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Alt 29.04.2009, 21:09
Schneekugel Schneekugel ist offline
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Standard AW: Papa hat Flügel bekommen...

Liebe Dani,

wie lieb, dass Du an mich denkst

Ja es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich geschrieben habe. Ich könnte sagen, dass ich keine Zeit hatte. Das wäre aber gelogen. Klar...es gab immer noch viel zu tun, aber ein paar Minuten hätte ich opfern können. Das Problem war, dass ich die letzten Tage alles von mir geschoben habe. Selbst hier zu schreiben hat mich überfordert. Ich war einfach überanstrengt ohne wirklichen Grund. Es geht halt doch irgendwann mal auf die Psyche mit so einem Verlust zurecht zu kommen. Heute sind es ganz genau 4 Wochen. Unfassbar. Es ist einen Monat her, dass ich meinen Papa verloren habe. Noch immer kommt es mir unwirklich vor. Gleich heute nach dem Aufwachen um 5 Uhr wurde mir klar: heute ist es ein Monat. Und schon sind die Bilder mir in Einzelheiten durch den Kopf geschwirrt. Wie er da so vor dem Bett gelegen haben muss. Vielleicht stundenlang ohne Hilfe. Wie er im Krankenwagen wohl gelegen hat (ich war ja nicht dabei). Wie er möglicherweise noch mal aufs Haus geblickt hat und vielleicht wusste, dass es ein Abschied für immer ist. Ich erinnere mich an die vollen Straßen, die mich dran gehindert haben schnell zu Papa zu kommen. Daran, wie ich panisch an der Info gefragt habe, wie ich zur Intensivstation komme. Wie mein Herz mir bis zum Hals geschlagen hat im Aufzug. Wie die Aufzugtür mir wie ein Tor zur Hölle vorkam. Wie ich an der Intensiv geklingelt habe und von einer jungen Ärztin abgeholt wurde. Wie sie mich fragte:"Wie geht es Ihnen?" Wie sie die Tür zu Papas Zimmer öffnete. Wie ich mit der Übertretung der Türschwelle eine Grenze zwischen Eile, Hektik, Ungewissheit und wortwörtlich himmlischer Ruhe betrat. Hinter dieser Tür gab es keine Hektik mehr. Nur noch Stille. Mama, die ohne Worte Papas Hand hielt. In dem Moment dachte ich noch, dass Papa vielleicht noch lebt. Aber man sagte mir: Eigentlich nicht mehr! Nur noch Hirnreflexe!" Obwohl ich vor 8:00 da war, stand aber später auf dem Totenschein 08:07. Kann mir das jemand erklären? War ich nun dabei als er starb oder nicht?
Ich erinnere mich an seine gelbliche Haut, einen piependen Monitor, wie ich Mamas Erleichterung spürte. Es war vorbei. Alles aus und vorbei. Fast auf den Tag genau 8 Monate zwischen Biopsie und Tod. Ich wusste von Anfang an, dass die Prognose schlecht ist, aber dass er nicht mal ein Jahr schafft...damit hätte ich nicht gerechnet.
Ich komme immer noch schwer mit der Ruhe zurecht. 8 Monate diese ständigen Fragen: Wie geht es weiter? Wie geht es ihm? Wie lange hat er noch? Wird er Weihnachten 2009 noch erleben? Wird Ostern 2009 sein letztes? Wird er je wieder essen? Was bringt das nächste CT-Ergebnis? Wann kommt der nächste Rückschlag? Hat er vielleicht doch schon Fernmetastasen?
Das alles waren Fragen, die ich mir 1000x am Tag stellte und von einer Sekunde auf die nächste ist alles vorbei. Man spürt einerseits diese ungeheure Erleichterung, weil man keine Angst mehr haben muss und andererseits wurde die schlimme Angst durch Trauer ersetzt. Man wartet irgendwie immer noch auf Neuigkeiten und es wird wohl noch ewig dauern zu begreifen, dass es nichts neues mehr geben wird. Er hat es tatsächlich nicht gepackt. Die Wahrscheinlichkeit diese Sorte Krebs zu bekommen, war schon sehr gering. Warum musste dieser scheiß Tumor auch noch so extrem schnell wiederkommen? Frühprogression hieß es damals lapidar...und war sein Todesurteil. Wie habe ich mich an der Statistik festgehalten? Mir immer wieder gesagt, dass es Menschen gibt, die auch länger leben. Doch ich wusste auch, dass sich der Durchschnitt nicht nur aus den Menschen zusammensetzt, die länger leben, sondern auch aus denen die kürzer leben. Leider hat Papa dazugehört. Er war immer so ein fitter Mann. Immer gesund und dann sowas. Immer wieder die Frage nach dem Warum und keine Antworten. Wie bei allen anderen hier im Forum. Wie kann ich nur damit leben, dass ich ihn NIE WIEDER sehen werde? Wenn doch nur einer von uns wüsste, ob wir uns nach dem Tod alle wiedersehen. Papa weiß es jetzt...
Die Beerdigung war schön.
Wir hatten einen freien Redner, da Papa aus der Kirche ausgetreten ist und ich muss sagen, dass er toll geredet hat. Es war auch keine direkte Rede, eher eine Ansprache an uns und auch an Papa. Er hat es sogar so toll gemacht, dass ich zwischendurch schmunzeln musste. Ich hatte vorher panische Angst, eben WEIL ich wusste, dass so ein Redner es persönlicher macht, als ein Pfarrer. Ich dachte immer je unpersönlicher, desto erträglicher. Doch ich muss meine Meinung revidieren. Es war einfach nur würdig und das Weinen war nicht schlimm, sondern lösend und befreiend. Und vor Allem musste ich nicht durchgehend weinen. Da wir alles so individuell wie möglich machen wollten, haben wir uns gegen Orgelmusik und für CD´s entschieden. Wer mag schon Trauerorgelmusik? Niemand! Glaube ich zumindest. Ich würde es mir für meine Trauerfeier jedenfalls nicht wünschen. Für den Beginn der Trauerfeier haben wir uns eine instrumentale Panflötenversion von Let it be und Halleluja aus Shrek ausgesucht ( http://www.youtube.com/watch?v=xR0DKOGco_o ). Am Ende haben wir uns für „Zo Fooss noh Kölle“ entschieden ( http://www.youtube.com/watch?v=ECZ7-...om=PL&index=18 ). Zum letzten Lied haben wir dann die Trauerhalle verlassen. Ich und Mama Hand in Hand vorne weg. Mama war total durch den Wind und hat sich direkt ein paar Meter vezogen und mit Trauergästen gequatscht. Dabei gab uns der Redner ein Zeichen, dass nun alle anderen aus der Halle sind und wir losgehen könnten Richtung Grab. Mama -total verpeilt- hat es nicht mitbekommen und ich wollte nicht rufen. Wäre ja etwas unpassend gewesen. Also bin ich mit meinem Freund direkt hinter diesem Bollerwagending (wie heißt das denn?) auf dem die Urne zum Grab gefahren wird, gelaufen. Die Sonne meinte es am 20.April gut mit uns und strahlte direkt auf Papa. Die dunkelblaue Urne leuchtete förmlich und sah irgendwie gar nicht so traurig aus. Und als wir ihr so hinterherliefen sagte ich zu meinem Freund: „Am liebsten würde ich jetzt die Urne schnappen und weglaufen!“ Ich glaube, wäre es erlaubt, hätte ich sie in diesem Moment mit nachhause genommen. Wir machten einen ziemlich großen Bogen von der Trauerhalle zum Grab. Und als ich am Grab ankam und sah, dass das Ende der Schlange fast noch vor der Trauerhalle war, wurde mir erst bewusst WIEVIELE Menschen für Papa gekommen sind. Es müssen so um die 80 gewesen sein. Das hat mich zutiefst berührt und ich hoffe, dass er es gesehen hat. Am Grab sagte der Redner noch ein paar Worte und dann kam der schlimmste Moment. Die Urne wurde ins Grab gelassen. Als ich ein paar Blütenblätter in sein Grab warf, habe ich gleichzeitig noch einen kleinen Kölner-Dom-Anstecker ins Grab geworfen. Ich habe den Gleichen. Papa war so heimatverbunden. Jetzt hat er wenigstens den Dom dabei…und meinen Brief in der Urne. Nachdem ich ihm noch einen Luftkuss zupustete, musste ich mich verabschieden…
Das ist nun schon wieder 1 ½ Wochen her und ich denke irgendwie mit Stolz daran zurück. Diesmal war es für mich kein Scheuklappen-Augen-zu-und-durch-Ereignis, sondern das wofür es gedacht ist: Ein Abschied.
Der heutige Tag war traurig, weil es das erste Monatsjubliäum ist. Zudem hat der Bestatter eben auch noch die Unterlagen gebracht. Dabei lag Papas Ehering mit dem Vermerk: Der Ring wurde dem Toten vom Finger abgenommen! Mama war natürlich fix und fertig. Aber ich denke, es geht jetzt wieder…
Was für ein Tag…
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*1949 +2009
Mein lieber Papa durfte nur 60 Jahre jung werden

31.07.2008: Überweisung ins Krankenhaus
13.08.2008: Diagnose "Nasopharynx CA T4N2M0 G3". Chemo und Bestrahlung!
09.01.2009: 60.und letzter Geburtstag
02.02.2009: Diagnose "Frühprogression" und Einleitung einer Antikörpertherapie.
01.04.2009: Schlaganfall als Nebenwirkung der Antikörpertherapie. Papa hat Flügel bekommen

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