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Alt 20.07.2014, 14:15
Birgits Schwester Birgits Schwester ist offline
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Standard AW: Trauern um verstorbene erwachsene Geschwister

Ein Hallo an alle,

Glückwünsch an Waldkäuzchen... und großes Daumendrücken bei der Jobsuche, das wird schon.

Ja, Waldkäuzchen, ich habe seit dem Tod meiner Schwester auch eine "hab-acht-Situation". Und ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass ich damit nicht alleine stehe, dachte schon, ich habe da ein ganz eigenes Problem.

Ich habe zwei erwachsene Kinder, der erste Sohn ist vor zwei Jahren ausgezogen. Der "Kleine" im Januar diesen Jahres. Das war ganz schön schlimm für mich. Ist ja auch eine, wenn auch ganz andere, Art von Trauer, von Verlust. Etwas hört auf, ein Lebensabschnitt. Damit hatte und habe ich manchmal noch ganz schön zu tun. Auch wenn ich weiß, dass Kinder nur Gäste sind, die nach dem Weg fragen und ich auch mächtig stolz auf meine Jungs bin, auch wenn ich weiß, dass das der Lauf des Lebens ist, das es Normalität ist-irgenwie fühlt man sich ein wenig verlassen.

Dann starb im Januar meine Schwester. Der neben dem Verlust meiner Mutter schlimmste Einschlag in mein "normales" Leben.

Im Februar hörte meine Regel auf, zu sein. Nun ja, ich bin 49 Jahre alt, da gehört das "zum gesunden Ton", das etwas aufhört, zu sein. Und auch, obwohl ich auch hier die Normalität des Geschehens sehe, es macht auch etwas komisches mit einem. Alle Gedanken von "endlich ist der Mist weg" werden sofort auch begleitet mit: Ach herrje, ein Lebensabschnitt ist vorbei...

Alle drei, wenn auch andersartig gelagerten eingetretenen Situationen, sind dennoch VERLUSTE. Jedes der Dinge muss akzeptiert werden. Und auch betrauert werden. Jedes für sich ist eigen. Jedes für sich erfordert Kraft. Alle zusammen erfordern Überkräfte, weil sich irgendwie alles immer miteinander vermengt. Soll heißen, möglicherweise wäre der Auszug meiner Kinder mit weniger Traurigkeit, das Ausbleiben der Regel mit weniger Melancholie einhergegangen, wenn nicht der Tod meiner Schwester mir mit seiner ganzen Wucht DEN Verlust überhaupt übergestülpt hätte.

Drei Verlustsituationen in einer kurzen Zeit... wahrscheinlich eine Überforderung von Seele und damit auch des Verstandes. Ohne ganz bewusste Differenzierung geht da gar keine "fall"gerechte Verarbeitung. Gedanken an meine Kinder? Also Verlustordner "Kinder" raus. Wechseljahre sind auch nicht schön, also "Verlustakte Klimakterium" ziehen.
O.k., zugeordnet, jedes für sich mit Angemessenheit betrachtet, betrauert, bearbeitet.
Verlust meiner Schwester hat keinen eigenen Ordner. Das ist der wirkliche, traurige und eben nicht "normale" Verlust, der mich wahrscheinlich alles trauriger sehen lässt, als es ist. Und der mich eben mit der "hab-acht-Einstellung" durch mein Leben gehen lässt. Laufend die Gedanken "Geht es meinen Kindern auch gut?", und zwar in einer nicht natürlichen, den noch nicht verarbeiteten schrecklichen Verlust meiner Schwester anzurechnenden übertriebenen Unangemessen- und Fixiertheit. Laufend die Gedanken an die nächste Katastrophe, Krankheit, Tod... wie Du Waldkäuzchen es schreibst.

Es ist eben eine Grundängstlichkeit entstanden, man ist hellhöriger, hellfühliger geworden. Manchmal eben auch dann, wenn es gar nichts zu hören gibt. Was man damit macht? Ich weiss, warum ich die "hab-acht-Stellung" habe. Und ich akzeptiere sie. Doch passe ich auf, dass sie nicht mein Leben in der Form bestimmt, dass sie Macht über mich bekommt. Sie bekommt den Platz, der ihr gebührt. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger.
Und ich hoffe, dass es einmal besser wird. Und ich wieder gelassener werde, mein Grundvertrauen sich wieder aufbaut. Vielleicht muss eine lange Zeit ohne Katastrophen, Krankheit und Tod vergehen, in der sich Stück für Stück, vielleicht kaum spürbar, die "hab-acht-Stellung" aufgelöst hat.

Ich weiss sehr wohl, dass Verluste zum Leben gehören. Habe auch gar keinen Anspruch auf ein "Gewinn-Leben", möchte nur die Gelassenheit, die "Leichtigkeit des Seins" wiedererlangen, deren literarisch formulierte Unerträglichkeit allerdings auch nicht zu meinem erstrebenswerten Daseins-Fundament gehören soll.

Eine "hab-acht-Einstellung" ist ja auch eine Art von Demut, die die, die herben Verlust erlitten haben, zwangsläufig in einer größeren Abpackung als Menschsein-üblich überfällt.
Tröstend daran ist: Ich glaube, das betrifft nur Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben. Die ehrlich und authentisch fühlen und sind.

Und die darüber schreiben können, was sie umtreibt und quält. Die sich austauschen und gegenseitig helfen in der Zeit des Verlustes und der Trauer. So wie ihr hier alle.

Habe jetzt aber sehr viel geschrieben, melde mich nochmal gesondert zu Deinem Eintrag, liebe Stoerchin.

Liebe Grüße
birgit
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