Thema: Mein Vater
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Alt 05.10.2008, 15:01
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Leuchtfeuer Leuchtfeuer ist offline
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Standard Mein Vater

Hallo,

ich bin schon seit einiger Zeit ein stiller Mitleser in diesem Forum und denke, das ist ein guter Platz, sich mit andern Menschen, die dasselbe erlebt haben, austauschen zu können.

Unsere Geschichte begann im April diesen Jahres. Mein Vater (77) hatte eine hartnäckige Bronchitis und als in diesem Zusammenhang ein Lymphknoten deutlich sichtbar dick wurde, folgte die Einweisung ins Krankenhaus. Diganose: Lymphom... Das hat uns den Boden unter den Füßen weggerissen. Wer denkt an Krebs, wenn er eine Bronchitis hat???

Aber Lymphome sind ja behandelbar. Natürlich ist so was immer eine sehr schwere Erkrankung und nie kann ein Erfolg garantiert werden. Jeder beginnt seine eigene Statistik... Aber es bestand auch Hoffnung, die dürfe man nicht aufgeben. Und daran hängten wir alles. Mein Vater war zuversichtlich, wieder "gesund" zu werden und so begann er seine Chemo. Anfangs schien alles gut zu laufen. Der dicke Lymphknoten schwand, die Nebenwirkungen blieben halbwegs erträglich, die Ärzte waren mit dem Verlauf der Behandlung zufrieden und wir schöpften daraus neuen Mut.

Anfang Juli (nach der 4. Chemo) kam ein Rückschlag. Mein Vater musste mit schlechten Blutwerten und einem Infekt, der sich zur Lungenentzündung auswuchs, ins Krankenhaus. Er wurde innerhalb kurzer Zeit immer schwächer, die Bluttransfusionen und verschiedene Antibiotika schlugen nicht an. Ich wusste ja seit Beginn um das Damoklesschwert, das über ihm schwebte, aber die Angst, die sich nun breit machte, kann ich gar nicht beschreiben.

"Loslassen"... ja das sagt sich immer so... auch mir wurde klar, dass ich ihn gehen lassen musste. Natürlich habe ich das erkannt, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber ich konnte nicht, ich wollte nicht. NEIN-NEIN-NEIN! Er sollte leben, er sollte gesund werden, ich wollte ihn behalten! Ich habe einfach nicht aufgehört, an ihn zu glauben. Ich hatte doch nur noch ihn (wir haben sonst keine Familie mehr). Ich wollte ihn noch mehr unterstützen und Mut machen - aber ich habe es nicht verhindern können... Die Hoffnung stirbt zuletzt - wie wahr.

Mein Papa hat tapfer gekämpft. Ich bin sicher, auch für mich. Durch seine Krankheit sind wir sehr zusammengewachsen. Er wollte mich nicht allein lassen, aber er konnte einfach nicht mehr, das weiß ich jetzt. In seiner letzten Nacht habe ich ihm, während er schlief, zugeflüstert, dass er gehen dürfe und gleichzeitig inbrünstig gehofft, dass er mich nicht gehört hat und mich nicht beim Wort nehmen würde. Letzten Endes war es tatsächlich so, dass er erst starb, als ich am Tag darauf für ein paar Stunden (hin- und hergerissen zwischen "ich kann doch jetzt nicht weg" und "ich bin so müde") nach Hause fuhr, um mich auszuruhen. Ich verabschiedete mich am Vormittag mit den Worten: "Ich fahre mal nach Hause und ruhe mich etwas aus, aber ich komme am Nachmittag wieder. Also tschüß Papa, bis später." Mein Vater konnte schon seit dem Vortag nicht mehr reden und antworten, aber ich bin mir ganz sicher, dass er mich da verstanden hatte, denn er hat mich noch mal angesehen. Und ich bin ehrlich davon ausgegangen, dass ich ihn am Nachmittag wiedersehen würde.

Wenn mir zwischenzeitlich im Krankenhaus nicht ein paar ganz liebe Freunde und ein Seelsorger zur Seite gestanden hätten, ich hätte nicht gewusst, wie ich das alles hätte aushalten sollen. Es war alles zu groß und zu viel für uns allein geworden. Mein Freundeskreis ist inzwischen neu gemischt...

Na ja, während ich also dann zuhause war, ist mein Vater gestorben Ich glaube jetzt, er wollte mir das nicht antun, während ich an seinem Bett saß. Er muss gewusst haben, welch fürchterliche Angst ich hatte. Ich habe nicht gewusst, dass er mich so sehr lieb hatte, dass er sogar mit seinem Sterben wartete, bis ich weg war. Aber er hat sehr viel Liebe hier gelassen. Während ich vorher noch davon ausging, dass dieses Band, das Menschen miteinander verbindet, im Begriff war zu zerfasern und am Ende völlig zu zerreißen, spüre ich jetzt ein viel stabileres solides Stahlseil, das mich mit meinem Vater verbindet. Es gibt viele Dinge, die nicht zu erklären sind... die wir mit unseren Augen nicht erkennen können, weil wir als Menschen Augen haben, die nur die Dinge sehen, die für unser Leben auf diesem Planeten wichtig sind. Vielleicht ist ja so.... wär jedenfalls sehr schön.

Uff, nun ist das aber ein langer Text geworden und wahrscheinlich auch etwas konfus verfasst. Das Schreiben hat gut getan und ich danke Euch für's Lesen.
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