, z.B. meinem Vater ein Stofftier mitzubringen das er anfassen kann (er lag ja mehr als 9 Wochen auf der Intensiv) aber ich traute mich nicht weil ich dachte es ist albern oder lächerlich einem erwachsenen (Geschäfts)Mann ein "Schmuse + Tröstetier" mitzubringen, jetzt wünschte ich ich hätte es getan weil die Massstäbe sich doch ändern und alles was vorher zählte dann sooooo egal ist... er war ja reduziert auf nur noch so wenig Mensch und Raum und lag da Stunde um Stunde und Tag für Tag (oft auch nicht bei Bewusstsein bzw. wie ich jetzt denke nachdem ich viel gelesen habe, mit veränderter Wahrnehmung). Oder ich wollte ihm (letztes Jahr im Frühling) eine duftende Blüte mitbringen oder was anderes zum fühlen und anfassen (später las ich im Internet über basale Stimulation, d.h. das was ich da intuitiv für ihn tun wollte wäre nach deiser Methose genau richtig gewesen) aber ich traute mich nicht und dachte immer "was ist wenn es ihm den Verlust dessen was er da nicht mehr hat noch schmerzhafter bewusst macht anstatt ihn zu erfreuen und zu stimulieren und ihm damit "voran" zu helfen...). Jetzt denke ich es wäre gut gewesen das zu tun, und auch OK. Ich habe meinen Vater sehr lieb aber wir waren uns nicht sehr nah...lange verwickelte Familien-Geschichte.... ganze Familie eher steif und distanziert, aber ich weiss ich war immer "sein Liebling".... ich dachte auch mal daran den KH-Seelsorger anzusprechen, in der Schleuse vor der Intensiv hing die Nummer... wir sind keine gläubige Familie aber ich brauchte Trost und Beistand und dachte vielleicht würde mein Vater das jetzt auch wünschen? Ich tat es nicht. Und manchmal dachte ich an seinem Bett während ich meine "Ermunterungsparolen" aussprach dass ich ihn fragen sollte "oder willst Du garnicht mehr".... ich traute mich nicht, obwohl es bei ihm etliche Anzeichen gab das er nicht mehr wollte oder konnte, er verweigerte sich z.B. bei der Pflege oder schloss vor allem wenn Ärzte da waren die Augen. Sicher wollte er leben aber vielleicht nicht mehr so.... aber ich traute mich nicht. Immerhin habe ich ihm im KH zum ersten mal in meinem Leben gesagt "ich habe Dich lieb". Es war schwierig für mich ins KH zu fahren wegen kleiner Kinder so war ich nur alle paar Tage dort. Anfangs hielt ich es nur kurz aus aber dann war ich gern auch mehrere Stunden dort. An seinem letzten WE hatte ich mich (endlich !!) getraut ein Buch mitzubringen und ihm vorzulesen. Werde nie vergessen wie er mich dabei angesehen hat, ich weiss bloss nicht ob er noch alles verstanden hat, aber ich hielt dabei seine Hand und las ihm vor...

Auch wünschte ich, ich hätte über Tod und Sterben und Sterbebegleitung vorher so viel gelesen wie hinterher. Ganz grandios ist "mein Leben als Sohn" von Philip Roth. Es gibt tolle Buchtipps hier im KK, oder bei Amazon.

Man kann sich mit Lesen natürlich nicht auf den persönlichen Schrecken vorbereiten der einem da passiert aber ich denke es hilft ("Bücher sind Erfahrungen die man kaufen kann" habe ich mal wo gelesen).

Da nun mal alles so war wie es war habe ich mich intensiv mit allem auseinander gesetzt - leider erst nach seinem Tod. Aber auch das war nun mal so. Man kann sich nicht wirklich vorbereiten, aber die "aha ja genauso ist es" bzw. "ach so, so ist das vielleicht für ihn gewesen" Erfahrungen mit den Büchern waren sehr wichtig für mich.
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