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Alt 20.06.2006, 19:17
argy argy ist offline
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Registriert seit: 01.09.2005
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Standard AW: An alle jungen Hinterbliebenen

Hallo ihr alle,

ich bin 25 und "9 Monate danach".

jetzt ist es fast ein Jahr her dass die ganze Geschichte mit meinem Vater anfing, und ich kann nicht mal das schöne Wetter genießen, denn ich muss dauernd daran denken wie letztes Jahr im Juli mein Leben zu einem Trümmerhaufen wurde. An seinem 56. Geburtstag ging es meinem Vater das erste Mal richtig schlecht, er hatte Sprach- und Orientierungsstörungen. Zwei Tage später wussten wir dann, dass es ein Hirntumor war. Zuerst hieß es noch, es sei "nur" ein Hirntumor und keine Metastase, doch nach der OP wussten wir dann, dass es eine Metastase von einem schlimmen Lungenkrebs war. Dieser war nicht operabel und die Ärzte sprachen von höchstens vier Jahren, was meine Ma mir allerdings erst nach seinem Tod erzählte. Er bekam jedenfalls noch zwei Monate lang Bestrahlung, was er halbwegs gut vertrug, auch wenn ihm die erzwungene Ruhe sehr zu schaffen machte und am Familienfrieden nagte. Ein paar Tage bevor dann die erste Chemo geplant war, hatte er einen totalen Zusammenbruch mit Orientierungslosigkeit etc., kam ins Krankenhaus, am selben Abend noch auf die Intensivstation und fiel ins Koma, aus dem er nicht mehr aufwachte. Eine Woche später starb er, meine Mutter war bei ihm, ich konnte es nicht ertragen und war mit meiner besten Freundin unterwegs, die extra ihren Urlaub abgesagt hatte um bei mir zu sein. Bis zur Beerdigung dauerte es noch über eine Woche, es war total schrecklich zu wissen, dass er irgendwo in einem dunklen Kühlraum liegt und noch keinen Ort hat, wo er bleiben kann. Bei der Beerdigung haben so ziemlich alle Leute geheult, nur ich nicht. Danach bin ich mit meiner Freundin einkaufen gefahren um mich abzulenken und kam mir vor wie das Allerletzte.

Am Anfang dachte ich noch, ich könnte das alles ganz gut verarbeiten, doch momentan, über ein halbes Jahr danach, glaube ich daran zu zerbrechen. Ich habe wahnsinnige Angst vor dem Verlassenwerden, streite mich nur noch mit meinem Freund weil mich alles ankotzt und ich einfach keine Kraft mehr habe und keinen Sinn mehr sehe. Meine Mutter war in Kur und meistert ihr Leben inzwischen recht gut, immerhin muss ich mir keine Sorgen mehr um sie machen. Das war auch nicht immer so. Aber ich kriege mein eigenes kleines Leben nicht mehr auf die Kette, klar, nach außen funktioniere ich, gehe brav arbeiten und reiße mir dort den Allerwertesten auf als wäre ich topfit, gehe auch hin und wieder aus und versuche so zu tun als wäre ich gut drauf. Aber nach innen fühle ich mich völlig fremd, habe keinen Bezug mehr zu meinem früheren Ich, werde von Emotionen und Frustanfällen überrannt.

Schlimm genug dass mein Vater sterben musste, warum geht jetzt auch noch mein restliches Leben vor die Hunde ?

Entschuldigt den langen Vortrag.

Liebe Grüße
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