[Tristanne]

Liebe Ute,

ich muß so oft innehalten, wenn ich eure Zwiegespräche lese.

Kennst Du das Gedicht: " Bittgedanke, dir zu Füßen" von Reiner Kunze? Daran mußte ich gerade denken:

Stirb früher als ich, um ein weniges früher
Damit nicht du
den Weg zum Haus
allein zurückgehn mußt

Vielleicht mag es ein klein wenig tröstlich sein, Dir vorzustellen, daß Dein Liebster jetzt Dein Leid ertragen müßte, wenn Du an seiner Stelle vorausgegangen wärst. Und daß Du ihm das jetzt quasi abnehmen kannst, jetzt für ihn leidest.

Meine geliebte, tollste Mutter der Welt ist im August gestorben. Sie war alles für mich, Mutter, Schwester, Vertraute, beste Freundin, alles.
Das ist sicher eine andere Dimension als ohne den geliebten Partner weiter"leben" zu müssen, weil man immer noch sagen kann, daß die Mütter eben vor den Kindern sterben und das der Lauf der Dinge ist; trotzdem, auch für mich gibt es keinen Trost. Ich vermisse so sehr ihre Geborgenheit und Wärme. Die Welt ist so klein und unbedeutend und dunkel geworden.

Dein Freund ist sicher sehr stolz auf Dich, daß Du jeden Morgen aufstehst und weiter lebst - auch wenn es derzeit nur ein "Existieren", ja, ein "Vegetieren" ist, und es schwer ist zu verstehen, wofür man noch durchhalten soll, mit welchem Ziel - das ist gar nicht selbstverständlich und dazu braucht es viel Kraft. Er schickt Dir diese Kraft! Ich bin mir sicher, daß er genauso trauert und Dich genauso vermißt, nur von der anderen Seite aus.

Viele liebe Grüße an Dich in meine Lieblingsstadt. Ich bin gerne im Spätherbst bzw. im Winter nach Wien gefahren, da ich diese Herbst-Melancholie und auch das verschneite Wien so geliebt habe, damals, als ich noch gerne melancholisch war und fast den ganzen Tag auf dem Zentralfriedhof verbracht habe... Ich kann mir vorstellen, daß diese Atmosphäre gerade jetzt sehr schmerzhaft sein muß.

Übrigens, was macht denn die Jobsuche?

Unendlich viele liebe Grüße, und auch von mir Glückwünsche zu Deinem Geburtstag.

Anne
bzw. Skorpion1966 :-)