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Alt 27.01.2010, 12:27
Stefans Stefans ist offline
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Standard AW: Die Reise nach Hause....

Hallo Mariesol,

wirklich schön, dass eure Trauerfeier so gut gelungen ist. Ich habe sowas früher immer gehasst, v.a. den "Leichenschmaus" danach. Aber an solchen Feiern kann man m.E. auch sehr gut sehen, wie der Tote und Angehörige / Freunde zueinander standen und die Familie "funktioniert". So ein bischen ein "Spiegel" dessen, wie es zu Lebzeiten war. Wenn man das so gestalten kann, wie der Verstorbene es sich wünscht, und dabei kein Streit ausbricht... dann ist das schon sehr viel. Wie viele Spiessbürger würden über "Gitarre und Sängerin" den Kopf schütteln und eher darauf achten, wer den größten Kranz gespendet hat... Eben. Das habt ihr sehr gut gemacht, im Sinne deines Vaters.

Zitat:
Zitat von Mariesol Beitrag anzeigen
ja einfach funktionieren!
Ich weiss nicht so recht. Wird oft gesagt, auch in diesem thread: vielleicht gar nicht schlecht, erstmal funktionieren zu müssen, die Trauer kommt dann noch später. Ich finde diese Lösung immer sehr "deutsch". Um sich nicht mit den akuten Gefühlen befassen zu müssen, flüchtet man sich in "wichtige" formale Dinge, es gibt ja so viel zu erledigen. Stimmt, gibt es auch, und unsere Bürokratie macht es uns einfach, lieber die Post zu bearbeiten und wichtige Telefonate zu führen als die Trauer sofort zuzulassen.

Das ist in anderen Kulturen anders, und auch bei uns war das mal anders. Ist gar nicht so sehr lange her. Zumindest kenne ich aus meiner Kindheit noch Aufbahrung, Totenwache, Leichenwäsche usw. Zuhause. Heute kommt normalerweise (wenn man überhaupt noch das Glück hat, Zuhause zu sterben), gleich nach dem Hausarzt der Bestatter und transportiert den Toten ab.

Und ich glaube, dass hier schon etwas gilt: "aus den Augen, aus dem Sinn". Bitte nicht falsch verstehen! Ich meine damit keinesfalls, dass Angehörige den Toten "loswerden" wollen. Auch nicht, dass die Trauer dann nicht später noch kommt. Aber es ist halt für den Moment die scheinbar einfachste Lösung. Kümmern sich andere drum, Profis, Bestatter. Aber das "mit allen Sinnen be-greifen", dass ein geliebter Mensch tot ist, und das direkt, ohne Zeitverzug, wenn der Schmerz am größten ist, und Zuhause, wo er am größten ist... das entfällt dann. Und ist auch nicht mehr nachzuholen. Ab Bestattung gibt es nur noch Erinnerungen an den Toten, keine Erlebnisse mehr mit ihm.

Meine Frau wollte Zuhause aufgebahrt werden, also wurde sie, 3 Tage lang. Meine Schwägerin war die Tage da, und der erste Tag war nur für uns. Am 2. und 3. konnten Freunde kommen, um Abschied zu nehmen. Am 4. Tag morgens kam der Bestatter. "Funktionieren" mussten wir da nicht viel. Einmal alle Freunde / Verwandten anrufen, einmal den Bestatter, fertig. Alles weitere hatte Zeit. Also Telefon ausgeschaltet und Briefkasten ungeöffnet gelassen.

Ich möchte das nicht missen. Meine Schwägerin und ich haben meine Frau gewaschen und gekleidet (nix Totenhemd - ihre Lieblingsklamotten aus dem Kleiderschrank), viele Freunde waren da, mit denen wir im Beisein meiner verstorbenen Frau weinen und lachen konnten. Und obwohl mir schon kurz nach dem Tod meiner Frau klar war, dass da nur noch ihre sterbliche Hülle liegt, hat es doch 2 Tage bei mir gedauert, bis ich das wirklich auch vom Gefühl her be-griffen hatte.

Ich weiss nicht, wie oft ich in das Wohnzimmer gekommen bin, wo sie lag, und instinktiv dachte: gleich atmet sie und bewegt sich. Das ist alles gar nicht wahr, das habe ich nur geträumt! So konnte ich da sitzen, mit ihr sprechen, sie anfassen, um wirklich zu begreifen, dass sie nicht mehr ist. Ich glaube ohnehin, dass wir nur das wirklich begreifen können, was wir mit eigenen Sinnen erleben können. Und dass die Sachen, die man unmittelbar erleben kann, einem später umso weniger auf der Seele lasten. Nun, das war nicht schwer. Ein eiskalter Körper, Leichenstarre, Totenflecken, Hautfarbe und Gesichtszüge verändern sich langsam... das mag sich von Ferne gruselig anhören, war es aber überhaupt nicht.

Mir hat es den Abschied erleichtert, und die Zeit brauchte es auch. Wenn ich den Menschen, mit dem ich Jahrzehnte verbracht habe, ein dutzend mal sehen und berühren und ansprechen muss, um wirklich zu kapieren, dass er tot ist. Dann ist das eben so. Manche brauchen für sowas halt etwas länger... Meine Schwägerin hat das ähnlich empfunden (und für sich, sie hat auch BK, beschlossen: das will ich für mich auch, wenn es soweit ist). Auch hier in den Foren haben viele Leute ihre Erfahrung mit dem "langen Abschied" der Aufbahrung als wichtig und positiv geschildert.

So langsam kommt das auch wieder in Mode, finde ich positiv. Als meine Frau aufgebahrt wurde, wussten viele gar nicht, dass das überhaupt "erlaubt" ist. Ja, warum denn nicht? Aus hygienischen Gründen, angeblich. So belügen auch immer noch einige Bestatter ihre Kunden, um sich das Geschäft nicht zu vermiesen. Traurig. 3 Tage aufbahren Zuhause sind ohne "Sondergenhmigung" möglich. Und natürlich kann auch jemand, der im Krankenhaus gestorben ist, vor der Einsargung nach Hause zur Aufbahrung gebracht werden. Und wenn es im Sommer warm ist, liefert ein guter Bestatter die Kühl-Akkus, damit das funktioniert. Kein Problem, wenn man will und weiss, wie es geht.

Ich weiss, klingt etwas verworren, ist auch schwer zu beschreiben. Jedenfalls war es für uns gut und wichtig, die letzte Reise am "Zielort" "langsamer" und "geruhsamer" zu gestalten als heute oft üblich, und die kurze verbleibende Zeit zu nutzen. "Funktionieren" muss man danach noch lange genug. Aber vom Toten "von Angesicht zu Angesicht" Abschied nehmen kann man später nie mehr

Viele Grüße,
Stefan
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