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Alt 08.07.2005, 18:08
Gast
 
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Standard egoist und feigling

Liebe Julia, liebe Hemi, liebe Saphir,
ich danke euch ganz herzlich für eure lieben Worte. Ich hatte richtig Bammel, wieder ins Forum zu sehen, weil mir mein eigenes Posting so einen Tag später beinahe peinlich ist.
Liebe Julia, mein Bruder ist derzeit auf einem Lehrgang zum Sicherheitsfachmann in München, was noch bis zum August dauert. Er sieht das als Chance, wieder Arbeit zu finden, nachdem ihm letztes Jahr gekündigt wurde (er ist 46). Er sit nur am Wochenende da, seine Frau kümmert sich derweil um die zwei Kinder und um ihre eigenen Eltern (ihr Vater hat fortgeschrittenen Blasenkrebs und mehrere Schlaganfälle hinter sich, ihre Mutter hat schwere Rückenprobleme und kann kaum gehen). Wenn mein Bruder also mal zuhause ist, hat er da auch schon genug um die Ohren. Außerdem ist er, finde ich, der Typ Mensch, der erst etwas mitbekommt, wenn man ihn quasi schriftlich darauf hinweist. Den Zustand meines Vaters sieht er irgendwie immer nur im gegenwärtigen Moment. Groß nach vorne blicken und sich sorgen? Eher nicht, da kann er wohl gut verdrängen. Kurz: keine Hilfe zu erwarten.
Mein Vater erhält erst seit dieser Woche Schmerzmittel für die Schmerzen, die er am Lendenwirbel zeitweise hat. Was für welche das sind, weiß ich noch nicht.
Meine Mutter ist längst Pflegestufe 3. Im Augenblick schafft er es, soweit ich das beurteilen kann, noch recht gut, sie zu betreuen, zumal sie viel selbst mit einer Hand erledigen kann und geistig deutlich fitter ist als er. Hätte ich da Bedenken, hätte ich längst interveniert. Aber im Moment ist es schon schwer genug, sie dazu zu überreden, die Putzhilfe öfter als alle drei Wochen kommen zu lassen.
Mein Vater will unbedingt im August für zwei Wochen mit meiner Mutter wieder nach Österreich fahren, selbst fahren, wohl gemerkt. Sie fahren da seit fast 30 Jahren hin. Sie will wohl nicht so recht, aber er hat mir erklärt, wenn der Urlaub nicht mehr drin wäre, könne man sich ja gleich einäschern lassen.
Für ihn ist es schwer genug, sich damit abzufinden, dass er nicht mehr alles kann. Wir kriegen ihn ja nicht einmal dazu, sich ein Hörgerät geben zu lassen. Er sagt, es reicht ihm, dass er falsche Zähne hat, seit der OP inkontinent ist und die Glatze hat.
Ich kriege ihn auch nicht dazu, sich über ein mögliches Pflegeheim in Nürnberg zu informieren. Ich habe meine Eltern zwar dazu bekommen, sich für ein kölner Pflegeheim bei uns um die Ecke vormerken zu lassen, sodass sie notfalls schnell dort einen Platz hätten, aber ich habe den starken Verdacht, dass sie gar nicht aus Nürnberg weg gehen würden. Schließlich ist der Rest der Verwandtschaft und die Enkelkinder dann quasi aus der Welt.
Wie du siehst, liebe Julia, das mit der Hilfe, die man in Anspruch nehmen könnte, ist nicht so einfach.

Liebe Hemi, meine Eltern beide zu mir zu nehmen ist aus mehreren Gründen nicht machbar. Wie du siehst, sind sie im Moment nicht einmal bereit, den Gedanken in Erwägung zu ziehen, aus ihrer Wohnung auszuziehen.
Ich weiß übrigens sehr wohl, was mein Vater in all den Jahren geleistet hat. Das zu wissen, macht mein schlechtes Gewissen nicht weniger, schließlich habe ich mich ja gewissermaßen nach Köln verdrückt, statt in Nürnberg zu bleiben und mich ebenfalls zu kümmern. Nur wäre ich andernfalls nicht mehr ich selbst in meinem Leben und mit meinem Mann wäre ich wohl auch kaum noch zusammen. Ich tauge nicht zur Selbstaufgabe, das ist ja auch ein Grund für meine SChuldgefühle.

Liebe Saphir, ich danke dir ganz herzlich für deine Worte.

Eure Empathie lässt mich glauben, dass ich nicht total durchgeknallt bin. Vielleicht steckt da noch in meinem Hinterkopf, dass ich als Kind von Verwandten oft den Vorwurf hörte, ich sei ja Papas Liebling und dadurch ein total verzogenes, selbstsüchtiges Gör. Wer will schon so gesehen werden? Vielleicht werde ich langsam etwas schizophren: Ich will nicht als Egoist gesehen werden, aber ich schreibe hier nur über mich, mich, mich und seh mir dabei über die Schulter und finde mich ätzend und immer noch schreibe ich über mich...

Mein Mann versucht übrigens schon, mich zu unterstützen, allerdings in der ARt: Was immer du entscheidest, ich stehe hinter dir, aber die Entscheidung kann ich dir und deinen Eltern nicht abnehmen. Außerdem ist er eher der analytische Typ: Da ist ein Problem, also suchen wir eine Lösung. So ein Denken schaffe ich nicht, da kommen mir zu viele Gefühle dazwischen.

Ich merke schon: Ich stecke fest. Ich kann die Situation nicht ändern, und meinen Kopf ausschalten kann ich auch nicht, geschweige denn meine Gefühle.
Und nach all dem, was ich von euch gelesen habe, sage ich es nicht gern, aber mir graut trotzdem vor dem Wochenende.
Ich danke euch nochmal ganz herzlich für eure langen Beiträge und dafür, dass ihr diese Romane von mir lest. Es haut mich um, dass es jemanden tatsächlich interessiert, das zu lesen.
Ganz liebe Grüße,
Danke!
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