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Alt 08.03.2007, 11:12
martinaIna martinaIna ist offline
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Registriert seit: 16.12.2006
Ort: Nordhessen Knüll
Beiträge: 221
Standard AW: Die Zeit machts einfacher????????

Liebe Ulrike,
und all ihr anderen,

an Heiligabend 06 starb mein Mann, diese Trauer ist ähnlich frisch, wie bei Euch.
Meine Eltern sind 1985 verunglückt, da war ich 25 Jahre alt.
Ich habe sozusagen "Trauererfahrung".

Damals habe ich es ziemlich verdrängt. Dafür war ich aggressiv und gleichzeitig suchte ich verzweifelt nach Halt oder nach der "Heimat" (sicheren Hafen / ruhenden Pol in meinem Leben), die ich mit meinen Eltern verloren hatte. Mein damaliger Freund konnte das nicht auffangen und ich war nicht in der Lage, die Trauer auszuhalten, so habe ich es eben verdrängt. Nach zwei Jahren gab es einen Moment, wo mich die Trauer plötzlich überrannte. Damit bin ich noch glimpflich weggekommen - andere bekommen psychosomatische Krankheiten. Ich begann dann eben nach zwei Jahren, während eines mehrmonatlichen Irlandaufenthaltes, zu bearbeiten.

Diesmal stell ich mich der Trauer. Unter anderem stell ich mich ihr, indem ich hier lese und schreibe. Ich schreibe für mich auch auf, wie das letzte Jahr war, was wir das letzte gemeinsame Jahr zusammen erlebten. Und ich nehme mir Zeit und akzeptiere (auch wenn ich drüber jammere), dass ich z.Z. nichts so recht auf die Reihe bringe und unendlich lahm und antriebslos bin.

Die Zeit hilft tatsächlich- aber nicht, wenn sie einfach nur verstreicht, sondern wenn jeden Tag ein Stückchen Trauer "bearbeitet" wird. Mir kommts so vor: Wenn wir wieder ein Stückchen abgearbeitet haben, d.h. es ausgehalten haben, die Bilder im Kopf zuzulassen, das Röcheln noch einmal zu hören, den Geruch noch einmal in die Erinnerung zu holen, dann hilft die Zeit und macht es doppelt so leicht, die anderen Bilder in den Kopf zu bekommen.
Verdrängt man/frau, dann kommen auch nicht die Bilder aus den glücklichen Tagen in den Kopf.

Ein Leben ist aber mehr, als die letzten Monate. Niemand würde ein Menschenleben nach seinen ersten zehn Monaten beurteilen, warum also nach seien letzten? Um das Leben eines Menschen auch nur ansatzweise zu erfassen, muß ich den ganzen Bogen sehen und das kann ich nur, wenn ich über die Bilder der letzten Monate hinaus gelange. Deshalb denke ich, muss ich mir diese Bilder der letzten Tage anschauen, solange, bis ich sie ertragen kann. Damit sie mir den Blick auf die Zeit davor nicht weiter verstellen.

Ich weiß nicht, ob Ihr dieses Kauderwelsch verstehen könnt. Ist schwer es in Worte zu fassen.

Ich wünsche Euch, dass Ihr die Zeit bekommt, um Eure Trauer zuzulassen und die bösen Bilder anzuschauen, bis sie ihren Schrecken verlieren
martina
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