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Alt 20.11.2011, 02:23
PieW PieW ist offline
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Standard AW: Hirnmetastasen und die Verzweiflung

Es ist zu spät

zuerst einmal möchte ich mich herzlichst für eure lieben Antworten bedanken, die Ihr mir geschrieben habt, und die meinem Vater und mir das Gefühl gaben, nicht allein zu sein auf dieser Welt.

Leider ist es jetzt zu spät.

Meine liebe Mama ist heute am 19. November 2011 um 10:05 von uns gegangen.: weinen: Ihr Zustand hatte sich in den letzten Tagen noch mehr verschlechtert. Sie hatte hohes Fieber (40.2) und bei jedem Atemzug kam ein eitriger Schleim aus ihrem Rachen, welcher sogar zu einer richtigen Fontäne wurde. Dieser veränderte sich schließlich zu einem weissen Schaum, und die Ärtztin und das Pflegepersonal erklärten das ihr Körper wohl nicht mehr in der Lage war, die Flüssigkeit richtig abzustoßen, worauf diese in ihre Lunge wanderte.
Heute Abend ist es dann plötzlich passiert. Mein Vater, welcher bei ihr wachte rief mich ins Schlafzimmer und sagte mir, das ihr Atem ausgesetzt hatte. Ich versucht, mit einem Absaugegerät Schleim aus ihrem Hals zu ziehen, in der Hoffnung das es daran lag.
Vergebens.
Keine Maßnahme und kein Betteln half.

SIE IST UNS EINFACH ENTGLITTEN

Der Artzt sagte uns nach der Untersuchung, da sie nicht erstickt sei, sondern einfach eingeschlafen sei.

Es war so furchtbar.

Erst gestern haben die Pflegerin und ich sie auf eine andere Seite gedreht, wobei deutlich in ihren Zügen ein Schmerzempfinden zu erkennen war, und sogar eine einzelne Träne ihre Wange herunterrann. Es war ein solch trauriger und elendiger Anblick, das ich mich nicht beherrschen konnte, und losheulte, aber andererseits, zeigte es uns doch das sie noch nicht weg war, und wohl alles mitbekam was um sie herum vor ging. Das machte natürlich Hoffnung, und immer wenn wir bei ihr waren, sprachen wir zu ihr, in der Hoffnung, das sie uns hören und verstehen konnte.

Nach diesem abend fühle ich mich so leer und hohl. Ich hoffe das ich diese situation in meine Birne kriege, denn ich erwarte immer noch jeden Moment ihren Atem aus dem Schlafzimmer zu höhren. Die Vorstellung das sie niemals wieder in der Küche bei uns sitzen wird, um mit uns zu essen oder fernzusehen, macht mich im Moment völlig fertig. Ich brauche nur etwas zu sehen was sie mir mal geschenkt oder gekauft hat, und ich kann mich nicht beherrschen. Sie hatte, kurz bevor sie es ihr so schlecht wurde, noch eine Bestellung für ein Versandhaus aufgeschrieben, wo eine Hose bei war, die sie mir schenken wollte. Es ist so traurig. Vor nicht einmal einer Woche, war sie noch so gut drauf, und auf einmal...
So viele Anblicke tun mir im Moment weh.
Schon vor zwei Wochen, als ich noch einmal ins Krankenhaus fuhr, um mit der Ärtztin Rücksprache zu halten, hatte ich diese Empfindungen. Ich brauchte nur die kleine Bank an dem Wiesenweg zu sehen, zu welcher ich sie bei schönem Wetter immer mit dem Rollstuhl fuhr, oder das kleine Cafe vor dem Krankenhaus, in dem wir immer was trinken waren. Auch wenn, ich ging, das sie mir immer nachwinkte, kam mir sofort in den Sinn wenn ich die Eingangspforte sah. Bei all dem konnte und kann ich meine Tränen nicht unterdrücken.
Ich weiß, ich klinge für meine 34 Jahre wie ein Kleinkind, aber ich habe meine Mama sehre sehr lieb gehabt.
Ich hoffe, das es den Lesern dieser Zeilen nicht zviel Zeit raubt, wenn ich etwas kurz erläutere:

Wie ich schon in meinem ersten Text schrieb, erkrankte mein Vater an MS, und zwar zwei Jahre nach meiner Geburt. Man kann nicht heilen, sondern nur lindern. Meine Mama musste daraufhin arbeiten gehen, sodass ich (ausser an Wochenenden) nicht viel Zeit mit ihr verbringen konnte. Meine liebe Oma hat sich dann um mich gekümmert, und bei dieser konnte ich im Laufe der Jahre mitansehen, wie es auch bei ihr immer schlechter wurde. Zuerst ging ihre Hüfte kaputt, dann funktionierte ihre Herzklappe nicht mehr richtig, dann kam hochgradig Zucker hinzu, welcher dazu führte, das sie auf einem Auge beinahe Blind wurde, und vor zwei Jahren verstarb sie kurz nach ihrem neunzigsten Geburtstag an einem multiplen Organversagen, woran auch ein Tumor in der Bauchspeicheldrüse verantwortlich war. Genau zwei Wochen nach ihrer Beisetztung begannen die ersten Symptome des Blasenkrebses bei meiner Mutter, und im Jahre 2010 wurde meine Tante mütterlicherseits tot in ihrer Wohnung gefunden. Als mein Vetter sie fand, war sie bereits zwei bis drei Tage tot, sodass die Todesursache nicht mehr richtig festellbar, war, aber wohl auch ein Organversagen vorlag. Und im Jahre 1991 verstarb meine Cousine mit 21 Jahren an dem sogenanten "Lennard-Krebs" (Lymphatischer), nach zweijähriger Krankheit.

Ich bin aufgrund dessen was Krankheiten angeht ziemlich dünnhäutig, und mir ist vor etwa zwei Jahren, als es bei meiner Mutter anfing, klar geworden, warum ich nie von zuhause weg gegangen bin. weil ich unbewusst dachte, das ich mit meinen Eltern, diese Zeit irgendwie würde nachholen können, die wir in meiner Kindheit nicht miteinander hatten verleben können
Nun ist es zu spät.
Meine Mama war genau wie mein Vater und ich ein Fan von klassischen Gruselfilmen, welche wir wieder begonnen hatten anzusehen. Wir sind Hörspielsammler, welcher wir uns immer gemeinsam Abends anhörten. Wenn ich jetzt die DVDs und CDs sehe, die dort liegen, und von denen ich weis das sie sie nicht mehr mit uns sehen/höhren wird...
Ich selbst habe auch einen Gruselroman geschrieben, für den ich nach langer Suche einen Verlag gefunden habe. Meine Mama freute sich riesig für mich, und wollte ihn unbedingt lesen, wenn er erscheine.

Nun wird sie ihn nie mehr lesen können, und es macht mich fertig.

Ich weiß, das es wohl ein Klischee ist, und das es jeder Mensch auf der Welt sagt, aber sie war die liebste Mama auf der Welt !!!
Wenn ich sie im Krankenhaus besuchte, und erst spät ging sagte sie immer als letztes: "Pass auf dich auf, Junge." Das muss man sich einmal vorstellen. So entsetzlich krank, und dabei immer noch in Sorge, und stets fragend wie mein Vater mit alldem zurechtkommt.

Einer der Pfleger sagte, das dies überhaupt der Grund war, weshalb sie solange durchgehalten hat. Bei diesem Krebs, neun Monate. Sie wollte uns nicht allein lassen. Sie hatte uns genauso lieb, wie wir sie

Nun ist es vorbei. Der Kampf ist zuende. Der übermächtige Feind hat gewonnen:weinen. Und die letzten neun Monate kommen mir im Nachinein so furchtbar kurz vor. ich meine immer ich hätte aus jedem Moment mehr machen müssen, hätte jede Diskussion vermeiden, und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen müssen. Auch komme ich mir häufig so gemein und fies vor. Vor allem wegen unserem letzten Gespräch, bevor sie so absackte.

Die "Palliativ"-Ärtztin war bei uns und fragte, ob sie Schmerzen hätte, ihr schwindelig oder übel sei. Sie verneinte. Und später sagte sie mir, das ihr Fußgelenke schmerzten. Auf meine Frage seit wann antwortete sie seit vier bis fünf Tagen. ich fragte sie zugegebenermaßen recht barsch warum sie dies nicht der Ärtztin gesagt hatte, als sie vor ihr stand, und das das ich so etwas nicht verstehen könne. Da fing sie beinahe an zu weinen, und sagte das ich immer nur mit ihr schimpfen würde. Ich hakte natürlich ein, und versicherte das es doch kein Schimpfen sei und ich es nur lieb meine. Ich denke, das sie es auch nicht so gesehen hat, aber dies war unser letztes Gespräch, bevor sie die Besinnung verlor.

Ich fühle mich deshalb fies und gemein. In letzter Zeit bekomme ich von vielen seiten Anerkennungen. Von den Ärtzten den Pflerger/innen und dem "Palliativ"-Leuten, wie gut und aufopfernd ich mich um meine Mama kümmern würde. Aber immer habe ich das Gefühl als würde es mir nicht zustehen. Zum Glück stehen uns unser Onkel und meine Tante bei, und es gibt auch noch den ambulanten Hospizdienst, mit deren Leuten wir über unsere Probleme reden können. Wir sind also zum Glück nicht allein.

Wie zuvor hoffe ich, das ich mit meinem Text niemandem zuviel Zeit stehle, aber ich musste mir das alles jetzt einmal von der Seele schreiben.

Wenn ein Leser die Beschreibung unseres kaputten Zustandes bis zu dieser Zeile durchgehalten hat, möchte ich mich herzlichts bedanken, und wünsche auch allen anderen Forenmitgliedern und Betroffenen viel Kraft und alles erdenklich Gute.

P.S.: Na ja, nichts desto trotz würde ich mich über weitere Antworten freuen.
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