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Alt 01.08.2002, 10:43
Gast
 
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Standard Hilflose Helferin

Guten Morgen allerseits,
erst mal Danke, Anja, dass Du akzeptierst, dass ich mich dazu äussern darf, und dass es egal ist, wie lange meine Texte sind (obwohl ich hier von jemandem anderen bereits mit dem absoluten Rekord geschlagen wurde! Hui!).
Und es stimmt, ich setze sehr vieles "zwischen" meine Zeilen. Aber ich meine das ja nie böse sondern stelle es meist in Frage. Eine Frage ist keine Anklage. Eine Frage sollte zu einer Antwort heraus fordern. Genau das ist meine Absicht. Und wie man sieht, wirkt es ja und man fängt an darüber zu diskutieren. Naja, meistens ist es erst mal ein halbes Streitgespräch. Weil sich jeder selbst angesprochen fühlt. Also kommt zuerst die absolute Abwehr mit Händen und Füssen. Ist völlig normal.
Klar, ich habe mich schon ein bisschen ZU krass ausgedrückt, wahrscheinlich ZU vorwurfsvoll, und ich habe mich ja auch dafür entschuldigt. Meine Worte der Entschuldigung wollen aber offenbar nicht alle so ernst zu nehmen? (Das ist wieder eine Frage, kein Vorwurf.)
Du hast recht, es ist gar nicht so einfach ERLERNBAR, sich mit dem Sterben und Tod auseinander zu setzen. Jetzt stelle ich einfach wieder die Frage in den Raum: WARUM ist es nicht so einfach erlernbar?

Hallo Ulrike, Du möchtest unbedingt wissen, ob ich schon Sterbebegleitung gemacht habe (in allen Phasen)? Naja, Du weisst ja bestimmt, dass ich da jetzt mit einem Nein antworte. Das gibt Dir jetzt Zustimmung im Glauben, dass ich davon sowieso keine Ahnung habe, wie das ist. Stimmt auch! Aber denkst Du nicht, dass ich als Krebsbetroffene so ziemlich mitfühlen kann, was andere Krebsbetroffene, egal in welchem "Stadium" sie sind, durchmachen?
Ich kenne nun beide Seiten. Die "Gesunde", mit der eigenen "unwissenden" Erfahrung mit dem Umgang mit Krebspatienten, und die "Kranke" Seite, mit der neuen Erfahrung, dass meine Handlungen und mein geglaubtes Wissen VORHER eben genau "unwissend" gewesen ist! - Kannst Du's verstehen?

Ich weiss ja, dass nicht ALLE so sind, wie ich da offensichtlich unabsichtlich "verallgemeinert" habe. Es ist eben der grosse "Teil". Weisst Du, man muss schon irgendwie Glück haben, wirklich gute Ärzte zu erwischen, gute Kliniken, gute Pfleger. Und dabei auch irgendwo zu "landen", wo psychologisch wirklich gut geschult wurde, wo das Verständnis für den Patienten auch da ist.
Ich könnte natürlich - so frisch nach der Krebsdiagnose - dreissig Ärzte oder auch Kliniken abklappern, bis ich das Richtige für mich gefunden habe. Das Problem dabei ist nur: Die Krankenkassen machen da nicht mit! Spätestens beim sechsten Arzt rufen die aus und sagen: Stopp! Da stimmt was nicht! - Und schlimmstenfalls verweigern sie ihre Leistungen.
Zudem hat man als frisch Betroffener so einen Schock, dass man schon gar nicht die Nerven und die Kraft dazu hat, auf diese lange Suche zu gehen.
Also nimmst Du erst mal jene Ärzte, die Du kennst. Dann suchst Du vielleicht weiter, und landest bei diesem oder jenem Spezialisten. Aber irgendwann musst Du aufhören mit der Ärztesucherei, weil Dein Leben auf dem Spiel steht. Zudem willst Du so schnell wie möglich GEHEILT werden! Irgendwie. Also musst Du da notgedrungen jene Ärzte akzeptieren, auch wenn sie Dir nicht so ganz passen, oder wenn Du ganz genau mitkriegst, dass diese NUR Deinen Körper und die Krankheit sehen, ... aber nicht DICH als Mensch, als Ganzes, mit Herz und mit Gefühl.

Würde ich jetzt als sterbenskranke Patientin bei Dir im Krankenhaus liegen, und Du würdest mir sagen, das Beste für mich wäre, in ein Hospiz zu gehen, ... wäre das zwar gut gemeint, (was ich Dir sogar glauben würde), aber ich würde es trotzdem als "Abschiebung" EMPFINDEN. Auch wenn Du mir noch so positiv von den erfahrenen Angestellten von dort vorschwärmst, wie schön es dort wäre, dass es das Beste für mich sei, und so weiter. (Ist jetzt nur ein Beispiel, okay? Du sagst ja, dass man auch die Wahl hat, zu Hause zu sterben. In diesem Beispiel gehe ich jetzt aber einfach davon aus, dass das nicht gehen würde, ja?) Ich bin also so schon sehr einsam, habe keine Verwandten und Bekannten. Und bei Euch kenne ich erst seit kurzem die Ärzte und das ganze Pflegepersonal. Ihr seid noch nicht so ganz meine "Familie", wo ich mich wirklich wohl fühlen kann. Ist ja schliesslich auch ein Krankenhaus.
Also zögere ich da, bin auch ein bisschen verletzt und traurig, weil man mir den Vorschlag mit dem Hospiz macht. - Sagst Du mir da dann lächelnd: "Seien Sie doch froh, dass es so ein Hospiz gibt! Oder bringen Sie Ihr zu reparierendes Auto auch nur ausschliesslich zum Autohändler, der keine Werkstatt nebenbei hat?" ?

Merkst Du die Wirkung?
(War jetzt wieder eine Frage, kein Vorwurf, gell?)

Schade übrigens, dass Du meine Zeilen der Entschuldigung nicht gelesen hast. Schade auch, dass Du - obwohl Du es wissen wolltest - nicht auf meine kleine Anfangsgeschichte näher eingegangen bist. (Die Ärzte sind nur ein Zahnrad von der ganzen Maschinerie, aber ein sehr wichtiges.) Wäre jedoch nett gewesen, hättest Du wenigstens gesagt: "Tut mir leid, dass Dir das passiert ist." Dann hättest Du noch hinzu fügen können: "Aber es sind nicht alle so, glaube mir." Damit hättest Du mich ein bisschen beruhigen können. Aber so kommt es mir jetzt vor, als spreche ich nicht mit einer Krankenschwester, sondern wieder mal mit einem "kühlen" Arzt. Ein Arzt, der seine "Seite" verteidigt, und der gar nicht auf mich als Krebspatientin eingeht.
Verstehst Du?
Das ist wieder kein Vorwurf, sondern ich schreibe Dir nun hin, WIE ich es empfinde.

Ach ja, mit "wir" meine ich übrigens immer wir Menschen. Als Ganzes gesehen.
Und die Aussage "von unwissenden Pflegern umwimmelt" habe ich nicht so WORTwörtlich gemeint. Umwimmelt wird man ja schon gar nicht von den Pflegern/innen, eben genau WEGEN dem Personalmangel. Ich meinte das "umwimmelt sein" von der allgemeinen Unwissenheit, dass man nicht weiss, wie man mit dem Ganzen umgehen soll. Dazu gehören Pfleger/innen eben auch dazu. Nicht ALLE, ja. Aber Kado hat hier doch genau so NACHGEFRAGT, nicht wahr?

Ich fand das auch in Ordnung, DASS sie gefragt hat, darum ging es mir ja gar nicht. Sondern dass so eine SITUATION für eine Krebsbetroffene, ja sogar sterbenskranke Patientin, wieder mal DA ist. Das war nicht als Vorwurf für Kado gemeint, denn sie kann ja auch nichts dafür, dass sie in dieser Situation steckt. Zudem habe ich ihr angeboten, zu versuchen, ihr zu helfen.
Ich kann also ganz gut den einzelnen Menschen sehen.

Du bist leider auch nicht so ganz auf die "Spezialisierung" eingegangen. Fragst Du Dich nie, WARUM es diese Spezialisierung gibt?
Es mag ja sehr sinnvoll sein, dass sich Ärzte auf ein bestimmtes Gebiet spezialisieren. Oder dass es spezialisierte Kliniken gibt. Ich meine, ich gehe ja auch in die Tumorklinik, weil ... naja, mir gar nichts anderes übrig bleibt, nicht wahr? Aber WARUM bleibt mir nichts anderes übrig?
Warum gibt es Sterbehospize? Wo das Sterben doch zum Leben gehört? (Das ist wieder eine FRAGE, gell? Keine Verurteilung. Ich muss das offenbar immer wieder wiederholen, weil ich sonst missverstanden werde.)

Na, ist doch ein gutes Thema hier! Und mein Angebot, Kado versuchen zu helfen, steht immernoch! Jawoll!
Ganz liebe Grüssli an Euch alle (auch an jene, die hier still mitlesen, gell?)
Die "krasse" Brigitte
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