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Alt 27.06.2002, 10:16
Gast
 
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Standard Forum für Angehörige UND Betroffene

Hallo Brigitte!

Das mit Deiner Schwester hat mich sehr nachdenklich gemacht.
Weißt Du, was mir dazu als Einziges einfällt? Etwas, was mir selber vor einiger Zeit mit einer guten Freundin passiert ist, die schwer krank ist. Ich war sehr lange schon sauer auf sie wg. verschiedener Kommentare und Verhaltensweisen, die sie an den Tag gelegt hatte, aber ich hatte mich nie getraut, es ihr zu sagen, WEGEN ihrer Krankheit. Unser Verhältnis ist darüber derart abgekühlt und oberflächlich geworden, dass ich mir irgendwann gesagt habe: Was kannst Du jetzt eigentlich noch verlieren, wenn Du doch eine Aussprache mit ihr suchst? Die Freundschaft? Gut, die ist sowieso so gut wie vorbei. Leider war es so - 2 Jahre habe ich diese Gedanken mit mir herumgetragen und habe immer gedacht, wenn ich sie anspreche, regt sie sich nur wieder auf, bekommt meinetwegen womöglich wieder einen Schub (sie hat MS)...

Doch irgendwann habe ich mir eben gesagt, dass es SO eigentlich auch keine Freundschaft mehr ist, von der auch SIE nichts hat (soviel zum Thema wie ein rohes Ei behandeln). Ich fand mein Verhalten irgendwie auch nicht fair, so gab ich mir dann diesen Stoß.
Außerdem sagte ich mir, dass - bei aller Rücksicht auf ihre Krankheit - sie trotzdem nicht nur in Watte gepackt werden könne und sie quasi das Recht auf ALLES hat (mir weh zu tun etc.)
Neulich war dann die große Aussprache. Ich versuchte es mit so viel Watte wie möglich und gaaanz vorsichtig. Sie hatte nämlich meinem Mann erzählt, dass sie das Gefühl habe, dass ich überhaupt nicht mehr ihre Freundin sein wolle. Das habe ich angesprochen, tief Luft geholt und gesagt, dass ich mich das umgekehrt auch schon gefragt hätte. Es kam ein: "Wie bitte?!" und dann legte ich - ganz vorsichtig - los, dass sie bitte nicht sauer sein solle, dass ich einfach nicht den Mut gehabt hätte, auch wegen ihrer Krankheit (ich habe es einfach ausgesprochen), sie zur Rede zu stellen etc., dass es eigentlich Dinge sind, die schon Jahre zurück liegen, aber es müsse einfach geklärt werden, damit wir weiterhin Freundinnen bleiben können, dass unsere "Freundschaft" in der letzten Zeit doch eigentlich gar keine mehr war, wobei sie heftigst zustimmte. Als sie die Gründe erfuhr, fing sie herzhaft an zu lachen. Mag sein, dass SIE mich in dem Moment sogar bemitleidet hat, aber ist ja auch egal (es ist zwar ein blödes Gefühl, wenn man sauer ist, als die Bemitleidete hingestellt zu werden, aber es war der einzige Weg). Es war raus, und es ist jetzt auch o.k.!!
Ich war sehr froh, dass ich nun doch keine Freundin verloren hatte. Und endlich, endlich muss ich nicht mehr "lügen" - so tun, als ob nichts wäre, mich um Telefonate drücken, weil ich eigentlich nicht das sagen konnte, was ich wollte, es mir aber schwer fiel, über Alltägliches zu plaudern.

Liebe Brigitte, möglicherweise ist es in Deinem Fall anders, aber ich dachte, ich schreibe Dir meine kleine Geschichte trotzdem mal auf, einfach als Hinweis darauf, das Dinge manchmal anders sind, als man sie erwartet hätte.

In jedem Fall glaube ich, dass dieses Geplänkel nichts bringt (schön Wetter reden und versuchen, sich möglichst aus dem Weg zu gehen)!!
Darum frage ich Dich: Was hast DU zu verlieren, wenn Du eine Aussprache suchst (vielleicht hat Deine Schwester keinen Mut, vielleicht ist es auch was anderes, aber das wirst Du dann ja ERFAHREN!)?????
Glaubst Du, dass dann jedes Verhältnis mit Deiner Schwester kaputt wäre (welches noch?), dass Du dann nicht mal mehr ihren kleinen Finger in der Not hättest? Das glaube ich nicht, sie ist Deine Schwester.

Ich lese so ein bisschen zwischen Deinen Zeilen, dass Du immer die Große, Hübsche, Intelligente warst und sie sich neben Dir wie das häßliche kleine Entlein fühlte. Vielleicht kommt daher ihr Verhalten. Vielleicht solltest Du ihr sagen, dass Du sie auch BRAUCHST, dass sie Dir auch sehr viel geben kann, dass Du Dich auch manchmal schwach fühlst und Dir Deine Schwester wünschst?
Ich weiß, dass ist alles so schwer zu sagen, man denkt dann, man bietet Angriffsfläche, verletzt zu werden... Aber bei soviel Geplänkel hilft manchmal nur noch Ehrlichkeit, auch wenn's schwer fällt. Du hast absolut nichts zu verlieren, meine ich.
Und wenn es dann in eine blöde Richtung läuft, hast DU es zumindest versucht. DAS ist Stärke.

Hast Du schon mal daran gedacht, ihr einen Brief zu schreiben? Vielleicht kann sie Dir dann auch SCHREIBEN, denn Euer Verhälntnis scheint ja (leider - noch nicht?) so zu sein, dass Ihr über alles gut REDEN könnt.
Man kann auch etwas zum Positiven verändern! Es scheinen doch immer irgendwelche Dinge zwischen Euch zu stehen... und DAS belastet Dich ja auch! Zwar vielleicht immer nur in kleinen Dosen, aber was ist besser?
Und wenn es wirklich richtig knallt (was AUCH nicht immer schlimm sein muss), dann hast Du ja noch uns! :-)

Danke für den Buchtipp, Petra. Ich habe mir es soeben bei Booxtra bestellt! Und wenn es nur mich tröstet... (mein Vater weigert sich ZU LESEN. Er hat früher viel gelesen und will scheinbar seine ganzen Gewohnheiten umstellen. Das müssen wir respektieren, aber es ist schwierig, weil er so nämlich nicht an eine einzige möglicherweise hilfreiche Lektüre rankommt!).

Liebe Grüße von
(Schiefhals) Tina
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