Einzelnen Beitrag anzeigen
  #20  
Alt 17.07.2005, 13:18
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard kämpfen.....??

Hallo,
ich mag den Begriff "Kämpfen" auch nicht. Ich habe festgestellt, dass dies auch oft ein Begriff ist, der von Nichtbetroffenen gebraucht wird, es kommt mir fast wie eine Floskel vor: "Du musst kämpfen". Zuletzt habe ich immer nachgefragt: "Womit denn? Gegen wen denn? Gegen was? Was soll ich denn tun? Womit kann ich kämpfen?".

Kämpfen kann ich um vieles im Leben, d.h. meistens, um etwas zu erreichen. Will ich einen neuen Job, muss ich mich gut "verkaufen" können. Dann brauche ich Kraft, Geduld, Geschick, Witz und zum Teil auch etwas Bauernschläue, um etwas zu erreichen. Sich zusammenreissen, Disziplin zeigen, jeden Tag neu den Arsch hochkriegen gehört auch dazu. Eben dieses: "Augen zu und durch", und nix anmerken lassen, und immer lächeln. Und morgen werde ich noch härter arbeiten, sagte schon das Pferd in Orwells "Farm der Tiere".Denn es interessiert auch im Alltag fast niemanden, wie ich das alles schaffe, auch noch alleinerziehend, mit Kind und jeder Menge finanzieller Sorgen. Das einzige was ich oft kriege an Hilfe ist der Ratschlag: "Du musst kämpfen!".

Nach meinem Cervix-Ca mit Chemo und Bestrahlung 2003 habe ich brav alles mitgemacht, was man von mir erwartet hat. Ich bin jeden Tag zur Bestrahlung, obwohl mein Körper sich langsam auflöste nach meinem Empfinden. Obwohl ich stärkste Schmerzen hatte und kurz vor Schluss schon "aufgeben" wollte, ich habe weiter "gekämpft". Kampf hiess in dieser Phase: Disziplin und nicht aufgeben, immer weiter voran und sich zwingen, positv zu denken. So gesehen habe ich gekämpft und - vorerst auch - "gewonnen"..Damals war diese Art von Kampf in Ordnung.

Danmn habe ich ganz schnell wieder gearbeitet. Einige Freunde waren plötzlich verschwunden, auch der Bruder. Die Kollegen taten so, als wenn ich nie weg war. Kaum Fragen, eben alles "normal". Und ich habe auch so getan und war anfangs sogar froh darum. Alls Krebskranke hast Du entweder klinisch steril irgendwo zu sterben und die LLeute nicht zu belästigen, oder Du tauchst nach einer gewissen Zeit wieder auf und redest nicht drüber! Bös gesagt. Alles andere stiftet Verwirrung!

Aber erst JETZT nach 2 Jahren lerne ich, dass meine Disziplin auch Nachteile hatte und hat. Jetzt lerne ich erst, nachdem der rein körperliche Kampf vorbei ist, dass ich psychisch etwas ändern muss. Eben NICHT immer diszipliniert sein, nicht immer 100%ig perfekt sein. Auch mal auf meine Bedürfgnisse horchen. Mal fünfe gerade sein lassen. Auch mal weinen und vor allem: Lernen, auch mal "Nein" zu sagen. Das ist wohl das wichtigste. Und auch lernen, sich mal Hilfe zu erbeten!Das war am Schwersten für mich.

Das jetzt hat eigentlich so gar nichts mit "kämpfen" zu tun, eher wieder eher mit "hängenlassen" und dennoch denke ich, dass dies der einzig vernünftige Weg für mich ist, weiterzumachen. Das hätte ich schon länst tun sollen: Nicht mehr alles so ernst nehmen, mich nicht mehr überall so reinhäängen, kurz: Aufhören, mir und anderen beweisen zu wollen, dass ich "ganz die Alte" bin!

Wenn also "Kampf" bedeutet, immer weiter wie bisher zu leben und alles mit Sellbstbeherrschung und Disziplin und aufgesetzter positiver Einstellung fortzuführen, ohne in die Tiefe zu geben, lehne ich diese Art von "Kampf" ab.

Wenn "Kampf" aber bedeutet, sich mit dem bisherigen Leben einmal intensiv auseinanderzusetzen, alte Verhaltensmuster zu hinterfragen und Gefühle und Körpersignale einfach mehr zu beachten, dabei auch einmal ruhig traurig zu sein, wenn man es einfach braucht, oder sich mal "hängenlassen" und nichts "leisten" wollen, dann kann ich sagen: Dafür will ich "kämpfen".
Und meine Disziplin benutze ich heute dazu, einmal wöchentlich meinen Hintern hochzukriegen und zur Psyachotherapie zu gehen, um wieder zu lernen, was eigentlich wichtig ist.

Tinename@domain.dename@domain.de
Mit Zitat antworten