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Alt 14.12.2010, 13:42
callas callas ist offline
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Standard AW: Michael , mein lieber Junge.....

Hallo, ich hatte lange keine Zeit mehr um euch den weiteren Verlauf von Michaels Krankengeschichte zu erzählen, aber heute ist es mir ein Bedürfnis mich euch mitzuteilen.
Im Oktober verschlechterte sich Michaels Zustand immer mehr . Nach der Lungenentzündung kam er wieder nach hause, aber bereits nach einer Woche drängte er uns, ihn wieder in die Klinik zu fahren. Er wollte unbedingt dass seine Behandlung weitergeht. Wir sagten ihm nicht dass mittlerweile aus Heidelberg ein negativer Bescheid gekommen war. Eine Ionenbestrahlung war auch nicht mehr möglich.
Michael wollte nicht mehr schlafen, er war an manchen Tagen bis zu 32 Stunden wach, mein Bett war mittlerweile die Couch, wir sassen Stunde um Stunde zusammen und redeten, oftmals 100mal das gleiche, weil er von einem Moment zum anderen wieder alles vergessen hatte.
Michael konnte sich nur noch mit Hilfe ins Bad oder in sein Zimmer bewegen, seine rechte Körperhälfte wurde von Tag zu Tag unkontrollierter, er stiess überall an, weil sein Blickfeld verschoben war, seine Arme und Beine waren voller Abschürfungen die sich sofort entzündeten.
In der letzten Woche im Oktober drohte er uns, aus dem Fenster zu springen, wenn wir ihn nicht ins KH fahren. Wir setzten uns nach langem hin und her mit der neurologischen Klinik, die ihn während seiner Krampfanfälle immer wieder behandelt hatte, in Verbindung, die erklärten sich bereit, ihn für ein paar Tage aufzunehmen, obwohl keine Behandlungsmöglichkeit gegeben war.

In der Woche im KH,wurde sein Zustand immer schlechter, er musste mit dem Rollstuhl zur Toilette gebracht werden, an eigenständiges Laufen war nicht mehr zu denken.
Man sagte uns, dass Michael nicht mehr lange im KH bleiben könne, und an einem Morgen sagte man mir, ich solle mich mit der im Haus befindlichen Sozialstation in Verbindung setzen. Dort wurde mir nahe gelegt, Michael in einem Hospiz unterzubringen. Ich wurde hysterisch und sagte dass das ja wohl niemals in Frage käme. Alles Zureden von meinem Mann und meiner Tochter konnte mich nicht davon überzeugen, dass es für Michael das beste sei.
Zuhause angekommen machte mir meine Familie an Hand von Beispielen bewusst, wie unmöglich es wäre, Michael die nötige Pflege zukommen zu lassen. Angefangen von : 1.) wie bekommen wir ihn wieder in die Wohnung, wir wohnen im 2. Stock, 2.) unsere Wohnung ist viel zu klein um mit einem Rollstuhl zu fahren, die Türdurchgänge sind zu eng, 3.) wir haben keine seprerate Dusche, man muss in die Wanne steigen, 4.) Michael ist 2 Meter gross und 120 Kg. schwer, wie soll ich ihn halten wenn er fällt.
All das machte mir bewusst, wie egoistisch ich gedacht habe, vor lauter Angst ihn hergeben zu müssen, hatte ich sein Wohl ausser Acht gelassen. Jetzt war nur noch wichtig, ihm die Menschenwürde zu erhalten und ihm die verbleibende Zeit so angenehm wie möglich zu machen.
Schweren Herzens stimmte ich zu , und bereits zwei Tage später sahen wir uns ein Hospiz in unserer Nähe an. Ich war überrascht von der angenehmen Atmosphäre die dort herschte, die Appartments waren hell und schön eingerichtet, ein geräumiges Bad machte es leicht mit dem Rollstuhl die Toilette und die begehbare Dusche aufzusuchen. Nach einem langen Gespräch mit der Heimleiterin war ich mir sicher dass es für Michael das Beste war, auch sagte man mir dass ich jeder Zeit zu ihm darf, auch nachts.

Jetzt kam die Zeit, wo ich Michael den Umzug mitteilen musste. Ich sagte ihm, er käme in ein anderes KH weil ich zu feige war ihm die Wahrheit zu sagen. Voll Hoffnung, dass ihm jetzt endlich geholfen würde, stimmte er zu.
Bereits am 2.Tag im Hospiz fragte er mich, ob er in einem Sterbehaus sei, mir blieb fast die Luft weg, es war, als würde mir jemand das Herz herausreissen. Nach weiteren 2Tagen sagte mir die Hospizleitung dass der Psychologe mit Michael ein Gespräch geführt habe und er jetzt wisse wo er sei. Ich hatte solche Angst in sein Zimmer zu gehen, aber als er mich sah, war alles so wie immer, er freute sich mich zu sehen und nachdem wir im Wohnzimmer Kuchen und Kaffee gegessen hatten und ich ihn mit dem Rollstuhl zu seinem Zimmer fuhr, fragte er mich:" Mama, muss ich jetzt sterben, war es das?" Ich setzte mich neben ihn, nahm ihn in die Arme und wir haben beide geweint und lange geredet. Er hat mich getröstet und gesagt:" Wenn es eben so ist, dann muss ich es akzeptieren. Wir beide schaffen das schon, weine nicht. Wichtig ist dass meine Familie bei mir ist." Von diesem Tag an wurde unser Verhältnis noch enger, wir sagten uns jeden Tag wie lieb wir uns haben, wir lachten und weinten gemeinsam.
An jedem Tag bemerkte ich eine Verschlechterung seines Zustands. Das Laufen vom Rollstuhl zur Toilette viel ihm immer schwerer, bald verstand er nicht mehr was man von ihm wollte, wenn ich sagte, dreh dich zu mir oder setz dich. Nach 2 Wochen wollte er nicht mehr aus dem Rollstuhl ins Bett, er wollte nur dasitzen und rauchen, essen und reden. Er freute sich über jeden der ihn besuchte obwohl er bereits nach ein paar Stunden nicht mehr wusste wer da war. Dann kam der Tag an dem er einen Krampfanfall hatte, wir legten ihn ins Bett und von diesem Tag an wollte er nicht mehr aufstehen, er wurde immer schwächer, sein Appetit lies nach, er ass kaum noch, rauchen konnte er nur noch wenn man ihm die Zigarette an den Mund hielt, bald wollte er auch nicht mehr rauchen und er bekam Schmerzen. Er wurde an eine Morphiumpumpe angehängt. Er glitt Stück für Stück in eine andere Welt. Seine Augen waren oft weit aufgerissen und er war ganz weit weg, an anderen Tagen öffnete er seine Augen nicht, aber ich spürte, dass er wusste, dass ich bei ihm war.

In diesen vier Wochen, gab es keinen einzigen Tag, an dem ich nicht bei ihm war. Am Samstag den 11.12.2010 war morgens sein Papa bei ihm, mittags seine Schwester, danach die Schwester seiner Freundin. Sie alle sagten mir, wie gut er ausgesehen hat, wie wach er war und dass seine trüben Augen ganz klar waren. Zum ersten Mal in diesen 4 Wochen wollte ich ihm nach soviel Besuch etwas Ruhe gönnen und ihn nicht besuchen. Um 18 Uhr hatte ich eine Unruhe in mir, und ich sagte meinem Mann, dass ich doch noch zu ihm fahre, dann ging das Telefon, das Hospiz teilte mir mit, dass ich kommen soll, es ginge zu Ende. Bereits 15 Min. später war ich dort, und als wir ankamen sagte uns der Pfleger dass er gerade bei ihm war und dass es bald soweit sei.
Ich lief in sein Zimmer, und da lag er: Bleich, mit geschlossenen Augen, einem Lächeln auf seinem Mund, ganz entspannt. Ich ging zu ihm und sagte:" Hallo Liebling, die Mamma ist hier!"
Ich hörte nicht, wie der Pfleger sagte, er hats geschafft, erst als er mich am Arm hielt und sagte dass er gegangen ist, wusste ich das ich zu spät gekommen war. Mein Michael ist am 11.12.2010 von mir gegangen, ganz alleine und ohne mir auf Wiedersehen zu sagen.
Ich kann nicht weinen, in mir ist eine totale Leere und ich erschrecke wenn ich in mich hineinhöre. Da ist garnichts mehr. Wo soll ich jetzt jeden Tag hingehen, wer wartet jetzt auf mich ??????

Mütter halten die Hände ihrer Kinder für eine Weile, ihre Herzen jedoch für immer

Geändert von callas (18.12.2010 um 18:20 Uhr)
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