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Alt 11.05.2003, 22:04
Gast
 
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Standard Hoffnung bei BEIDSEITIGEM Nierenzellkarzinom

Liebe Susanne,
eine schwierige Entscheidung, vor der wir auch gestanden haben. Ich will versuchen, Dir zu erläutern, warum wir die Thermoablation vorgezogen haben.
Generell befürworte ich bei dem Befall EINER Niere immer die radikale OP, sofern der Zustand des Patienten dies möglich macht. Denn wie Du schon gesagt hast, werden hierbei auch die umliegenden Lymphknoten entfernt und pathologisch untersucht, d. h. Du weißt im Nachhinein, ob ein oder mehrere Lymphknoten positiv waren. Im Falle auch nur EINES befallenen Lymphknoten ( auch bei der vorhergegangenen OP der anderen Niere ) gilt die Erkrankung in Medizinerkreisen als nicht mehr heilbar sondern nur noch als palliativ therapierbar, d. h. man kann nur noch versuchen, ein Fortschreiten der Erkrankung (Metastasenbildung oder Rezidivbildung ) solange wie möglich herauszuschieben. Dies wird man aus medizinischer Sicht immer mit einer Immun-Chemo versuchen ( zumindest tun die meisten es ), denn diese Therapie ist immer noch bislang die einzige, die schulmedizisch Erfolge über einen längeren Zeitraum in Studien nachweisen konnte.
Bei einem befallenen Lymphknoten ist die Gefahr der Rezidivbildung ( wie es bei Deiner Mutter gewesen ist ) und die Gefahr von Metastasenbildung nach kurzer Zeit und auch noch nach Jahren weitaus größer als ohne Lymphknotenbefall. Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle auch noch anmerken, daß es Spontanheilungen gibt - ohne Therapie, nur nach Entfernung des Tumors liegt hier die prozentuale Chance bei 1 %.
Die Immun-Chemo kann mit oder ohne Dialyse durchgeführt werden. Sie wird sich in der Dosierung aber IMMER nach den Nierenwerten richten müssen, d. h. bei eingeschränkter Nierenfunktion ( oder auch bei anderen Vorerkrankungen, z. B. Herzbelastung ) wird die Dosis IMMER reduziert werden müssen. Wir haben damals erstmalig in München gehört, daß durch Dialyse das Immunsystem derart geschwächt wird, daß ein Anschlagen der Therapie weitaus geringer ist als ohne Dialyse. Nachdem ich davon zuvor noch nichts gehört hatte, habe ich mich auf die Suche begeben, um zu ergründen, ob das stimmig sein kann. Und in meiner ehemaligen Klinik mit einer großen Dialyseabteilung wurde ich fündig. Tatsache ist, daß die Therapie mit Interferon und Interleukin auf eine Immunantwort des Organismuns angewiesen ist. Genauso wie bei einer Impfung ( nicht nur tumorbezogene Impfung! ). In meiner Klinik hatte man zwar ( in der Dialyseabteilung ) keine Erfahrung mit Interferon / Interleukin, aber man konnte die Aussage bzgl. der geschwächten Immunsystems unter Dialyse bestätigen. Unter der Dialyse wurden und werden hier häufig Patienten prophylaktisch gegen Hepatitis C geimpft. Und man hat festgestellt, daß bei sehr, sehr vielen Patienten die Impfung nicht zum Tragen kommt, also nicht anschlägt! Um wieviel geringer ist dann die Chance einer Immuntherapie??? Wie uns mitgeteilt wurde, sehr viel geringer.
Nun zur Dialyse selbst.
Ich habe in meiner Laufbahn viele Dialysepatienten kennen gelernt und gehe hier jetzt erst mal von einer "normalen" Dialyse aus ( Peritonealdialyse ist eine ganz spezielle Form, auf die ich hier im Moment nicht näher eingehen möchte, weil sie nur bei einem geringen Prozentsatz von Patienten durchgeführt werden kann ).
Dialyse heißt unter anderem: in der Regel 3x wöchentlich an die Maschine für ca. 5 Stunden ohne Vor- und Nachversorgung. Trinkmenge stärkstens reduziert, in der Regel nicht mehr als 700 ml pro Tag ( wobei jede Tasse Kaffee oder Tee 150 ml sind, die getrunken werden ). Essen nach strengen Diätregeln kaliumarm ( die meisten Obstsorten und Nüsse z. B. entfallen damit gänzlich ). Und nicht zu vergessen ( für meine Begriffe ein sehr wichtiger Faktor ) : ein Leben in Abhängigkeit von einer Maschine!
Alles in allem bedeutet die Dialyse für meine Begriffe neben der Möglichkeit einer nicht anschlagenden Immun-Chemo eine extreme Lebeseinschränkung, mit der nicht jeder zurecht kommt. Und sie ist nie wieder rückgängig zu machen!
Sollten im Bauchraum Deiner Mutter nach einer evtl. Thermoablation auch der Nebenniere Lymphknoten positiv werden ( sich also unter einem MRT oder CT als auffällig vergrößert zeigen ) hat man immer noch die Möglichkeit der OP. Aber einmal Dialyse wegen vollständig ausgefallener Nierenleistung nach Nephrektomie beidseits heißt lebenslang Dialyse, lebenlange Einschränkungen und für viele Menschen auch lebenslange Verringerung der Lebensqualität.
Natürlich hat man nach einer OP mehr Klarheit bezüglich der Lymphknoten. Bei Jürgen war z. B. bei der linksseitigen Nephrektomie EIN Lymphknoten positiv. Damit hatte die rechte Niere mit ihren fraglichen Lymphknoten eigentlich nur noch statistischen Wert und Jürgen ist nach der OP in die "Schublade" "unheilbar - palliativ" gefallen. Es ist meines Erachtens nämlich egal ob EIN Lymphknoten befallen ist oder drei, streuen kann EINER oder auch drei und im Gesamtergebnis ändert sich da eigentlich nichts. Wichtig war, daß die Haupttumormasse entfernt war, der Rest mußte und muß von der Immun-Chemo geschafft werden!
Bzgl. der jetzigen Nierenfunktion Deiner Mutter kann natürlich niemand sagen, wie lange sie so erhalten bleibt. Meines Erachtens dürfte sie aber nicht sinken, wenn man die Immun-Chemo dementsprechend anpasst. Jürgens Niere erholt sich nach der Immun-Chemo ( speziell nach dem Interleukin, denn das "haut" bei ihm immer rein )in ca. 24 Stunden. Dann wird jedes Mal die Ausscheidung wieder gut.
Letztendlich verzichtet Ihr bei einer Thermoablation der Nebenniere auf die Entfernung der Lymphknoten, habt dafür dann aber die größere Wahrscheinlichkeit, daß die Immun-Chemo greift. Ist ein Lymphknoten positiv und Ihr könnt nach einer Thermoablation der Nebenniere aus welchen Gründen auch immer keine Immun-Chemo machen, sind und bleiben evtl. Krebszellen im Umlauf. Und die sind da, ob der Lyphknoten nun raus ist oder nicht. Sollte aus welchen Gründen auch immer keine Immun-Chemo gemacht werden können, egal ob nach einer OP oder nach einer Ablation, muß man nach einer anderen Methode suchen, um das Immunsystem zu stärken. Dies könnte z. B. vielleicht die Impfung mit dendritischen Zellen sein, oder z. B. auch die Mistel aus der Homöopathie. Aber ohne OP bleibt Deiner Mutter wenigstens noch eines: ein Stück mehr Lebensqualität.
Ich weiß, wie schwer die Entscheidung ist, vor der Ihr steht. Mir ging es damals nicht anders. Ich weiß heute, daß es für Jürgen die richtige Entscheidung war, denn ich glaube nicht, daß er sich hätte mit der Dialyse anfreunden können. Ich befürchte, daß die Dialyse bei ihm mehr kaputt gemacht hätte, als vielleicht ein weiterer befallener Lymphknoten hätte machen können. Und wie hat er letztens irgendwann noch so schön gesagt: "weißt Du, wenn heute meine Niere auf der Strecke bleibt, oder ich müßte heute noch mal operiert werden und würde meine Niere verlieren, dann hätte ich aber noch ein 3/4 Jahr mit meiner Niere ohne Dialyse gelebt und diese Zeit kann mir niemand nehmen".
Ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig weiter helfen. Du kannst mich auch ruhig anrufen unter der Dir bekannten Telefonnummer. Ich weiß sehr genau, wie man hin und her geworfen wird bei dieser schweren Entscheidung, auch als Angehörige. Aber so schlimm wie es ist, die endgültige Entscheidung wird Deine Mutter treffen müssen. Jürgen wollte sich damals übrigens unbedingt eine Dialysestation in einem Dialysezentrum ansehen. Vielleicht möchte Deine Mutter das auch und Du kannst versuchen, ihr diese Einsicht zu bieten?
Ich hoffe, daß Ihr die für EUCH richtige Entscheidung trefft. Du, liebe Susanne, wirst Dich im Nachhinein, egal wie die Entscheidung Deiner Mutter ausfällt, noch häufig fragen, ob es die richtige Entscheidung war. Aber wenn Deine Mutter sich klar entscheidet, ist es die richtige gewesen. Glaub mir das, auch wenn es schwer fällt.
Liebe Grüße, viel Kraft ( und ruf mich ruhig an, wenn es brennt )und auch liebe Grüße an Deine Mutter,
Ulrike




Liebe Susanne,
ich habe einfach das dringende Bedürfnis, Dir und Deiner Mutter aus der Sicht der betroffenen "Restniere" etwas zu sagen. Laßt Euch von "nur noch palliativ zu behandeln etc.".... nicht erschrecken. Das ist wahnsinnig viel. Auch ich stand im vorigen Jahr vor dieser Entscheidung. Hilflos, mit viel, viel Angst. Irgendeiner mußte mir doch sagen, was ich tun soll. Wofür ich mich entscheiden soll. Ulrike hat mir geraten, doch mal wieder meinen Körper zu fragen, was der denn dazu meint. Das hat in anderen Fällen früher doch auch schon mal geholfen. Mein Körper wollte nicht, daß ich an die Dialyse komme. Auch wenn mein Verstand 10 Dinge dagegen hatte: Das war mein Gefühl, aus meinem Bauch heraus. Da war es mir irgendwann egal, wieviel Risiko ich damit oder dortmit hatte, mit meinem Weg hatte ich auch Risiken. Aber ICH konnte damit leben. Dann haben wir gehört, dass Dialysepatienten weitaus weniger Chancen haben (sollen), die Immun-Chemo erfolgreich zu erleben. Da habe ich dann gedacht, siehst Du, dann war Deine Entscheidung gegen die momentane OP doch richtig. Und irgendein Urologe hatte mal gesagt: Operieren können wir immer noch. Ich wäre jetzt seit fast einem 3/4 Jahr an der Dialyse. Der Preis? Ich wüßte genau, wieviel befallene Lymphknoten ich gehabt hätte. Jetzt lebe ich mit dieser Ungewißheit. Ich will damit sagen, es gibt immer ein pro und ein kontra.
Vielleich kann Deine Mutter "Ihren Bauch" fragen, und ich hoffe, ihr Körper gibt ihr Antwort. (und dann ganz schnell zur Tat schreiten, bevor die Zweifel kommen, ob oder ob nicht, oder doch ja oder doch nein.............)
Grüße Deine Mutter von mir. Ich denke an sie. Ich fühle mit ihr. Vor allem ihre Angst, ihre Hilflosigkeit kann ich nachvollziehen und fühlen. Helfen kann ich ihr nicht. Ich habe keinerlei medizinischen Ratschlag. Außer, daß ich an Euch denken kann.
Liebe Grüße,
Jürgen
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