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Alt 11.08.2009, 21:29
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HelmutL HelmutL ist offline
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Registriert seit: 03.03.2007
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Beitrag AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Mapa, hallo Stefans,

GsD. gibt es diese Ärzte mit sozialer Kompetenz. Ich kenne mehrere Beispiele dafür.

Zum ersten mein Schwiegervater. Mehrere Herzinfarkte, Schlaganfälle, Steinstaub-Silikose 100%. Bis einige Monate vor seinem Tod immer lebensbejahend. 35 Jahre ist er immer wieder aufgestanden. Bis es dann auch für ihn so weit war. Das kurz zum Verständnis. Als er dann auf der Intensivstation untersucht und verschiedene Dinge medizinisch abgeklärt waren, kam der leitende Arzt zu uns (wir warteten vor der Tür auf Einlasss, mein Schwiegervater lag da bereits im Koma) und sagte sinngemäss folgendes zu meiner Schwiegermutter: "Wir können versuchen ihren Mann auf Biegen und Brechen solange wie möglich am Leben halten. Ihr Mann wird hier sterben, so oder so. Ich bin Arzt geworden um den Menschen zu helfen, nicht um sie zu quälen. Ich, als Arzt, nehme mir die Freiheit die Kompetenz zu besitzen entscheiden zu können, ab wann eine Behandlung nicht mehr für sondern gegen den Patienten ist. Und genau das ist der Zeitpunkt dem Patienten ein würdiges, friedliches Sterben zu ermöglichen. Wenn sie damit einverstanden sind, werde ich für ihren Mann diesen Zeitpunkt bestimmen."

Meine Frau und ich waren bei einem Onkologen um eine Zweitmeinung einzuholen: "Ich wäge sehr genau ab zwischen Sinn und Unsinn einer Behandlung. In bestimmten Fällen geht es nicht darum, den Krebspatienten mit allem, was uns zur Verfügung steht, möglichst lange am Leben zu erhalten, sondern ihm zu ermöglichen, die ihm verbleibende Zeit mit möglichst hoher Lebensqualität zu verbringen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt ist eben nicht mehr die Quantität sondern die Qualität des Lebens das Kriterium für Entscheidungen. Ich habe den Fall eines jungen Krebspatienten. Ich kann sein Leben vielleicht noch ein Jahr verlängern, nur zu welchen Bedingungen. Ich kann aber auch dafür sorgen, dass er die vielleicht letzten 3 Monate seines Lebens mit einer relativ hohen Lebensqualität erleben darf. Ich werde ihm beides anbieten, ich muss das tun, jedoch das zweite vorschlagen. Ich sage ihnen das, damit sie wirklich verstehen, was ich ihnen, nach meiner Kenntnis ihrer Krankengeschichte und nach meinem persönlichen Eindruck, den ich mir von ihnen machen konnte, jetzt sage: Ich würde ihnen empfehlen, den Behandlungsvorschlag meines Kollegen anzunehmen. Die letztendliche Entscheidung liegt selbstverständlich bei ihnen."

Genau das bestätigte mir in einem privaten Gespräch nach dem Tod meiner Frau auch ihr behandelnder Professor.

Genau dasgleiche tat der Arzt bei meiner Frau auf der Intensivstation. Er entschied, sie ins künstliche Koma zu legen und ihr eine hohe Sauerstoffgabe zu verabreichen. Er wusste sehr genau, was er damit tat: sie würde daraus auf keinen Fall wieder erwachen, er ermöglichte ihr ein friedliches Sterben. Er wusste und erklärte es uns, dass sie sich durch den Sauerstoff selbst vergiftete. Klingt paradox, ist aber so in diesem Fall. Es gab keine andere Möglichkeit mehr ihr Sterben menschlich zu gestalten, in Würde, ohne Qualen.

Ob sie selbst jemals über Suizid nachgedacht hat, weiss ich nicht. Vielleicht ist es jedoch auch eine Art des Suizids, sich in ein Krankenhaus zu begeben, wohlwissend, dass man da lebend nicht mehr herauskommt. Vielleicht mit der begründeten Hoffnung, dann dort die Möglichkeit für ein menschiches Sterben zu haben?

Die Aussagen der Ärzte, die ich hier niedergeschrieben habe, sind natürlich nicht wörtlich so in meiner Erinnerung. Sie treffen aber auf jeden Fall den Sinn des Gesprächs mit ihnen.


alles Liebe

Helmut
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