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Alt 19.07.2005, 22:13
Gast
 
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Standard Wie geht ihr damit um?

Lieber Bernd,

es freut mich enorm, dass es jemandem ein gutes Gefühl gibt etwas zu lesen was ich geschrieben habe.

Ich habe schon lange in diesem Thread gelesen und viel darüber nachgedacht. Es gibt völlig gegensätzliche Aussagen dazu ob jemand etwas mit dem Wort kämpfen anfangen kann oder nicht oder ob es ihm hilft wenn Angehörige einen zum Kämpfen auffordern oder ob es nervt. Ich musste oft gegensätzlichen Aussagen zustimmen, beides hat manchmal gestimmt und ich wusste nicht so recht, wie ich nun eigentlich dazu stehe. Und dann, plötzlich, eben, dachte ich, so wird ein Schuh draus.

Eigentlich hatte ich nie das Gefühl gegen den Krebs zu kämpfen. Ich hatte überhaupt nie das Gefühl gegen etwas zu kämpfen. Trotzdem kommt mir vieles wie ein Kampf vor - insbesondere heute, ein Jahr nachdem sie mich aus der Klinik rausgeschmissen haben. Ich glaube das ist, weil ich mit mir kämpfe. Nicht gegen mich, aber mit mir, für mich, um mich. Ich empfinde es als Kampf mir meinen Weg zu suchen.

Diesen Kampf kenne ich aber von früher. Auch vorher war ich oft mit der Frage beschäftigt "läuft eigentlich alles richtig in meinem Leben?" Und diese Frage hat unglaublich viele Facetten. Egoismus z.B. ist ein wichtiger Bestandteil. Wenn ich nur (ausschließlich) den Bildern der Menschen in meiner Umgebung entspreche, habe ich ja im Grunde gar kein eigenes Leben. Andererseits sind andere Menschen um einen herum ja das Großartigste was man haben kann. Und wenn man zu egoistisch ist, will keiner mehr etwas mit einem zu tun haben. Es gilt also, seinen eigenen persönlichen Weg zu finden zwischen zu egoistisch und zu wenig egoistisch. Liebe z.B. ich möchte geliebt werden - natürlich. Es wird mich aber nur jemand lieben, wenn ich selbst Liebe geben kann und die wiederum kann ich - glaube ich - nur dann geben wenn ich mich selbst liebe. Und dazu wiederum muß ich mit mir zu frieden sein, im Reinen sein. Selbstbewusstsein gehört dazu und damit - wieder - Egoismus. Die Gradwanderung finde ich furchtbar schwer.

Im Augenblick merke ich, funktioniert sie nicht. Ich hänge gerade beim Thema Liebe. Ich bemühe mal ein Bild das jeder kennt. In einem dunklen Keller pfeift man gegen die Angst um es sich leichter zu machen. Vielleicht weil man sich dann nicht so alleine fühlt oder weil man das leise Knacken in der Ecke lieber nicht hören will, um zu vermeiden, sich erschrecken zu müssen. In mir fühlt es sich an, als würde ein Teil meines Gehirns konstant vor Angst pfeifen. Und weil es pfeift kann ich das leise Knacken nicht mehr hören. Früher mochte ich mich gerne für meine Eigenschaft die leisen Untertöne wahrzunehmen. In Gesprächen oder einfach nur in Gesichtern. Jetzt höre ich sie nicht mehr und es kotzt mich an. Ich lasse mich weniger ein auf Menschen, komme weniger dicht an sie ran, komme mir egoistisch vor - zu egoistisch. Ich bin etwas zu "autistisch" zu sehr in meiner eigenen Welt.

Früher bin ich manchmal aufgewacht mit einer Idee was ich meiner Liebsten heute gutes tun könnte. Vielleicht ein Geschenk oder etwas sagen oder etwas schreiben oder etwas machen oder vorschlagen. Das passiert nicht mehr. Ich bin immer noch so sehr mit mir beschäftigt, dass es keine Selbstverständlichkeit ist meiner Liebsten eine Freude zu bereiten. Darum kämpfe ich. Inzwischen manchmal schon wütend, ungeduldig und verzweifelt. Es macht mich so unglaublich wütend dass diese tolle Frau die ganze Zeit über hinter mir gestanden hat, die härteste Zeit ihres Lebens, und ich bin ein Jahr danach nicht mal in der Lage ihr eine kleine Freude zu machen. Ich kämpfe darum mit mir ins Reine zu kommen. Ich kämpfe um mein Leben. Jeden Tag. Nur für mich ganz persönlich: wenn ich diesen Kampf aufgebe werde ich sterben auch wenn mein Körper 100 Jahre alt wird.

Sorry Bernd, ich bin abgeschweift. Ich wollte Dir zeigen für wie wichtig ich es halte seinen eigenen Weg zu suchen so wie Du es jetzt geschrieben hast. Geh ihn weiter, schau auf Dich, mach Dich zum Mittelpunkt aber verlier Deine Umgebung nicht aus versehen oder im Überschwang aus den Augen.
Sascha
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