Thema: Es tut so weh
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Alt 14.06.2005, 18:53
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Standard Es tut so weh

Liebe Kerstin,

da Du Dich so allein und traurig fühlst, setz ich mich zu Dir, halt Deine Hand.
Ich habe auch an anderer Stelle über Deinen Kummer gelesen.

Du schreibst es tut Dir so leid für Deinen Vater. Das sollte es nicht, Kerstin. Ich kann mir vorstellen, daß in einer anderen Welt, sollte es sie geben, in anderen Dimensionen gedacht, gefühlt, bewertet wird. Ich will und kann mir nicht denken, daß wir, die wir hier leben, immer weiter, bis über den Tod hinaus einen Einfluß haben.

Bei allem, was ich bisher über Dich und Deine Angehörigen gelesen habe, tust eigentlich Du mir am meisten leid. Du hast so willig aus allem gelernt.Du bist weitergegangen im Lebensweg. Die anderen konnten Dir nicht folgen. Oder wollten es nicht.

Ich verstehe wenn Dir bang ums Herz ist beim Gedanken an Deine Mutter und wie das alles einmal sein wird. Ich glaube es ist gut die eigene Tür immer offen zu lassen und an andere hie und da anzuklopfen. Vielleicht wird es wieder gut, vielleicht nicht. Vielleicht bringt Dir die Nähe zur zweiten Frau Deines Vaters eine Beziehung, die mit Deiner Mutter nicht möglich ist. Vielleicht gilt das auch für Deine Kinder.

Schade ist es allemal. Da hast Du völlig recht. Schade, daß diese Verhärtungen auch angesichts von Tod beibehalten werden und auch über den Tod hinaus.

Ich weiß nicht ob es möglich ist, aber vielleicht geht es, daß Du Dich gefühlsmäßig etwas herausschälst. Damit meine ich, daß Du zufrieden sein kannst was Dich, Deinen Vater, dessen Frau betrifft. Die Beziehung Deiner Familie mit Deinem Vater, die kannst Du nicht beeinflussen, das ist deren Geschichte.

Beispiele, vergleichende Geschichten bringen nicht viel, aber ich will Dir doch etwas von mir erzählen: in der Familie meiner Mutter gab es vor mehr als 30 Jahren eine große Aufregung um eine kleine Sache. Es bildeten sich zwei Parteien. Meine Mutter nahm als einzige nach einem Jahr wieder mit allen Kontakt auf, worüber ich heute noch froh bin, denn ich führe wiederum als einzige diesen Kontakt mit all meinen Tanten, Onkeln,Cousinen und Cousins fort. Meine Meinung über die Beteiligten war die meiner Mama. Nach Mamas Tod, beim Aufräumen las ich die Briefe der anderen. Zu meiner Verblüffung verstand ich die Argumente jedes einzelnen, ich fand, jeder hatte recht.

Ein ähnliches Erlebnis hatte ich nach Papas Tod.

Während der Erkrankung meiner Mama hatte ich große Probleme mit dem Verhalten der Freundin meines Bruders. Auch mit ihm, weil er das nicht nur hinnahm, sondern sogar verteidigte. Dieser Groll, diese Wut, diese Enttäuschung haben mich fast mehr Kraft gekostet als der Kummer, die Sorge und die Angst um meine Mama.
Wer weiß, vielleicht hat mich das meine Gallenblase gekostet. Selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, im Frühstückszimmer des Krankenhauses sprachen Patienten über Vermutungen warum sie die ihre verloren hatten.
Inzwischen ist die Freundin die Frau meines Bruders geworden. Kurz nach Papas Tod wurde er mit der Diagnose Hodenkrebs konfrontiert, ein paar Monate vorher war er Vater geworden. Da bin ich fast umgekippt. Es geht ihm inzwischen gut, vor einem halben Jahr ist er wieder Papa geworden. Ich bin nun Tante von zwei Neffen, denen ich, in Vertretung meiner Mama, auch Oma sein will. Das Verhältnis zu der Familie meines Bruders ist gut. Noch immer bekomme ich einen trockenen Mund, ein schnell schlagendes Herz wenn ich an ihr Verhalten denke, aber ich merke die Wut und die Enttäuschung wird linder.

Wenn ich es,mit dem zeitlichen Abstand seit Mamas Tod recht bedenke, dann war es eigentlich so, daß Mama von ihr enttäuscht war, daß zwischen den beiden etwas stand. Ich hatte keine Probleme mit ihr, weil ich mir nichts von ihr erwaretete.
Ich bekam dann die Schwierigkeiten, meine Gedanken kreisten zuviel um dieses Thema, weil es mir für Mama nicht nur leid, sondern richtig weh tat.

Nach wie vor habe ich Stunden, auch Tage, in denen es mir schwer fällt das alles auseinander zu klauben, nicht in Groll zurückzufallen. Aber es gelingt mir immer besser. In diesem Sommer wird meine Schwägerin 40. Schon lange bewundert sie einen Teppich in meiner Wohnung, den ich zu meinem 40igsten Geburtstag von meiner Mama bekommen habe. Vor ein paar Wochen hab ich zu ihr gesagt, du weißt ja, daß ich viel übrig hab für Symbolik.dir gefällt der Teppich, du wirst 40, ich bekam ihn von meiner Mama mit 40, ich schenk ihn dir, vielleicht kann mit diesem Geschenk etwas in Bewegung gebracht werden, was zu Lebzeiten meiner Mama nicht möglich war. Sie wurde rot und umarmte mich. Weißt Du, was ich mir als nächstes wünsche? Ein Ritual mit ihr am Grab meiner Eltern. Ich kann warten.

Ich hoffe das alles kommt nicht als Wirrwarr zu Dir.
Ich umarme Dich
Briele
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